Oblomowismus und was das alles mit uns zu tun hat
Oblomowismus. Das ist dann, wenn Sie nicht mehr aus dem Sofa kommen, und das nicht nur am Abend, sondern auch schon am Morgen. Dann, wenn ein strahlender Sonnentag als Bedrohung der eigenen Welt wahrgenommen wird. Denn diese eigene Welt ist ein Dämmerzustand, indem man verharren möchte. Weder tot noch richtig lebendig.
Das ist die Ausgangssituation des Protagonisten Ilja Iljitsch Oblomow (Matthias Mosbach) in „Oblomow“. Ein Roman von Alexandrowitsch Gontscharow, der 1859 mit großem Erfolg in Russland erschien und nun in einer dramatischen Bearbeitung im Renaissance-Theater Berlin auf die Bühne gekommen ist. Gleich zwölfmal wird es ebendort en Suite vom 4. bis 16. April wieder gespielt. Volodia Serre und André Markowicz erarbeiteten hierzu die Bühnenadaption, wobei Serre auch gleich Regie übernahm.
Behütete Kindheit
Dabei hat Oblomow keine tragischen Kindheitserlebnisse zu verarbeiten. Ein unbekümmertes Dasein auf dem Gut seiner Eltern, mit Bediensteten und einer fürsorglichen, eben gerade vielleicht zu beschützenden Mutter (Susanne Bormann), die aber doch, nicht zuletzt durch ihre Religiosität, die Welt zusammenhielt. Nun sitzt er in seiner Stadtwohnung, in der die Tapete von der Wand fällt, mit einem ältlichen Diener (Axel Werner), der ihn schon von Kindheit an begleitet.
Er trägt nicht wirklich Verantwortung für sein Dasein, sondern zehrt von den Pfründen der Eltern, indem er von den Erträgen des Gutes Oblomowka lebt, das andere für ihn bewirtschaften. Bei Anforderungen, wie der drohenden Kündigung seiner Wohnung, zieht er lieber die Decke über den Kopf und flüchtet in eine Traum-Erinnerungswelt. Sphärisch dicht entsteht diese innere Welt durch Projektionen, Fotografien, Musik, Lichtstimmungen.
Genau dorthin geht auch der Zuschauer am liebsten mit, denn allzu trostlos ist die Kemenate Oblomows und das Gezänk mit seinem alten Diener.
Im Außen suchen, anstatt Selbstreflexion
Sein deutsch-russischer Freund Stolz, mit viel Verve von Felix Lüke verkörpert, schafft es – zumindest kurzfristig –, ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Oblomows Urteil zu seinem Ausflug in die gewöhnliche Welt ist jedoch vernichtend. Rennen doch alle für Nichtigkeiten, für Ruhm und Reichtum, da könne er ebenso gut auf dem Kanapee liegen bleiben, so sein Fazit.
Für einen Moment scheint dieses Urteil durchaus berechtigt. Doch wird bald klar, dass es als Vorwand missbraucht wird, selbst nichts ändern zu müssen. Genau da wird das Stück nicht an Aktualität verlieren. Entstanden in der beginnenden Industrialisierung verhandelt der Romanstoff das Seelenwohl, das bei zunehmender Materialisierung der Erfahrungs- und Gedankenwelt auf der Strecke bleibt.
Tragisch wird es, mit ansehen zu müssen, dass selbst seine Liebe zur intelligenten, dem Leben zugewandten Olga (Karla Sengteller) nach kurzem Aufflammen seiner Lebensgeister, ihn auch nicht aus seiner Apathie reißen kann. Auch und gerade weil sie seine Zuneigung aus vollem Herzen erwidert. Der falsche Gedanke, sie könne es eines Tages bereuen, sich mit ihm eingelassen zu haben, lässt ihn einen Abschiedsbrief schreiben – und damit die junge Pflanze des Liebesglücks zertrampeln.
