Nachdenken über Kultur: Natur und Kultur – unser Steuerungssystem
Auf die Frage: „Was versteht man unter ‚Natur‘“? würden viele vermutlich sagen: „Eine unberührte Naturlandschaft, in der der Mensch die Natur erleben kann“. Manche würden vielleicht auch sagen: „Natur ist das, was vielen natürlichen Rhythmen zugrunde liegt, z.B. die Jahreszeiten, Tag und Nacht, Ebbe und Flut“.
Manche sprechen auch von „der Natur einer Sache“, z.B. dass eine Mutter sich fürsorglich um ihr Kind kümmert oder dass sich Höhen im Leben eines Menschen grundsätzlich mit Tiefen abwechseln.
Auf die Frage: „Was versteht man unter ‚Kultur‘“? würden viele vermutlich sagen: „Kultiviertheit, kultiviertes Benehmen, Kulturleben in Form von Opern-, Theater- oder Museumsbesuchen, Kulturbildung in Form von Kulturreisen, Kulturführungen oder Beteiligung an Kulturprojekten.“ Überall gibt es ein reges Kultur-Programm, über dessen Inhalt man sich regelmäßig informieren kann, wenn man kulturmäßig interessiert ist und wissen möchte, welche Kulturveranstaltung man besuchen soll.
Ist damit die Definition von „Natur“ und „Kultur“ hinreichend erklärt oder tappen wir hier eher im Dunklen, wodurch uns der Blick auf das Ganze verwehrt ist? Wenn wir uns der Definition der Begriffe „Natur“ und „Kultur“ in Lexika oder Wörterbüchern zuwenden, so erfahren wir jedenfalls nur Bruchstückhaftes über die Begriffe „Natur“ und „Kultur“. Das eine, so heißt es, ist etwas, was nicht vom Menschen geschaffen wurde, das andere ist etwas, das der Mensch gestaltend hervorbringt bzw. schafft.
Damit wissen wir über „Natur“ und „Kultur“ genauso wenig wie über den Geist oder die Seele. Wollen wir mehr darüber erfahren, müssen wir tiefer in diese Materie einsteigen, damit sich uns die wahre Dimension dieser beiden Mega-Begriffe eröffnet.
Nehmen wir beispielsweise den Menschen. Er ist eine Schöpfung und ein Ausdruck der Natur. Sein Körper ist ein Wunderwerk der Natur, er ist ein einzigartiger Mechanismus, konstruiert von einer übergeordneten Schöpfungsinstanz. Jedes Organ, jede Zelle, jedes Blutgefäß, jedes Gelenk, alles funktioniert minutiös wie ein Uhrwerk.
Ausgestattet von der Natur mit Sinnen, mit denen er wahrnehmen, hören, sehen und fühlen kann. Erfüllt mit einer geheimnisvollen Lebenskraft, die ihn atmen und die sein Herz schlagen lässt. Das alles ist das Werk der Natur und der Mensch erlebt sich täglich als dieses wunderbare Geschöpf, wenn er z.B. meditiert und seinen Atem ein- und ausfließen lässt oder wenn er sich auf seinen Herzschlag fokussiert – alles Dinge, die in ihm ohne sein Zutun ablaufen.
In der Natur des Menschen sind aber auch seine Talente, Begabungen und sein Charakter angelegt. Man sagt z.B. „Er hat eine friedliche Natur“, oder: „Sie hat eine helfende Natur“, oder: „Das Dichten entspricht seiner Natur“.
Mit der Natur des Menschen einher geht die Kultur des Menschen. Beide bilden ein Paar, wobei jedoch die Natur vor der Kultur steht und die Kultur quasi die Natur weiterführt und ergänzt.
Die Kultur gibt dem Menschen das Bewusstsein, dass er Mensch ist. Man kann dieses Bewusstsein auch als instinktives oder intuitives Wissen bezeichnen: der Mensch weiß einfach, ohne, dass es ihm jemand sagt, dass er ein Mensch ist und keine Blume oder kein Tier. Die Kultur des Menschen veranlasst ihn, sich wie ein Mensch zu fühlen. Er weiß nicht nur, dass er ein Mensch ist, sondern er fühlt sich auch als Mensch.
Und weiterhin veranlasst ihn die menschliche Kultur auch, dass er sich wie ein Mensch verhält und handelt. Dabei wird er die in der Kultur beinhalteten ethischen Regeln, die permanent wie „Funksignale“ auf ihn wirken, beachten, z.B. „behandele Mitmenschen so wie du gerne behandelt werden möchtest“ oder „lebe im Einklang mit der Natur“.
Die Kultur beeinflusst bzw. steuert das Leben des Menschen und sorgt dafür, dass seine Natur im täglichen Leben zum Ausdruck kommt. Ist beispielsweise in der Natur des Menschen angelegt, dass er musisch begabt ist, wird er diese Begabung im Leben einsetzen und entfalten. Er wird vielleicht Maler oder Musiker und seine individuelle Art von Kunst in Form von Gemälden oder Symphonien ausdrücken.
