Minimalismus auf zehn Quadratmetern – Harfenistin Jeanine Vahldiek mit Band auf „Gute Laune“-Tour
Schon beim Betrachten der Bühne wird schnell klar, dass es ein außergewöhnlicher Abend werden wird. Die Dreadlocks der Frontfrau machen deutlich: Hier wartet kein klassisches Kurkonzert, sondern Entspannung und Freude pur. Im Gegensatz zu der Harfenistin, die barfuß spielt, trägt ihre Harfe bunte Ringelsocken, was viele Zuschauer schon im Vorfeld zum Schmunzeln bringt und für gute Laune sorgt.
Über 30 Percussioninstrumente, darunter Schlagzeug, Trommeln, Cajon und Regenmacher, versprechen ein vielseitiges Repertoire und lassen keinen Zweifel daran, dass es durchaus gerechtfertigt ist, einen einzelnen Mann als Band zu bezeichnen.
Für einen besonderen Blickfang bei ihrem Auftritt in Waren (Müritz) am 30. Juli sorgt das mit kultigen Prilblumen verzierte Wohnmobil des Musikerpaares. Damit touren sie noch bis Oktober durch Deutschland, bevor sie sich für die triste Jahreszeit aus ihrer Heimat verabschieden und sich in ihre Finca nach Spanien zurückziehen werden.
„Unsere Umkleide war noch nie so nah“, kommentierte Jeanine Vahldiek diese von der Warener Kurverwaltung eingeräumte Möglichkeit, durch die ihr Traum wahr wurde, das Wohnmobil zur Bühne zu machen.
Bereits nach den ersten Takten wippen hier und da die Füße im Publikum im Rhythmus. Die beiden Vollblutmusiker singen vom Leben, von Visionen, von Wahrheit, vom Sinn des Lebens und davon, dass es eine bewusste Entscheidung ist, im Hier und Jetzt fröhlich zu sein. „Denn das, was man ausstrahlt, fällt auf einen zurück“, sagt Jeanine mit einem verschmitzten Lächeln auf der Bühne.
Doch ist das Leben der beiden Musiker wirklich so sorglos, wie sie es auf der Bühne darstellen? Das wollte Epoch Times genauer wissen.
In euren Texten geht es viel darum, sein Leben frei zu gestalten. Wie sieht das bei euch aus, auch in finanzieller Hinsicht?
Steffen: Als freiberufliche Musiker ist es wie bei anderen Freiberuflern auch. Man darf kein Sicherheitsbedürfnis haben. Teilweise weiß man nicht, wovon man im nächsten Monat lebt, geschweige denn in einem Jahr. Man muss auch damit umgehen können, mal ganz wenig zu verdienen. Es ist gut, einen kleinen Taler zurückzuhalten, damit man nicht ganz ohne dasteht.
Jeanine: Man muss halt gut wirtschaften können, sonst funktioniert es nicht. Das musste ich schon während der Studentenjahre lernen. Wir lieben – Gott sei Dank – beide Minimalismus pur. Dadurch hat uns die Corona-Zeit auch nicht so brachial wie andere Musiker aus dem Konzept gebracht. Wir konnten uns irgendwie über Wasser halten, weil wir nicht viel benötigten. Wir haben damals auf dem Land gelebt und einfach mehr im Garten angebaut, sodass wir nicht groß einkaufen gehen mussten.
Inzwischen seid ihr beim Wohnmobil angekommen. Wie geht es euch damit?
Jeanine: Da ist man noch freier, das ist sozusagen die Vollendung des Freiseins – freier geht es kaum. Wir leben im Wohnmobil und fahren von Konzert zu Konzert. Mit dem Solar auf dem Dach sind wir komplett autark und stellen uns meistens dorthin, wo keine Menschen sind. Die Ruhe zieht uns an.
Steffen: Da ist dieses Spontane. Manchmal wissen wir nicht, wo wir abends stehen und übernachten. Damit kann auch nicht jeder umgehen. Aber das ist unser Lebensstil und wir finden das total super. Wir fahren einfach dorthin, wo es schön ist.
Auf der Bühne habt ihr davon gesprochen, dass ihr auf zehn Quadratmetern lebt. Läuft alles immer so harmonisch?
