Mastbruch im Eismeer: Die Seglerin Lisa Blair gibt nicht auf
Das Knacken war nicht zu überhören – trotz des Sturms, der über dem Eismeer toste. Und trotz des nicht enden wollenden Regens und der sieben Meter hohen Wellen, die gegen die Bordwand schlugen.
Es war der 2. April, gegen halb neun abends und schon dunkel am Rand der Antarktis. Die australische Einhandseglerin Lisa Blair fuhr in ihrer Kabine hoch. Dann hörte die 32-Jährige das Kratzen von Metall, etwas riss. Vielleicht 30 Sekunden vergingen noch, dann krachte der Mast steuerbords zur Seite und klatsche ins Wasser.
„In diesem Moment wusste ich, dass mein Traum geplatzt war“, sagt Blair, die auf einer Holzterrasse des Kapstädter Royal Yacht Clubs müde in die Sonne blinzelt. Ihr Weltrekordversuch war gescheitert, nach 81 Tagen alleine auf See. Aber Zeit darüber nachzudenken, hatte sie nicht. Ihre 15-Meter-Jacht „Climate Action Now“ kippte nach dem Mastbruch gefährlich zur Seite, und noch immer hing der Baum an der Takelage und zerrte an dem kleinen Boot.
Vier Stunden kämpfte Blair, bis sie alle Drahtseile gekappt hatte, an denen der Baum befestigt war. Es war ein riskantes Unterfangen bei rauer See. Aber sie kämpfte um ihr Leben. Mehrmals drohte sie zu kentern. Mit einem notdürftig gebastelten Behelfssegel kam sie schließlich langsam voran.
Lisa Blair werkelte einen ganzen Tag, bis auch das Leck an der Bordwand repariert war. Dann konnte sie ein wenig durchatmen – knapp 1700 Kilometer vom nächsten Festland entfernt. Und sie hatte nur noch wenig Diesel. Zum Glück fand sie bald ein Containerschiff, das sie mit Treibstoff versorgte. So schaffte sie es bis nach Kapstadt an der Südspitze Afrikas.
Über drei Jahre lang hatte sich Blair auf einen Weltrekordversuch vorbereitet: Sie wollte als erste Frau alleine die Antarktis umsegeln, am besten auch noch die Zeit des Russen Fedor Kunyokhof unterbieten, der dafür 102 Tage, 35 Minuten und 50 Sekunden gebraucht hatte.
Auf die Idee gekommen war die Seglerin, die Visuelle Kunst und Erziehungswissenschaften studiert hat, durch das Vorbild anderer Frauen: „Mir war aufgefallen, dass Frauen sehr viel Aufmerksamkeit erregen, wenn sie Dinge tun, die sonst Männer machen“, sagt Blair. „Dann überlegte ich, was noch nie eine Frau auf der Welt mit einem Segelboot angestellt hatte und kam auf die Antarktisumseglung.“
Mit ihrem Trip wollte die Profiseglerin auch auf die Gefahr des Klimawandels und die Produkte ihrer Sponsoren aufmerksam machen. Sie hatte 300.000 australische Dollar (rund 214.000 Euro) für die Ausrüstung zusammengesammelt und gemeinsam mit ihrer Mutter nochmal 140.000 Dollar für die Fieberglas-Yacht, die ursprünglich für die Melbourne-Osaka-Regatta gebaut worden war.
Anfang Januar stach sie im australischen Albany in See. Sie war sicher, an alles gedacht zu haben: genug Nahrung in Trockenboxen, auch Schokolade, Ersatzteile, Elektronik. Sie schrieb sogar einen Blog von unterwegs. Dann ging es im Süden von Australien los, vorbei am Südzipfel Neuseelands und dann zum Kap Horn, dem südlichsten Punkt Südamerikas.
Von dort hielt sie Kurs auf Afrika. Tracker vermeldeten rund um die Uhr ihre Position: Etwa zwischen dem 50. und dem 60. Breitengrad segelte sie zumeist soweit südlich wie möglich, ohne durch Eisschollen aus der Antarktis in Lebensgefahr zu geraten.
Und nun das Ende nach 81 Tagen einsamen Kampfs gegen die Naturgewalten, nur noch knapp 4000 Seemeilen vom Heimathafen entfernt. Das berüchtigte Kap Horn hatte sie gemeistert, eiskalten Winden getrotzt. Und dann war wohl irgendein kleines Teil durchgerostet, ohne dass sie es bemerkt hatte, und hatte jeden Tag mehr nachgegeben – ganz langsam, bis es brach.
Nun hadert sie mit sich. Die Wellen seien gar nicht so hoch gewesen, sagt sie, sie habe schon höhere erlebt: „Der Wind war auch nicht so stark, und die Kälte hatte ich mir auch schlimmer vorgestellt.“ Blair bestellt sich ein Schoko-Milk-Shake und blinzelt in die Sonne. Hinter ihr strahlt der Tafelberg, der über Kapstadt thront. Immerhin konnte sie inzwischen einen neuen Mast besorgen.
Denn Blair will weitermachen. Den Rekord des Russen wird sie nicht mehr brechen können. Auch an einem Stück kann sie den lebensfeindlichsten Kontinent der Erde nun nicht mehr umrunden. Aber zu Ende bringen will sie das Abenteuer trotzdem. Zwei Segler haben die Antarktis bisher nonstop umrundet.
Sie hofft nun darauf, es als erste Frau mit nur einem einzigen Zwischenstopp zu schaffen. Doch es wird ein Wettlauf mit der Zeit. Auf der Südhalbkugel naht der unbarmherzige Winter. Wenn das Boot bis zum 10. Mai flott ist, kann Lisa Blair die Fahrt fortsetzen. Sonst wäre sie endgültig gescheitert. (dpa)
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