Matinée zur Bieito-Premiere von Beethovens Fidelio in München
Nichts Genaues wurde verraten bei der Einführungsmatinée zum neuen Münchner Fidelio.
Am Dienstag findet die Premiere statt, deren Tickets europaweit begehrt waren und die seit Wochen ausverkauft sind. Der Grund: Weltstar Jonas Kaufmann singt und Regisseur Calixto Bieito debutiert an der Bayerischen Staatsoper. Heute stellte das Regie-Team sein Konzept vor. Neugierig lauschte das Publikum den teils launigen, teils wortlastig abstrakten Ausführungen, die Intendant Nikolaus Bachler persönlich moderierte.
Bühnenbildnerin Rebecca Ringst versprach den Zuschauern ein offenes Gefängnis aus Glas und Metall, labyrinthartig und neun Meter hoch, durch das die Figuren irren würden. Sopranistin Anja Kampe, Darstellerin der Leonore, bekräftigte, dass trotz gegenteiliger Spekulationen im Vorfeld, das ganz Team hinter der Produktion stünde. Zusammen mit dem Darsteller des Rocco, Franz-Josef Selig, sang sie das Duett „Nur hurtig fort, nur frisch gegraben“ als Vorgeschmack auf das erstklassige sängerische Niveau, das die Zuschauer erwartet.
Ein Monument der Menschlichkeit
„Fidelio“ ist als Beethovens einzige Oper wie ein monumentaler Findling, der sich in vielerlei Hinsicht gewöhnlichen Maßstäben widersetzt. Es ist eines der vollkommensten Werke der Musikgeschichte, und doch wurde an ihm besonders viel experimentiert und herumgebastelt. Allein die Umsetzung beschäftigte den Komponisten zehn Jahre. Es brauchte vier Versionen und Anläufe bis zur ersten erfolgreichen Aufführung.
Im Fidelio gibt es gesprochene Dialoge, sinfonische Musik und eine Frau, die als Bursche verkleidet, ihren Mann in letzter Sekunde vor willkürlicher Ermordung rettet. Es ist die vielleicht moralischste Oper überhaupt: Mit seinem Humanismus und Freiheitsstreben ist Fidelio durch und durch ein Kind der Klassik und appelliert wie kein anderes Werk an Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein der Zuschauer. Die abschließende Hymne auf die „Retterin des Gatten“ ist zeitlos aktuell und nimmt das „Freude, schöner Götterfunken“ der Neunten Sinfonie vorweg.
Es scheint symptomatisch, dass bei der Einführungsmatinée viel von den Brüchen und Schwierigkeiten geredet wurde, die das Werk angeblich beinhalte. Und Intendant Nikolaus Bachler betonte in einem kurzen geschichtlichen Abriss, dass Beethovens Freiheits-Utopie nicht vor Missbrauch geschützt sei:
Die Nazis bestellten 1938 an der Wiener Staatsoper einen Fidelio zur „Befreiung“ Österreichs, die Alliierten feierten 1945 damit an gleicher Stelle den Sieg über Hitler und 1955 kam dieselbe Inszenierung nach Abzug der Alliierten erneut auf die Bühne. Sogar dem kommunistischen Regime der DDR gelang es, seine Ideale in das Stück zu projizieren.
Zerbrechlicher Rebell
Mit Spannung erwartete das Publikum den Katalanen Calixto Bieito, der von Bachler als „einer der wichtigsten Regisseure unserer Zeit“ vorgestellt wurde. In Jeans- und Schlabberlook ein eher schüchterner Typ, wirkte der 47-Jährige so gar nicht wie einer, der für Sex- und Gewaltexzesse auf der Bühne berüchtigt ist.
Sehr persönlich äußerte der„Tarantino der Opernregie“ seine Gedanken zum Stück: „Dass eine Frau ins Dunkle aufbricht, um ihren Mann zu suchen“, bewege ihn am meisten, sagte er. Und Fidelio zu inszenieren sei für ihn „eine Gelegenheit über Liebe, Freiheit und die Utopie, mit jemandem davonzufliegen“ zu sprechen.
Allerdings, das wurde angedeutet, wird Florestan bei ihm weniger Opfer äußerlich-physischer Gewalt sein, sondern ein Mensch der in Depressionen gefangen sei. Wie das zu Beethovens hartem Kampf von Gut und Böse passen soll, blieb fraglich. Passend zum Bieito-Konzept wird statt der Leonoren-Ouverture Nr. 3 (eine Unsitte, die von Gustav Mahler begründet wurde), zwischen Kerkerszene und Schlussbild ein Satz aus einem späten Streichquartett Beethovens erklingen: „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lidischen Tonart“ (Streichquartett Nr. 15 A-Moll Op. 132).
Bieito erklärte, er liebe diese Musik so sehr, dass er sich seit 23 Jahren nicht daran satthören könne. Das Odeon-Quartett, bestehend aus Mitgliedern des Staatsopern-Orchesters, interpretierte die blühende und schwebende Melodik, die sich choralartig schreitend entwickelt. Theaterwissenschaftlerin Dr. Barbara Zuber ließ sich – nach einer ausführlichen Würdigung des Musikstückes – zu der Aussage hinreißen, Bieitos Idee, das Streichquartett zwischen die beiden letzten Szenen zu setzten, sei genial. Intendant Bachler erklärte sogleich, das dies nicht abgesprochen gewesen sei, offenbar um dem Eindruck vorzubeugen, dass man hier etwas Fragwürdiges schönrede.
Zum Gedanken, dass in seiner Deutung alle Gefangene seien, äußerte der Regisseur:„Wir leben in vollständiger Verwirrung: Alles ist zugänglich. Ich habe alle Informationen, weiß aber nicht, wer der Boss ist. Wikileaks sagt dieses, die Zeitungen jenes. Manchmal denke ich, dass ich dumm bin, weil ich nichts mehr verstehe.“ Und die Konklusio des Enfant terrible lautete:
„Musik und Kunst, das ist Freiheit. Die Kunst und die Liebe sind für das Leben sehr wichtig. Das kapiere ich, aber den Rest…?“ Der war ihm, mit einer angedeuteten Geste „wurscht“, wie der Münchner sagen würde. Mit diesem schlichten Statement zog er Sympathie und echten Applaus auf sich.
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