Jeanine: Ich weiß gar nicht, ob das wirklich zehn Quadratmeter sind, aber das ist halt eine runde Zahl. Na ja, man muss sich schon ganz dolle mögen. Aber der Trommler [Steffen] sagt auch immer, man muss sich auch auf 100 Quadratmetern mögen, sonst funktioniert eine Beziehung nicht. Wir haben den Vorteil, dass wir uns in all den 15 Jahren, die wir uns kennen, noch nie in der Wolle hatten.
Jede Beziehung zu einem anderen Menschen ist im Endeffekt eine Frage der Kommunikation. Natürlich kann man manche Sachen anders sehen, aber dann redet man einfach darüber. Also ich finde das eigentlich eher lustig.
Steffen: Das kann ich nur bestätigen. Außerdem hat jeder seinen Raum – Jeanine hat ihren Arbeitsplatz auf dem Bett und ich sitze am Tisch. Manchmal schreiben wir uns sogar E-Mails. (lacht)
In eurem Wohnmobil gibt es viele gehäkelte Dinge. Wo kommen die her?
Jeanine: Die mache ich selbst. Angefangen hat das vor einigen Jahren. Steffen fährt immer, der fährt halt gerne – na, dann soll er auch fahren. Früher sind wir immer auf der Autobahn gefahren. Irgendwann habe ich mir gesagt, dass ich etwas machen muss, als aus dem Fenster zu schauen, weil ich wegen des Fahrverhaltens anderer immer in Schrecken versetzt wurde. Da mir beim Lesen übel wird, habe ich angefangen, mir das Häkeln beizubringen. Ich habe dann so viel gehäkelt, dass ich nicht mehr wusste, wohin mit dem Zeug.
Als wir in den Camper gezogen sind, wollte ich es bunt. Also habe ich angefangen, die Vorhänge zu häkeln. Jetzt ist alles voll. Langsam bin ich in einer Bredouille. Es gibt noch ein Tischbein, das ich umhäkeln könnte. Ansonsten häkle ich jetzt auch schon Kleidung.
Steffen: Wir sind eben auf „Gute Laune“-Tour, und das spiegelt sich auch in den Farben. Wir mögen es bunt!
In euren Liedern gebt ihr den Zuhörern viele Tipps zum Thema Achtsamkeit, Freude, Leichtigkeit und über Gedankenketten, die man durchbrechen kann. Woher kommen diese Ideen?
Jeanine: Ich habe das lange genug selbst praktiziert und herausgefunden, was für mich funktioniert und was nicht. Ich habe auch viele Bücher über solche Themen gelesen. Heute setze ich mich an den Computer und fange an zu schreiben. Was dabei herauskommt, kann man auf meinem Video-Blog sehen.
Was bedeutet Achtsamkeit für euch?
Steffen: Achtsamkeit hat ganz viel mit Respekt anderen gegenüber zu tun. Das ist tierische Arbeit, weil man selbst immer merkt, wie man abdriftet und eben nicht achtsam ist. Wir arbeiten daran; das ist von morgens bis abends ein ständiger Prozess. Da kann man nie sagen: „Ich bin jetzt fertig, ich bin achtsam.“ Vergiss es! Es geht darum, sich mit voller Konzentration jeder Sache bewusst zu sein. Aber es macht auch Spaß. Multitasking, schneller und mehr machen, ist weitverbreitet. Etwas bewusst zu machen, ist etwas ganz anderes.
Jeanine: Man hat das Gehirn jahrzehntelang in eine andere Richtung trainiert, weil es in der Gesellschaft oder in der Erziehung so üblich war. Deshalb braucht man eine Weile, um zu lernen, wieder umzudenken.
Apropos Gesellschaft, die spielt sich bei vielen in den sozialen Medien ab. Welche Rolle spielt Social Media für euch?
Jeanine: Viele Jahre war ich hin- und hergerissen. Vor Jahren wollte ich mit Facebook und dem ganzen Gedöns nichts mehr zu tun haben. Vor einiger Zeit hielt ich das alles – Amazon, Apple, iTunes – für so kapitalistisch, dass ich das nicht mehr wollte. Auf diesen Plattformen verdient man als Musiker auch nicht viel.
Inzwischen habe ich erkannt, dass Social Media auch seine guten Seiten hat. Denn die künstliche Intelligenz folgt einem Algorithmus. Wenn die Leute, die noch denken können und bewusst leben, sich komplett aus dem Internet zurückziehen und nichts mehr posten, dann vergisst der Algorithmus diese Menschen. Ich versuche, dem ein wenig gegenzusteuern mit meinem Blog und philosophiere dann beispielsweise darüber, dass es keinen Sinn ergibt, Kartoffeln zu kochen, wenn man Reis essen will – auch das ist eine bewusste Entscheidung. Ich mache meine Videos aber nicht, um Geld zu verdienen, sondern für alle, die mal wieder einen „Denkanstoß“ benötigen.
Steffen: Ich habe mit Social Media gar nichts am Hut, das ist eine andere Abteilung. Ich wüsste nicht einmal, wie ich etwas posten kann. Aber manchmal bin ich in den Videos dabei – wie Jeanine gerade sagte – um positive Anstöße zu geben. Natürlich machen wir auch ein bisschen Werbung. Aber privat brauche ich Facebook & Co. nicht.
Wie kommt ihr zu euren Auftritten? Werdet ihr gut angenommen oder gibt es auch herbe Rückschläge?
Steffen: Wir bewerben uns überall dort, wo man spielen kann, also in Kulturämtern, Klubs, Theatern, Open-Air-Festivals. Die Resonanz, die zurückkommt, läuft gegen null. Aber das wird wahrscheinlich bei allen Musikern sein, die nicht von den Medien utopisch gepusht werden, weil die Leute auch viele Angebote bekommen. Ich muss immer wieder nachhaken und mit den Zuständigen das Gespräch suchen. Letztlich haben wir reichlich genug Konzerte – mehr geht gerade nicht.
Wir hatten natürlich früher auch große Träume, Hallen oder Stadien zu füllen – mit zehn- oder 20.000 Zuschauern. Mittlerweile fühlen wir uns in der Nische, in der wir angekommen sind, ganz wohl. So können wir während des Konzerts auch mit dem Publikum kommunizieren.
Dann sind die großen Träume vorbei?
Jeanine: Na, die sind ja nicht weg. Aber sie sind nicht mehr das ultimative Ziel. Wenn man als Musiker anfängt, muss man sich halt ein Ziel setzen. Das wurde uns so vorgegaukelt. Aber hey, wir leben seit 15 Jahren von der Musik. Wer schafft denn das? Wir spielen schließlich keine Cover, sondern eigene Songs. Das darf man nicht vergessen.
Wie entstehen eure Lieder?
Jeanine: Die Ideen kommen schon jetzt auf der Tour, aber da komme ich nicht zum Schreiben. Anfangs dachte ich noch, wie romantisch es wäre, wenn ich mit Steffen zusammen schreiben würde. Aber der Trommler saß nur am Keyboard und wir bekamen einen Lachanfall nach dem anderen. Da wurde mir klar: Er will nicht schreiben, dann muss er auch nicht. Wenn ich an einem Song arbeite, puzzle ich so vor mich hin, das hört Steffen ja dann schon. Denn wir leben sehr nahe beieinander. Wenn irgendwann ein Lied erkennbar ist, spiele ich es ihm vor.
Steffen: Ja, und dann klinke ich mich ein. Manchmal habe ich sofort eine Idee, manchmal braucht es Tage oder Wochen, bis ich das Richtige gefunden habe, was ich dazu spielen kann – oder eine zweite Stimme singe. Das wird dann so lange geprobt, bis es ins Programm für die nächste Tour eingestellt werden kann.
Ihr inspiriert auch Menschen, sich mehr mit Musik zu beschäftigen und ein Instrument spielen zu lernen. Warum?
Jeanine: Das ist gut fürs Gehirn. Es werden nicht nur verschiedene Regionen im Gehirn aktiviert, sondern auch verbunden. Da man Musik meistens mit anderen Menschen zusammen macht, hilft es dabei, die sozialen Strukturen zu erweitern – was gerade in den sozialen Medien verhindert wird, weil nur jeder am Handy sitzt.
Musik macht einfach Spaß und tut gut. Man kann abschalten und sich einfach auf sein Instrument konzentrieren. Natürlich dauert es länger, bis man ein Stück auf einer Geige spielen kann. Bei einer Harfe oder einem Klavier kommen gleich am Anfang die richtigen Töne heraus. Und wenn man dann ein wirkliches schönes Stück spielen kann, ist das einfach wunderbar. Ich könnte nicht ohne Musik leben.
Steffen: Und wir dürfen nicht vergessen: Wer ein Instrument in der Hand hat, kann kein Gewehr in die Hand nehmen.
Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Interview und viel Spaß auf eurer Tournee.
Das Interview führte Susanne Ausic.
Eine Übersicht über die anstehenden Termine gibt es hier.
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