Mangelnde Selbstachtung
Seine klare Seite ist sich sehr wohl bewusst, dass ein Leben mit Olga gravierende Änderungen für ihn mit sich bringen würde. Es ist wahrscheinlich die Angst, die ihn genau davor zurückschrecken lässt. Schmerzhaft muss Olga erkennen, dass sie trotz aller Sensibilität und Zuneigung es nicht vermag, Oblomow ins Leben zurückzuholen. Vergleichbar mit einem Alkoholiker kennt er nur die Treue zu seiner Droge, die da heißt Passivität und Verantwortungslosigkeit.
Indem er schließlich die Schwester eines Freundes ehelicht, die ihm in erster Linie Versorgerin ist, besiegelt er seine Verweigerung einer eigenen seelischen Entwicklung.
Olga hat sich für Stolz – den Erfolgsmenschen par excellence – als Ehemann entschieden. Indem sie am Schluss Stolz gegenüber ihre zeitweise düstere, seelische Verfassung zugibt, bewahrt sie ihre Authentizität. Sowie sie dadurch auch dessen nach außen demonstrierte Eindimensionalität ausgleicht. „Im Grunde wünsche ich mir, dass Ilja immer so bleibt, wie er ist. Ein Poet des Lebens. Er ist der einzige Mensch, bei dem ich so etwas wie Ruhe empfinde. Das darf er natürlich nie erfahren“, gesteht die Figur des Stolz.
Die Schauspielerin Karla Sengteller schreibt über die von ihr verkörperte Olga: „Ich denke, dass Olga, neben ihrer Lebensfreude und Kraft, auch eine tiefe Traurigkeit in sich trägt; denn das ist der Punkt, an dem sie und Oblomow sich begegnen. So wie sie ihn für einen Augenblick an seine Lebenslust erinnern kann, erinnert er sie an ihre Verlustangst.“
Ein Fazit, inwieweit Sengteller sich persönlich durch die von ihr facettenreich ausgespielte Rolle verändert habe, könne erst nach Abspielen der Inszenierung beurteilt werden, so die Schauspielerin. Den Oblowismus selbst kenne sie allerdings als „Trotzreaktion“, „wenn ich mich nach Außen dazu hindränge, irgendwie ‚besser‘ zu sein, als ich bin.“
Ästhetische Augenweide
Tröstlich bleibt bei dieser Ausweglosigkeit und Verlorenheit der Bühnenfiguren die Schönheit der Kostüme von Hanna Sjödin. Die Schmuckschatulle, als die das Renaissance-Theater bezeichnet wird, tut das Ihrige dazu.
Mit drei Stunden hat der Theaterabend wahrlich eine romanhafte Länge. Die Erfahrung, einen dramatischen Text zu erarbeiten, mit der Vorlage eines Romans, sei „eine Art Offenbarung“ für ihn gewesen, sagt Regisseur und Ideengeber Serre.
Nachdem die erste Fassung in französischer Sprache in Paris uraufgeführt wurde, erfuhr das Stück in deutscher Sprache eine weitere Veränderung und neue Dimension. Eine Notwendigkeit, damit das Stück lebendig bleibt, so Serre.
Die Quintessenz des Abends bleibt schmerzlich. Auch wenn einige Lacher im Publikum darüber hinwegtäuschen möchten.
Protagonist Matthias Mosbach weiß, seine Antennen seien deutlich sensibler geworden für alles, was mit „Trägheit“ zu tun hat. Und konstatiert: „Mir ist die Sehnsucht, den Rest meines Lebens glücklich (!) auf dem Sofa zu verbringen, bestens vertraut und umgekehrt weiß ich, dass es so ja auch nicht geht. Aber wie geht es denn nun richtig?“
Auf die Frage, wo er denn heute Oblomowismus wahrnehme, antwortet Mosbach: „[In] einem mitteleuropäischen, höchst privilegiertem, höchst aufgeklärtem Umfeld mit akademischem Hintergrund und quasi grenzenloser Freiheit für den Einzelnen“ herrsche „das Gefühl, die eigenen Potenziale nicht zu nutzen“. Dabei sei Oblomow „ ja nicht nur ein abschreckendes Beispiel, im Gegenteil. Es [läßt] mich auf äußerst witzige, besondere und berührende Weise über Arbeit und das sogenannte „richtige“ Leben nachdenken.“
Weitere Vorstellungen: Spielplan Renaissance Theater
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