Wenn es in seiner Natur angelegt ist, dass er die Fähigkeit hat, andere Menschen zu heilen oder Menschen zu lehren, so wird ihn seine Begabung vielleicht in den Bereich der Medizin oder der Bildung führen.
Man kann die Kultur als Motor bezeichnen, die das, was die Natur angelegt hat, weiterführt und zum Ausdruck bringt und zwar im Rahmen der ethischen Grundwerte.
Betrachten wir das Zusammenwirken von Natur und Kultur im Menschen noch an einem anderen Beispiel:
Gemäß der Natur kommt ein Mensch entweder in einem weiblichen oder männlichen Körper zur Welt, ist also damit entweder Frau oder Mann. Entsprechend dem jeweiligen Geschlechtstypus bekommt der Mensch die jeweiligen physiologischen, seelischen und charakterlichen Eigenschaften mit, z.B. weiche Formen oder muskulöse Züge, Fürsorgefunktion oder Schutzfunktion, Herztendenz oder Verstandestendenz usw.
Gemäß der ursprünglichen Kultur hat der Mensch ein Bewusstsein, dass er Frau oder Mann ist. Er weiß, ich habe eine Vagina, also bin ich Frau, bzw. ich habe ein Glied, also bin ich Mann. Der Mensch weiß es jedoch nicht nur, sondern er fühlt sich auch so. Die Kultur veranlasst ihn, sich entweder wie eine Frau oder ein Mann zu verhalten und zu handeln und dabei die ethischen Regeln zu beachten.
Und doch kommt es nicht selten zu Irritationen, denn das menschliche Steuerungs- und Orientierungs-System „Natur und Kultur“ unterliegt dem Einfluss des vorherrschenden gesellschaftlichen Systems. Wenn beispielsweise in diesem System das Naturgesetz von „Frau und Mann“ abgeschafft wird und jeder das sein kann als was er sich fühlt, wenn weiterhin die Erziehung der jungen Menschen darauf ausgerichtet ist, entsteht im Menschen eine Irritation.
Naturgesetze sorgen für Klarheit, Sicherheit, Präzision. Sie sind für den Menschen intuitiv richtungsweisend. Wenn der Mensch sich anmaßt, Naturgesetze abzuschaffen und völlig neue Regeln aufstellt, führt dies automatisch zu Irritationen beim Menschen, weil der Mensch intuitiv spürt, dass diese neuen Regeln nicht der ursprünglichen schöpferischen Natur entsprechen. Dies wirkt sich auch auf den Bereich der Kultur aus.
Wir müssen erkennen, dass in unserer heutigen Gesellschaft die ursprüngliche Kultur des Menschen nur noch teilweise zum Tragen kommt. Dadurch kann er kulturmäßig nicht zum Blühen kommen, sondern ist wie eine Rosenknospe, die sich nicht öffnet.
Er ist kulturmäßig amputiert und hat sich eine Definition von Kultur geschaffen, die mit der wahren Kultur, die ein fortführender Bestandteil der Natur ist, nichts mehr zu tun hat. Da er ein kein Gefühl mehr für die wahre Kultur hat und diese daher auch nicht mehr als eine göttliche Gabe respektiert, maßt er sich immer mehr an, dieser ins Handwerk zu pfuschen.
Hierzu ein Beispiel: Es ist in der Natur des Menschen angelegt, dass er sich vom Kleinkind zum jungen Erwachsenen und älteren Menschen hin zum Greis entwickelt. Damit verbunden ist die Alterung des Aussehens. Man sieht mit 60 eben nicht mehr so aus wie mit 20.
Da in unserer heutigen Gesellschaft ein Jugendlichkeitswahn herrscht, möchte jeder möglichst jung aussehen mit der Folge, dass Faceliftings fast schon selbstverständlich sind. Anstatt die Natur zu respektieren und sie walten zu lassen, so wie es im Schöpfungsplan vorgesehen ist, pfuscht der Mensch hier der Natur ins Handwerk und erhebt sich zu seinem eigenen Schöpfer.
Dies wirft die Frage auf: Wie ist möglich, dass der Mensch aus seiner ursprünglichen Einheit „Natur und Kultur“ gefallen ist und sich anmaßt, sich über die Natur, die höchste Schöpfungsinstanz, zu erheben und sogar so weit geht, dass er eine künstliche Natur kreiert?
Die Ursache hierfür ist das Ego, das sich wie ein Gift durch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zieht: von der Politik über die Wirtschaft bis hin zu den Religionen. In unserer Gesellschaft dominiert der Egoismus und hat aus vielen Menschen mit einem intakten Natur- und Kultur-Verständnis Egoisten, Egomanen und Egozentriker gemacht. Sie scheuen nicht davor zurück, das Heiligste anzugreifen, was der Mensch hat: seine göttliche Natur.
