Nach fulminantem Start erleiden „Trojaner“ in der Deutschen Oper Schiffbruch

Großer Start für den neuen Generalmusikdirektor Donald Runnicles an der Deutschen Oper Berlin. Berlioz´ „Trojaner“ wurden für ihn zum Triumph. Schwerer tat sich Regisseur David Pountney: Nach fulminantem Start erlitt sein Konzept Schiffbruch. Trotzdem hingehen!
Titelbild
Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
Von 6. Dezember 2010

Alle Wege führen nach Rom, aber nicht immer zum Erfolg. Schon bevor er mit der Komposition von „Les Troyens / Die Trojaner“ begann, ahnte Hector Berlioz (1803-1869), dass sein Werk die Zeitgenossen überfordern würde. Auf Vergils Aeneis basierend, zutiefst verwurzelt in der Tradition der Grand Operá und doch radikal anders, entstand das Opus Magnum zwischen 1856 und 1858, in nur zwei Jahren. Berlioz hatte seine Vision davon einer Freundin mittgeteilt, die drohte, ihn nicht mehr zu empfangen, sollte er sich vor der Umsetzung drücken.

Wie Wagner schrieb auch Berlioz das Libretto zu seinem Bühnenepos selbst und – ähnlich Shakespeare – lässt er seine Helden Visionen haben oder lässt Geister ins Geschehen eingreifen. Da antike Stoffe im Frankreich des 19. Jahrhunderts völlig out waren, hoffte der Komponist zeitlebens vergeblich auf adäquate Aufführung. Zu seiner Zeit gescheitert, erfuhr das Werk erst im 20. Jahrhundert Wertschätzung.

Intrigante Götter

In großangelegten Tableaus wird der Zuschauer Zeuge vom Untergang Trojas, der Flucht des Aeneas und seiner Gefährten via Karthago nach Italien. Menschengeschicke werden zum Spielball der Götter wenn Juno die Liebe von Dido und Aeneas in Karthago initiiert, um seine Weiterfahrt zu verhindern. Doch weil die Gründung Roms Jupiters höchster Wille ist, muss Aenenas Dido verlassen, die sich aus Verzweiflung selbst tötet.

Szenisch ist die Aufführung ein Wagnis, zu viel setzt Vergil-Fan Berlioz als bekannt voraus. Er strich die Götterdialoge der Vorlage, die ihm unzeitgemäß schienen, weshalb die Handlung ständig springt. Spannend ist jedoch, dass seine Helden ausgerechnet die Frauen sind, mit denen der Zuschauer träumt und leidet, während die Männer ihrem Schicksal folgen, um Geschichte zu schreiben.

Mit zwei grandiosen Solistinnen, Petra Lang als Kassandra und Béatrice Uria-Monzon als Dido war an der Deutschen Oper für Frauenpower und damit für die Seele des Stückes gesorgt.

Außerdem traten an und auf: 130 Chorsänger, 20 Tänzer, 9 Bühnentrompeten und das Trojanische Pferd.

Vergil original: Der Geist des erschlagenen Hektor (Stephen Bronk) fordert Aeneas (Ian Storey) im Traum zur Flucht auf.Vergil original: Der Geist des erschlagenen Hektor (Stephen Bronk) fordert Aeneas (Ian Storey) im Traum zur Flucht auf.Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN. Anklicken zum Vergößern

Teil 1: Der triumphale Fall Trojas

Der erste Teil geriet packend und wie aus einem Guss. In breit angelegten Bildern wurde der Chor zugleich Kulisse und Hauptfigur für das überzeitliche Weltepos.

In Rostrot traten die kriegsgebeutelten Trojaner auf, ein Volk, das nach zehn Jahren Kampf kein normales Leben mehr zu kennen scheint. Die Kostüme: Eine gelungene Mischung moderner Armeebekleidung mit antiken Anleihen bei den Helmen und Brustpanzern. Das facettenreiche Kostümbild von Marie-Jeanne Lecca bestach im Troja-Teil durch Plastizität der Materialien, Vielfalt und Geschlossenheit. Später wurde es bunt und verlor leider Eloquenz und enge Verbindung zum Bühnenbild.

