Loriot – „fein beobachtet!“
Im Jahr 1154 wird das alte, weitverzweigte mecklenburgische Adelsgeschlecht derer von Bülow erstmals urkundlich erwähnt. Achthundert Jahre später, Anfang der 50er-Jahre, sucht der junge von Bülow ein kurzes und prägnantes Pseudonym und findet es im Bülow‘schen Familienwappen.
Kleiner Vogel mit großer Wirkung
Über 14 goldenen Kugeln auf blauem Grund, zwischen den Federn eines imposanten Ritterhelms, hat ein kleiner gelber Vogel Platz genommen – ein männlicher Pirol. Die französische Bezeichnung der singfreudigen Vogelart – „Loriot“ – ist heute aus der deutschen Kultur- und Mediengeschichte nicht mehr wegzudenken.
Sie ist zum Synonym für unverwechselbaren, feinen und gleichzeitig frechen Humor geworden, der aus der Quelle genauer Beobachtungsgabe schöpft und das Beobachtete präzise, ernsthaft und augenzwinkernd zugleich in Bild und Sprache übersetzt.
Stationen einer deutschen Jugend
Vicco von Bülow, wie er von seiner Familie genannt wird, wird 1923 in Brandenburg an der Havel geboren und wächst zusammen mit seinem jüngeren Bruder Johann-Albrecht in Brandenburg, Berlin und Stuttgart auf.
Ein präziser Blick und lebhaftes Interesse für seine Umgebung zeigen sich schon früh. Lehrer bescheinigen Vicco große zeichnerische Begabung. Hinzu kommt von Bülows Freude an klassischer Musik und darstellender Kunst. Bereits als Jugendlicher steht er als Statist auf der Bühne des Stuttgarter Staatsopernhauses und kann dort erste Theatererfahrungen sammeln. Die Faszination für Theater und Musik wird ihn zeit seines Lebens begleiten.
1941 legt er das Notabitur ab, um schon mit 17 Jahren Soldat werden zu können. Er hat Glück und überlebt den Weltkrieg. Sein jüngerer Bruder dagegen fällt im März 1945, nur wenige Wochen vor Kriegsende.
Vicco von Bülow schlägt sich durch Wirren und Not der Nachkriegszeit, bis er schließlich 1947 an der Kunstakademie in Hamburg ein Studium der Malerei und Grafik beginnen kann. Zuerst sind es Werbegrafiken, dann immer öfter humoristische Zeichnungen, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreitet. Die charakteristischen Männchen mit Knollnasen und stoischem Gesichtsausdruck bevölkern schon bald seine Cartoons, die für verschiedene Zeitschriften entstehen.
Komischer Rollentausch
Der ganz eigene Humor von Bülows, der alltägliche Szenen gern ins Absurde dreht, findet aber nicht nur positive Aufnahme. Für das Magazin „Stern“ entwickelt Loriot die Serie „Auf den Hund gekommen“, in der er Menschen und Hunde die Rollen tauschen lässt. Große, aufrecht gehende, sprechende Hunde unterhalten sich in den Cartoons über die Schwächen ihrer Menschlein, was nicht alle Leser als lustig empfinden.
Die Serie wird eingestellt, die Zeichnungen jedoch als Buch im frisch gegründeten Diogenes Verlag veröffentlicht, was Loriots lebenslange Zusammenarbeit mit dem Schweizer Verleger Daniel Keel begründet.
Viele Talente und plötzlich in Farbe
In den 50er-Jahren nutzt Viktor von Bülow nicht nur sein zeichnerisches Talent – er beginnt auch seine schauspielerische Begabung neu aufzugreifen. Kleine Nebenrollen in deutschen Filmproduktionen sind in gewisser Weise Vorbereitung auf die später folgende Tätigkeit als Fernsehmoderator.
Am 25. August 1967 um 10:57 Uhr drückt der damalige Bundeskanzler Willy Brandt auf der Funk-Ausstellung in West-Berlin eine große rote Attrappe in der Form eines Einschaltknopfes und gibt so den scheinbar mechanischen Startimpuls für den Beginn einer neuen Ära – der erstmaligen Ausstrahlung bundesdeutschen Farbfernsehens.
Im selben Jahr wird Loriot vom süddeutschen Fernsehen als Moderator des Fernsehmagazins „Cartoon“ engagiert. Eine neue Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist.