Es ist nicht das jeweilige politische/staatliche, religiöse/kirchliche oder gesellschaftliche/wirtschaftliche System, welches das Übel ist, sondern es ist der in allen Systemen bestehende Egoismus.
Alles krankt am Ego, am Egoismus, an der Egozentrik, die sich zum neuen Gott erheben möchte, die sich zum Ziel gesetzt hat, aus der ursprünglichen göttlichen Natur und Kultur eine neue künstliche EGO-Natur und EGO-Kultur zu machen.
Beispiel: ein Stadtpark, auf dem sich vorher eine Müllhalde befunden hat und der von Menschenhand zu einem kleinen Erholungspark für die Stadtbevölkerung umgewandelt wird.
Nach einigen Jahren sieht der Stadtpark tatsächlich wie Natur aus, zumindest für jene, die in der Stadt wohnen und nur selten in die freie, unberührte Natur kommen. In Wirklichkeit ist die Wiese keine Blumenwiese wie in der freien Natur, sondern ein grüner Zierrasen wie auf einem Golfplatz, sind die Bäume keine wirklichen Naturwesen, sondern stammen aus der Gärtnerei, sind die Steine nicht durch die Eiszeit angeschwemmt worden, sondern mit dem LKW herbeitransportiert und architektonisch positioniert worden, ist der See kein wirklicher See, sondern ein Betonbecken.
Im gesamten künstlichen Stadtpark herrscht kein ökologisches Gleichgewicht und kein natürliches, sich selbst regulierendes Natursystem, sondern ist alles von Menschenhand gemacht und muss regelmäßig von Menschenhand gepflegt werden. Die Menschen, die sich im Stadtpark aufhalten, erfahren kein wirkliches Naturerlebnis und werden auch nicht von den Kräften und Energien der Natur gestärkt.
Denn die Natur ist keine Natur: unter der Erde befinden sich immense Müllmassen! In einem solchen Gelände herrscht weder Natur noch Kultur, d.h. es kann sich im Menschen kein wirkliches Naturgefühl und Naturerlebnis einstellen, weiterhin können die Kräfte der Natur ihn nicht harmonisieren, heilen und stärken. Denn der Park ist eine Naturattrappe.
Nur wenn der Mensch in der freien, unberührten Natur ist, die bereits seit Millionen von Jahren besteht, kann sich ein echtes Naturgefühl und Naturerlebnis einstellen und können die Kräfte der Natur in den Menschen einfließen. Wie ungemein erfrischt, harmonisiert und gestärkt man sich nach einem solchen Naturaufenthalt fühlt, weiß jeder, der es schon erlebt hat.
Wir Menschen haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir ordnen uns der wahren, göttlichen Natur und Kultur unter und leben im Einklang mit ihr, oder wir maßen uns an, eine künstliche, egobezogene Natur und Kultur zu schaffen und in unserem Hochmut zu glauben, dass wir dies können. Welch Narretei!
Niemals wird der Mensch die wahre, göttliche Natur kopieren können. Selbst wenn er z.B. Menschen künstlich erschaffen könnte, so würde diesen all das fehlen, was die göttliche Schöpfung Menschen mitgeben kann, z.B. Gefühle, Talente, Charaktereigenschafen, eine Seele und einen übergeordneten Lebensplan. Die künstlichen Menschen, die vom Menschen geschaffen werden könnten, würden nichts anderes sein als Roboter-Computer, denn nichts anderes kann der Mensch erschaffen.
Der Mensch ist und bleibt ein Zauberlehrling im großen kosmischen Gefüge und wird letztendlich immer nur Unvollkommenes schaffen können. Wir tun deshalb gut daran, uns unserer Grenzen bewusst zu sein und uns mit dem zu befassen, was unsere wahre Natur und Kultur ist, als in unserem Hochmut nach Höherem zu streben. Kein leichter Weg in einer egodominierten Welt, aber ein Weg, der sich lohnt. Denn nur ein Mensch der im Sinne der ursprünglichen, göttlichen Natur und Kultur zum Blühen gelangt, ist ein wahrhaft erfüllter, gesunder, glücklicher und harmonischer Mensch.
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.helene-walterskirchen.de/natur-und-kultur-unser-steuerungssystem/
Die Autorin, Publizistin und Kultur-Mentorin Helene Walterskirchen rief 2014 die Kultur-Sammel-Edition „Kultur-Magazin Schloss Rudolfshausen“ ins Leben, sie ist auch deren Herausgeberin. Als völlig unabhängiges und neutrales Kultur-Informations-Medium zeigt es die Kulturwurzeln, die Kulturentwicklung und die Kulturgrundlagen, auf denen das Leben der Menschen basiert. Das „Kultur-Magazin Schloss Rudolfshausen“ erscheint in der Regel zweimal jährlich. Bisher gab es 8 Printausgaben des Kultur-Magazins. Seit 2018 gibt es das Kultur-Magazin auch als Online-Ausgabe in verkürzter Form. www.helene-walterskirchen.de/
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