Wie verstrickt ins Schicksalsnetz trug Kassandra, die unverstandene Prophetin, ein blutrotes Häkelkleid mit Schleppe.  Petra Lang sang so faszinierend, wie sie aussah: Mit großzügiger Phrasierung, feurigen Höhen und kompromissloser Intensität kommentierte sie, rasende Furie und Opfer zugleich, den Untergang ihres verblendeten Volkes. Herzzerreißend beschwört sie ihren Verlobten Chorebeus, zu fliehen, der jugendlich und strahlend von Tenor Markus Brück gegeben wurde. Schließlich stiftet sie die Frauen zum Selbstmord an, um dem Besiegtsein und der Schande zu entgehen.

Nahtlos durch geschickte Bühnenbewegungen und poetische Lichtführung (Davy Cunningham) entspann sich eine Tragödie, die wirklich die Musik illustrierte, oder auch umgekehrt. Etwas steif war zwar der Auftritt von Hektors Geist (Stephen Bronk), als eine von Schwertern durchbohrte Statue. Gänsehaut bekam man dagegen beim Anblick seiner trauernden Witwe Andromache, schweigend in schwarz schreitend: Etoile Chaville. Der Massenselbstmord der Trojanerinnen, die nur mit ein paar Laken verschleiert die Metamorphose von Kriegerinnen zu weiblicher Verletzlichkeit schafften, war hochsensibel gelöst.

Monumental trat das Trojanische Pferd in Erscheinung: Bühnenbildner Johan Engels kreierte ein Ungetüm zwischen Saurierskelett und hölzerner Maschine, das bedrohlich Riesenkopf und Hufe über der Szene herabsenkt. Perfekt gelang dazu das akustische Wechselspiel zwischen Trompeten außerhalb der Bühne und Orchester im Saal.

Beinahe einhellige Begeisterung herrschte beim Publikum nach Teil 1, der mit großem Jubel für Petra Lang als Kassandra und Markus Brück als Chorebeus schloß.

Teil 2 in Karthago: Der Fall der Regie

Dido als glückliche Herrscherin inmitten ihres Volkes eröffnete den zweiten Teil. Wieder agierte der Chor als lebendes Bühnenbild. Tänze, die gestisch Baumeister, Seeleute und Bauern der jungen Stadt darstellen, gelangen sympathisch naiv. Der sonnige Kontrast zu Troja war geglückt.

Mit einem wunderbar warmen Alt ermuntert Liane Keegan als Anna ihre verwitwete Schwester Dido, wieder einen passenden König für sich zu suchen. Aber die Schöne (Béatrice Uria-Monzon mit gelben Chiffonkleid und Straß-Wimpern) bekräftigt mit abgedunkelter Stimme ihren Willen zum Verzicht. Da brechen schon Trojas Flüchtlinge wie Gespenster in ihre heile Welt ein. Die große Liebesgeschichte zwischen Dido und Aeneas ist vorprogrammiert. Perfektes Setting, bezaubende Sänger, da freut sich der Opernfreund. Doch was nach der zweiten Pause kam, waren nichts als Brüche und Enttäuschungen.

Eine glücklose Liason

Leidenschaft als List der Götter: Auf königlichem Jagdausflug von einem Gewittersturm überrascht, suchen Dido und Aeneas, „zufällig“ in derselben Höhle Zuflucht und werden ein Paar. So romantisch und diskret löst es der antike Genius Vergil. Und während der Kenner noch bewundert, mit welcher Zartheit Berlioz dieses Drama und Vergils heulende Nymphen in Töne kleidet, fing Pountneys Regie genau hier an, uninspiriert abzuflachen. Um nicht zu sagen, in Plattitüden abzustürzen.