Legendär: Das rote Sofa
Auf einem roten Sofa sitzend, leitet er gelassen, schelmisch und charmant von einem Beitrag über Zeichner und Cartoons zum nächsten über. Eingestreut sind zuerst nur vereinzelt Zeichentrickarbeiten aus seiner eigenen Produktion. Der nonchalante Herr auf dem roten Sofa entwickelt sich jedoch zum Markenzeichen und das unverwechselbare, knollnasige Personal, das sich in seinen Cartoons tummelt, wird zum Zuschauerliebling der Sendung.
So nimmt es nicht Wunder, dass das beliebte Sendeformat Schritt für Schritt auf Loriot und seinen ganz besonderen Humor zugeschnitten wird. Hinzu kommen bald selbst erdachte, präzise geplante und gespielte Sketche, die Loriot dem Zuschauer in freundlicher Zurückhaltung und elegantem Understatement präsentiert.
Legendär wird die Art und Weise, wie es der Moderator versteht, für Sketche in verschiedene Charaktere zu schlüpfen, in größter Selbstverständlichkeit schrullig skurrile Dinge zu tun oder zu äußern und so das Publikum vor den Fernsehschirmen aufs Köstlichste zu amüsieren.
„Komik entsteht meist da, […] wo beabsichtigter Ernst aus menschlichen Gründen in sein Gegenteil umschlägt“, erklärte Viktor von Bülow die grundlegende Wirkweise seines Humors, der die dargestellten Protagonisten zwar mit Vergnügen belächelt, sie aber nie schadenfroh verlacht.
Bis 1972 entstehen jährlich drei, manchmal vier Folgen des überaus beliebten, launig humorvollen Fernsehmagazins. 1976 übernimmt der Sender „Radio Bremen“ das Format – nun unter dem inzwischen zum stehenden Begriff gewordenen Namen „Loriot“.
Kongenial: Evelyn Hamann, die stoische Hamburgerin
Das rote wird zum grünen Sofa und eine charmante Dame nimmt dort nun neben Viktor von Bülow Platz: Evelyn Hamann. In ihr findet von Bülow eine kongeniale Co-Moderatorin und Sketchpartnerin, denn die gebürtige Hamburgerin versteht so meisterhaft wie Loriot selbst – sogar in absurdesten Situationen –, gelassen und unterkühlt zu wirken.
Ob als „Fräulein Dinkel“, die das tollpatschige Liebeswerben ihres unbeholfenen Chefs ebenso linkisch erwidert oder als „Hildegard“, die im Restaurant auf die Nudel im Gesicht des Gegenübers hinweisen möchte, doch immer wieder durch das theatralisch kategorische „Sagen Sie jetzt nichts!“ des glühenden Verehrers unterbrochen wird – Evelyn Hamann und Viktor von Bülow ergänzen sich prächtig.
Scheinbar mühelos erscheinen diese urkomischen Beispiele Loriot’scher Komik und sind doch das Ergebnis von akribischer Textarbeit, perfektem Timing und großer Liebe zum Detail.
Bürgerliche Tugenden und schelmischer Humor
Viel habe sie von ihrem Kollegen Viktor von Bülow gelernt, berichtete Evelyn Hamann in einem ihrer seltenen Interviews: „Humor erfordert Strenge, Kunstfertigkeit und Disziplin“, fügte sie hinzu. Eine Aussage, die wie ein Widerspruch in sich wirkt, sich in Loriot’scher Komik jedoch aufs Unterhaltsamste auflöst.
Gleichzeitig spiegelt sich in den amüsanten Zeichnungen, Cartoons und Sketchen auch die Hybris menschlicher Selbstüberschätzung und Unzulänglichkeit – in zwischenmenschlichen Beziehungen ebenso wie im Umgang mit den alltäglichen und geradezu sprichwörtlichen „Tücken des Objekts“.
Über sich selbst lächeln können
Trotz aller Unbill – Loriots Figuren versuchen immer ihr Bestes zu tun und ihr Gesicht zu wahren.
In ihnen erkennt sich der Zuschauer selbst und lächelt zusammen mit Loriot, der die Welt nun wahrscheinlich aus anderer Warte betrachtet, über sich und die Unvollkommenheit der eigenen Spezies.
Im Caricatura Museum Frankfurt, Museum für Komische Kunst, Weckmarkt 17, 60311 Frankfurt am Main ist noch bis zum 25. Februar 2024 die Ausstellung „ACH WAS! LORIOT ZUM HUNDERTSTEN“ mit Werken aus allen Schaffensperioden Viktor von Bülows zu sehen.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion