Meister der Harmonie
Kirill Novosselski, der Urenkel des ukrainischen Komponisten und Musiklehrers Reinhold Moritsewitsch Glière, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Ruhm, den einmal den Komponisten während seiner Lebenszeit begleitete, zu neuem Glanz zu verhelfen. Und er denkt, dass das bereits geschieht.
Kirill Novosselski lebt in Moskau und unterrichtet an der Universität Wirtschaftsgeographie. Auch wenn er selbst kein Musiker ist, hört er viele der mehr als 400 Kompositionen seines Urgroßvaters oft und gerne. „Ich glaube, dass ihre Komplexität, der Reichtum in der Melodieführung und die optimistische Stimmung genau die Qualitäten sind, die immer mehr Generationen von Künstlern und Zuhörern anziehen.“
Das Interesse an Glières Kompositionen war in den letzten Jahren mehr im Ausland als in seinem Heimatland gestiegen. Novosselski renoviert gerade die alte Wohnung seines Großvaters in der Innenstadt von Moskau, wo Kammerkonzerte und Informationsveranstaltungen für Musikstudenten organisiert werden.
Vor ein paar Tagen hörte er, dass im November dieses Jahres das Teatro dell‘Opera di Roma das berühmteste, bunte und umstrittene Ballett von Glière „Die Rote Mohnblume“ aufführen wird.
Geliebter Großvater
Man erinnert sich Glières als eines sehr klugen, freundlichen und liebenswürdigen Mannes. Seine Tochter Liya berichtete, dass sie und ihre vier Geschwister sich gewöhnlich an ihn wandten, um ihre Probleme zu besprechen. Dabei war es gleich, ob es um eine „kleine Fingerverletzung oder um eine unerwartete Schwangerschaft ging.“ Der Komponist reagierte weder mit Enttäuschung noch mit Wut. Er pflegte immer zu sagen: „Setz dich, mein Liebes! Suchen wir zusammen eine Lösung …“
Im öffentlichen Leben war Glière ebenso altruistisch. Als 1941 die Deutschen Moskau angriffen, verbrachte Glière seine Nächte auf dem Dach des Komponistenhauses und machte Brandbomben unschädlich. Und doch er war nie ein Kommunist und blieb während seines ganzen Lebens völlig unpolitisch.
„Die Reinheit von Tönen spüren“, wie er zu sagen pflegte, das war ihm während seines ganzen Lebens das Höchste. Aus solchen Tönen wohltuende und bedeutungsvolle Melodienfolgen zu gestalten, nahm den größten Teil seiner Zeit ein.
Lehrer von Prokoffjew und Mjaskowski
Das Musiktalent von Reinhold Moritsewitsch Glière (1875-1956) wurde sehr früh erkannt. Nachdem er Geige und später Klavier spielen gelernt hatte, absolvierte Glière 1900 das Moskauer Konservatorium und schloss in Komposition mit der höchsten Auszeichnung (einer Goldmedaille) ab, wie sein Vorbild Professor Sergei Ivanovich Taneyew öffentlich bekanntgab, der, so Novosselski, in dieser Zeit für „den absolut bedeutendsten Professor in Moskau“, gehalten wurde.
Glière hatte 1902 gerade das Konservatorium absolviert, als Taneyew ihm empfahl, zwei seiner Schüler zu unterrichten – das Wunderkind Sergei Prokofjew (damals zehn Jahre alt) und Nikolai Mjaskowski (der als Ingenieur beim Militär arbeitete).
Natalia Savkina beschreibt in ihrem Buch „Prokofjew – seine Zeit und sein Leben“, wie sehr der junge Sergej seinen Lehrer liebte. Glière erklärte sorgsam Musikformen und Harmonie und weckte so das Interesse und die Wissbegierde seines Schülers.
„Glière hatte dichtes schwarzes Haar, einen Schnurrbart und meistens seine Geige in den Händen. Er neigte sich ein wenig nach vorne, sein Gesicht war ernst, aber seine Augen unter den buschigen Augenbrauen konnten jederzeit zu lächeln beginnen. Er vermochte die Liebe des Jungen zu gewinnen und seine ein bisschen altmodische Höflichkeit konnte nicht verbergen, dass er im Grunde freundlich, einfach und herzlich war, so wie seine Musik. Der junge Lehrer war ein Mann von wenig Worten, aber das war kein Hindernis für ihre Freundschaft“, so Savkina.
Der Komponist aller Nationen
Über Glières Herkunft war lange diskutiert worden. Kirill Novosselski erzählt dazu eine Anekdote: Während einer privaten Party, zu der viele seiner Freunde und Schüler gekommen waren, wurde Glière gefragt: „Professor, wir haben viele verschiedene Versionen über Ihre Staatsbürgerschaft gelesen und gehört. Sie wurden in einer deutsch-polnischen Familie in Kiew geboren, gingen in Moskau zur Schule, heirateten dort und leben und arbeiten jetzt in der Sowjetunion. Die jüdische Enzyklopädie sagt, dass Sie jüdische Vorfahren haben; auf einem Ihrer Porträts in Baku (der Hauptstadt von Aserbaidschan) sehen Sie wie ein Aseri aus. Wer sind Sie?“
Glière schwieg einen Moment. Dann sagte er: „Vor sehr langer Zeit lebten einige meiner Ahnen in den Alpen (Plateau des Glières) und nicht so lange davor – in Deutschland (Klingenthal). Natürlich bin ich Russe – den größten Teil meines Lebens habe ich in Moskau verbracht, Russisch ist meine Muttersprache und ich liebe die russische Volkskultur. Aber ich fühle mich glücklich darüber, dass so viele andere Menschen, Ukrainer, Juden, Deutsche, Franzosen, Aseris usw. – mich als ‚ihren Komponisten‘ betrachten.“
„Und, meine Lieben“, sagte Glière schließlich, „viel besser ist es, wenn Sie überall als ein Verwandter und nicht als ein Fremder empfangen und respektiert werden!“ Das war seine Devise. Und die Verbreitung seiner Devise war sein Wunsch. Heutzutage leben überall in der Welt Verwandte von Glière. Nach Novosselski umfasst die ganze Familie Glière ungefähr 1.000 Menschen. Er sagt, dass Verwandte in Russland, Europa, den Vereinigten Staaten und in Brasilien leben.
Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung von Kirill Novosselski und Joerg Schnadt verfasst, beide Verwandte des Komponisten Reinhold Glière.
Erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 35/09
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