Opern-Intendant: „Man ist verängstigt, dass das ein Dauerzustand werden könnte“

Das Orchester ausgedünnt, die Inszenierungen kontaktlos, das Kartenangebot begrenzt: In der Oper hat 2020 der Sicherheitsbeauftragte mehr zu sagen als der Intendant.
Titelbild
Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, wünscht sich von der Bundesregierung mehr Risikobereitschaft.Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/dpa
Epoch Times5. September 2020

Kaum eine Sparte der Hochkultur treffen die Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie so schwer wie die Oper. Ein großer Chor auf der Bühne, Bläser im Orchestergraben – in diesem Herbst unmöglich. Wie geht Oper 2020?

Mit Kompromissen und Mut zum Experiment, sagt Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt und Vorsitzender der Deutschsprachigen Opernkonferenz, der die 13 größten Opernhäuser Deutschlands, Österreichs und der Schweiz angehören.

„Ich will nicht sagen, die Lage ist desolat“, sagt Loebe, „aber man ist verängstigt, dass das ein Dauerzustand werden könnte.“ Die Intendanten erwarteten mehrheitlich von der Politik „mehr Risikobereitschaft“ bei der Genehmigung von Kulturveranstaltungen. „Die Oper ist der sicherste Ort, an dem man sich garantiert nicht ansteckt“, sagt Loebe. „Wenn alle, die im Sommer in Risikogebiete gefahren sind, oder am Mainufer gefeiert haben, in die Oper gegangen wären, hätten wir jetzt geringere Fallzahlen.“

Landauf, landab ringen Opernhäuser mit ständig wechselnden Auflagen und Beschränkungen. Das Publikum muss zumindest beim Kommen und Gehen Masken tragen, es gibt keine Gastronomie und keine Pausen. Aber der Hunger nach Kultur groß, Karten sind schnell vergriffen. So wurden in Frankfurt bei den ersten zaghaften Veranstaltungen nach der Zwangsschließung um 10 Uhr 100 Plätze freigeschaltet – um 10.05 Uhr waren sie weg.

Opulente Stücke mit riesiger Besetzung haben keine Chance mit den geltenden Abstandsregeln im Orchester. Stattdessen stehen jetzt Werke auf dem Spielplan, die mit weniger Musikern auskommen. Wissenschaftler messen den Aerosol-Ausstoß aus Blasinstrumenten und den Atem vom Sängern, aber die Ergebnisse sind Loebe zufolge nicht eindeutig, die Empfehlungen ändern sich täglich.

„Wir hoffen, dass wir einen Großteil unseres Repertoires unter diesen Bedingungen hinkriegen“, sagt Loebe, „aber wir müssen Kompromisse eingehen.“ Zum Beispiel könnte ein Teil des Orchesters auf der Bühne sitzen. Wenn der Chor Masken trägt, sind eventuell ein paar Sänger mehr erlaubt. „Der Sicherheitsbeauftragte ist momentan wichtiger als der Intendant. Eigentlich sollte ich in Urlaub fahren“, scherzt Loebe.

Damit groß besetzte Stücke nicht dauerhaft vom Spielplan verschwinden, denken die Opernhäuser darüber nach, Arrangements für kleinere Besetzungen in Auftrag zu geben oder lange Opern einfach aktweise zu kürzen. Die Pause ausfallen zu lassen, ist unschön fürs Publikum, aber für die Sänger unmöglich. „Damit bringen wir jeden Tenor der Welt um“, sagt Loebe. Klar ist, dass Barock eher coronakonform ist als zum Beispiel Richard Wagner. „Niemand denkt aktuell an „Parsifal““, sagt Loebe.

Normalerweise planen Opern den Spielplan lange voraus, Verträge mit Regisseuren und Sängern haben Jahre Vorlauf – nun heißt es von heute auf morgen: Giovanni Battista Pergolesi statt Jacques Offenbach. Mehr Sicherheit gibt es nicht in dieser Zeit, als dass Produktionsteam und Produktionszeitraum gleich bleiben. Gemacht werden muss dann eben Barock statt Operette. Für die Freiberufler ist das trotzdem ein Segen – viele hatten seit März nichts zu tun.

Bei all diesen Erwägungen sind finanzielle erstmal außen vor. Aber jeder Platz, der leer bleibt, vergrößert das Loch in den kommunalen Finanzen. Oper ist nie kostendeckend, aber die Frage ist, wie viel der Steuerzahler pro Ticket drauflegen muss. Bisher gebe es zumindest in Frankfurt keine Signale, dass das Haus die ausgefallenen Einnahmen einsparen muss, sagt Loebe. Wenn der Corona-Ausnahmezustand ein Dauerzustand wird, kann sich das ändern. (dpa)



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