Michelangelo: Eingesperrt für seinen Glauben
Es muss ein aufregender Moment gewesen sein, als Museumsdirektor Paolo Dal Poggetto 1975 in der Neuen Sakristei der Basilika di San Lorenzo eine unter einem Schrank versteckte Falltür entdeckte. Unter der Falltür führen steinerne Stufen hinunter zu einer winzigen Kammer, die 500 Jahre lang unbemerkt geblieben war. Zunächst schien es sich nur um einen Lagerraum für Kohle zu handeln, doch angesichts der Lage des Raums vermutete Dal Poggetto mehr unter dem Putz der Wände.
Experten entfernten wochenlang den Putz mit Skalpellen auf der Suche nach Hinweisen auf Kunstreste und legten Dutzende Zeichnungen frei, von denen viele mit ziemlicher Sicherheit Michelangelo Buonarroti zugeschrieben werden.
Es war der kunsthistorische Fund des Jahrhunderts. Mit diesem „ausgegrabenen“ Schatz wurde eine Geschichte voller Glauben, Macht und der unermüdlichen Mission eines Künstlers zum Leben erweckt.
Man geht heute davon aus, dass dies die Kammer war, in der sich Michelangelo 1530 zwei Monate lang vor der Rache der Familie Medici, den mächtigsten Bankiers der damaligen Zeit, in Florenz versteckte.
„Ich habe mich in einer winzigen Zelle versteckt“, schrieb Michelangelo, „begraben wie die toten Medici oben, aber versteckt vor einem Lebenden. Um meine Ängste zu vergessen, fülle ich die Wände mit Zeichnungen.“ – Michelangelos späterem Manuskript entnommen.
Die Überreste dieser Zeichnungen werfen die Frage auf, warum sich Michelangelo, der um sein Leben fürchtete, ausgerechnet vor der Familie versteckte, die ihn einst unter ihre Fittiche genommen hatte.
Im Alter von 14 Jahren wurde Michelangelo von Lorenzo de Medici, der auf das junge Talent aufmerksam geworden war, in den Palast der Medici aufgenommen. Er lebte dort wie ein Sohn der Familie und genoss das Privileg einer humanistischen Ausbildung.
In dieser Zeit schuf er auch sein erstes heidnisches Motiv, die Kentaurenschlacht, die Lorenzo 1492 in Auftrag gab.
Warum fiel der Künstler rund 40 Jahre später in den Augen der Medici in Ungnade?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die turbulente Zeit vor Augen halten, in der sich das Volk von Florenz gegen die Herrschaft der Medici auflehnte und die Familie 1495 aus Florenz vertrieben wurde.
Die hitzigen Ereignisse rund um den Konflikt zwischen Michelangelo und der Familie Medici verraten viel über die spirituellen Überzeugungen des Künstlers. In Michelangelos späteren Gedichtbänden kommt seine Hingabe an seinen Glauben an Gott immer stärker zum Ausdruck.
Über seine Einstellung zur Schönheit des menschlichen Körpers in seiner Kunst schrieb er: „Gott, der höchste Künstler, offenbart sich im sterblichen Schleier des Menschen. Gott, in seiner Gnade, offenbart sich mir auch in keinem anderen Aspekt deutlicher als in einem schönen menschlichen Schleier.“
Die Medici waren Ende des 13. Jahrhunderts von wohlhabenden Kaufleuten zur einflussreichsten Bankiersfamilie Europas aufgestiegen und übernahmen 1434 sogar die Herrschaft über die damalige Republik Florenz. Verantwortlich für den rasanten Anstieg ihres Machterwerbs war unter anderem ihr wichtigster Kunde, der Vatikan mit Papst Johannes XXIII., ein ehemaliger Pirat namens Baldassare Cossa.
Diese wirtschaftliche Verbindung fand zu einer Zeit statt, als der Vatikan an moralischer Autorität verlor und von Klerikern zunehmend der Korruption bezichtigt wurde. Vor allem der Dominikanermönch Girolamo Savonarola in Florenz äußerte sich öffentlich über seine skeptische Haltung gegenüber dem Oberhaupt der Kirche.
Prophet der Aufrichtigkeit
Savonarola war kein gewöhnlicher Prediger. Er gewann das Vertrauen des Volkes durch ein klares theologisches Verständnis und seine Art zu predigen, die direkt zu den Herzen der Massen sprach. Mit seiner wachsenden Popularität wuchs auch seine Kritik an der Kirche.
An den Papst richtete er einmal seine Anklage: „Du hast ein Haus des Betrugs gebaut. Du hast eine Prostituierte auf den Thron Salomons gesetzt. Die Kirche hat alle, die zahlen können, eingeladen, einzutreten und zu tun, was sie wollen. Diejenigen, die Gottes Willen tun, werden hinausgeworfen. O prostituierte Kirche, du verbreitest deine Unzucht überall vom Landesinneren bis zum Meer.“
Auch sah Savonarola in der Herrschaft der Medici die Ursache für den Verfall der Sitten und die Abkehr vom christlichen Glauben in Florenz, da sie heidnische Rituale verstärkten. Unter Savonarolas Einfluss begann die florentinische Bevölkerung, sich gegen die Herrschaft der Medici vermehrt aufzulehnen. Savonarola verband sich mit damaligen französischen Besatzern, bis die Familie 1494 gezwungen war, ihre Herrschaft in Florenz aufzugeben und die Stadt zu verlassen.
Kurz darauf, am 13. Januar 1495, hielt Savonarola vor einer großen Zuhörerschaft in der Kathedrale seine kraftvolle Erneuerungspredigt: „Sie (Florenz) ist glorreicher, mächtiger und reicher als je zuvor und breitet ihre Flügel weiter aus, als man sich vorstellen kann. In dem neuen Jerusalem, das Florenz ist, werden Frieden und Einheit herrschen.“
Nachdem das florentinische Volk die Medici ins Exil gezwungen hatte, führte Savonarola Florenz zurück in eine unabhängige Republik mit der Idee, dass das Gesetz Christi die Grundlage des politischen und sozialen Lebens sein sollte.
Savonarola sah in der sakralen Kunst ein Instrument zur Förderung seiner Weltanschauung und lehnte gleichzeitig die weltliche Kunst als schädlich ab.
Symbol der Unabhängigkeit
Michelangelos biblische Figur des Davids zum Beispiel spielte eine wichtige Rolle als Symbol für den Sieg über die Familie Medici. Die Skulptur wurde nach dem Exil der Medici vor allem von Mitgliedern der florentinischen Wollzunft in Auftrag gegeben und sollte ursprünglich auf der Fassade des Doms von Florenz aufgestellt werden. Statt den David auf dem Dom zu platzieren, wurde die fünf Meter hohe Skulptur 1504 im Zentrum von Florenz als Symbol der Unabhängigkeit aufgestellt, thematisch dem Riesen Goliath die Stirn bietend. Aus den Protokollen geht eine Diskussion über die provokative Platzierung der Skulptur hervor. Mit dem Rathaus im Rücken sah der Held aus, als würde er sich auf den Kampf vorbereiten. Sein Blick ging bewusst in Richtung Rom – der Ort, an den die Medici geflüchtet waren.
Laut Paul Barolsky, Geschichtsprofessor an der University of Virginia, gab es in Italien eine lange Tradition der Verehrung der biblischen Figur als Beschützer der Gesellschaft und der Kultur. Um ihn als Beschützer darzustellen, machte Michelangelo David größer, schöner und muskulöser, als es die biblischen Texte nahelegen.
Savonarolas Führung währte nicht lange. Er begann, immer heftiger gegen die Korruption der Kirche zu predigen, was zuerst zu seiner Exkommunikation und 1498 zu seiner Hinrichtung wegen Häresie durch Erhängen und Verbrennen im Zentrum von Florenz führte.
Bleibendes Vermächtnis
Alle seine Schriften, 90 an der Zahl, von Briefen bis hin zu großen Bänden, wurden von seinen Anhängern in ganz Europa verbreitet.
Nach Savonarolas Tod gewann die Familie Medici wieder an Einfluss, indem Giovanni de Medici zum Papst Leo X. gewählt wurde. Als Nachkomme der Medici in seiner neuen Position als Papst sorgte er dafür, dass die Medici 1512 wieder die Kontrolle über die Regierung von Florenz übernahmen und die Republik beendeten.
Dies geschah jedoch nicht über die Herzen vieler Anhänger Savonarolas und Florentiner, die die Demokratie unterstützten, darunter auch Michelangelo.
Diese Zeit in Michelangelos Leben war sowohl geistig als auch künstlerisch prägend. Er schuf einige seiner berühmtesten Werke wie den David und das Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle. Ähnlich wie Savonarola verstand er sich als Diener Gottes, aber nicht durch das Predigen, sondern durch die Kunst.
Als sich 1527 eine Gruppe Florentiner erneut gegen die Autorität der Medici auflehnte, gehörte Michelangelo zu denen, die sich aktiv für die Unabhängigkeit einsetzten. Er wurde sogar zum Direktor der Festungsanlagen der Republik gewählt. Die Familie Medici wurde erneut ins Exil getrieben, und die Republik wurde durch den Aufstand des Volkes wiederhergestellt.
Doch auch diese Wiederherstellung währte nicht lange. Nach blutigen Kämpfen nahmen die Medici 1531 die Herrschaft durch Papst Clemens, ebenfalls ein Nachkomme der Medici, wieder auf. Dieser setzte Alessandro de Medici als Herzog von Florenz ein.
Als der „Medici-Papst” und seine Familie wieder an der Macht waren, wurden alle republikanischen Sympathisanten unerbittlich bestraft. Dies hätte auch Michelangelo getroffen, wenn er sich nicht für zwei Monate in sein unterirdisches Versteck zurückgezogen hätte.
Es wird angenommen, dass die Kunstwerke in dem Raum, die er anfertigte, um sich zu beschäftigen, von einer Sammlung von Werken inspiriert sind, die er bereits vollendet hatte, und solchen, die er noch vollenden wollte.
Zum Glück für Michelangelo überwogen sein Ruhm sowie sein Wert für den Papst als Auftragskünstler seine Verfehlungen. Der Papst willigte ein, Michelangelos Leben unter der Bedingung zu verschonen, dass dieser das Grabmal der Medici in der Medici-Kapelle fertigstellt.
Als Michelangelo diese Nachricht erhielt, stimmte er zu, kehrte aus seinem Versteck zurück und vollendete das Werk.
Nachdem er den Auftrag der Familie Medici erfüllt hatte, verließ er 1532 seine Heimatstadt in Richtung Rom, da die Florentiner Republik beendet war, und kehrte aus diesem Grund nie zurück.
In Rom arbeitete er an einem weiteren großartigen Meisterwerk, dem „Jüngsten Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle. Zu diesem Zeitpunkt hatte Michelangelo miterlebt, wie ein Prediger sein Leben gab, um der Stimme Gottes zu folgen und nicht der Stimme des Papstes.
Wir können in diesem kraftvollen Fresko sehen, wie Michelangelo seine Erfahrungen in Florenz verarbeitete. Es scheint, als ob sein Sinn für Gerechtigkeit dieses Gemälde mit einer kraftvollen Interpretation von Gottes Gericht prägt, das die Folgen der Sünde und die Erlösung für diejenigen, die für den Glauben eintreten, anschaulich darstellt.
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