Placenta-Ballett und Didos Mondfahrt

Der Tanz der Waldgeister wurde zum „Placenta-Ballett“ (so titulierte ein Kritikerkollege die peinliche Pantomime des Zwischenspiels): Eine Andeutung von Verführung hätte ausgereicht, stattdessen wurde man gezwungen, einem minutenlangem Treiben der Tänzerinnen und Tänzer zuzusehen, von dem die Damen schließlich kugelrunde Schwangerschaftsbäuche davontrugen. Diese entpuppten sich als überdimensionale Seifenblasen zur Dekoration der nächsten Szene, die Dido und Aeneas im Müßiggang trauter Zweisamkeit zeigte. Merke: Das Glück der Beiden wird gleich einer Seifenblase zerplatzen.

Und als ob dies nicht schon genug Ablenkung von Berlioz´ poetischer Schilderung einer großen Verliebtheit gewesen wäre, verstieg sich die Regie zum Höhenflug auf schaukelnden Gondeln. Das Duett „Nuit d`ivresse“, dem der Zuschauer berechtigt entgegenfiebert, wurde wunderschön und innig gesungen von Storey und Uria-Monzon. Doch die beiden trugen weiße Nachthemd-Gewänder und schwebten getrennt voneinander in Rhönrad-artigen Vorrichtungen, hinter sich ein lieblos projiziertes Sternenbild. Selbst Bücher für Hobby-Astronomen bieten besseres Bildmaterial.Unter ihnen kugelte sich schemenhaft und überflüssig ein Pärchen auf Kissen. Statt der besungenen „unendlichen Verzückung“ – die Enttäuschung des Abends.

Weniger original: Dido (Béatrice Uria-Monzon) starb blutig, aber ohne Scheiterhaufen.Weniger original: Dido (Béatrice Uria-Monzon) starb blutig, aber ohne Scheiterhaufen.Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN. Anklicken zum Vergößern

Am Ende: Das Chaos

Um die Kurve zum Anfang zu kriegen, wurde das traurige Ende der Geschichte, Didos Selbstmord mit Schwert und Scheiterhaufen, mit dem Bühnenteil von Kassandras Tod erzählt. Das aber rettete nicht den fehlenden Tiefgang. Kurz vor Schluss zappte die Regie förmlich zwischen verschiedenen Bildern, fand aber keinen roten Faden mehr. Nur die Sänger hielten das Publikum noch in Atem: Zum Beispiel Ian Storey mit der einzigen Arie des Aeneas, des verantwortungsbewussten Helden. Ohne Tenor-Klischees zu bedienen zeigte er, wieviel Stimmgewalt und Strahlkraft wirklich in ihm steckt, ernsthaft und tiefempfunden.

Béatrice Uria-Monzon lief mit Rachetaumel und Schmerz der Königin zur sängerischen und schauspielerischen Höchstform auf. Die Verzweiflung, mit der sich Dido in den Tod stürzt, nachdem sie liebevoll von ihrer Welt Abschied genommen hat, fesselte das Publikum.

Eine musikalische Sternstunde

Für lückenlose Begeisterung über die ganze Spiellänge sorgte das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles: Knallig wo angebracht, differenziert und farbenreich, transparent im Klang. Der neue Generalmusikdirektor hatte ihn einfach raus, den großen Bogen mit dem er beweisen konnte, dass die „Trojaner“ trotz aller dramaturgischer Tücken ein Meisterwerk sind, das jeden Personalaufwand rechtfertigt. Und immer trug er die Sänger, die bis zum Schluss keine Ermüdungen zeigten und bis in die Nebenrollen exzellent waren.

Der Chor der Deutschen Oper (einstudiert von William Spaulding) stand dem brillanten Orchester in nichts nach und brachte, ebenso nuancenreich zwischen Drama und Leichtigkeit changierend, eine sensationelle Leistung mit dem hinreißenden Klangvolumen von 130 Kehlen.

Am Ende feierte das Publikum stürmisch die Solisten, den Chor und besonders Dirigent Runnicles. Einige verständliche Buhs trafen Regisseur Pountney.

Fazit: Ein Muss für jeden Opern- und Berliozfreund.

Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

 

 



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