In Sturmes Not – Von Julius Wolff 

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
Doch keiner verzagt, und keiner erschlafft, sie kämpfen sich durch mit Riesenkraft, und wie das Boot aus der Brandung fliegt, da sind sie am Land und haben gesiegt.Foto: iStock

In Sturmes Not

Eiskalt die Nacht; am Nordseestrand

wütet ein Sturm über See und Sand.
Die Brandung donnert, die Wogen rolln,
wie Himmel und Meer miteinander grolln.
Die Fischer im Dorf, von Sorgen erfüllt,
hören es, wie die Windsbraut brüllt,
die wuchtig über die Dünen fegt,
wildgrimmig auf Giebel und Dächer schlägt.
Nun dröhnt bei des Morgens Dämmerschein
ein Kanonenschuß in das Tosen hinein.
Ein Schiff in Not! Da springen sie auf,
Alte wie Junge, zum Strand im Lauf
und sehen gescheitert, fest auf dem Riff
ein unabbringlich verlorenes Schiff.
»Das Rettungsboot klar! hinein und fort,
wenn’s menschenmöglich, zum Schreckensort!
Doch wo ist Harro?« Der Führer fehlt,
der alle mit seinem Mut beseelt.
Im nächsten Dorf blieb er zur Nacht;
hat auch wohl, statt zu schlafen, gewacht.
Sie können nicht warten, dort gähnt das Grab
Seeleuten wie sie, – so stoßen sie ab.

Sie legen sich in die Riemen mit Macht;
die Dollen ächzen, die Planke kracht;
die Wellen schwingen und schleudern das Boot;
Sturzseen bringen’s in grausige Not,
daß denen am Strande das Herz erbebt;
so haben noch keinen Nordwest sie erlebt.
Doch die auf dem Wasser, in Stürmen erprobt,
Trotz bieten sie allem, was wider sie tobt;
sie steuern dem Schiffe näher und nah,
und endlich, endlich sind sie nun da,
von denen als Retter mit Jubel begrüßt,
denen das Leben schien eingebüßt.

Das Deck überschwemmt schon, versunken das Gut,
die Masten nur stehn noch in steigender Flut,
dran klammern sich die Verschlagnen und harrn,
daß ihnen die Glieder in Kälte starrn.
Die Fischer bergen sie Mann für Mann,
nur einen niemand noch retten kann;
er selber kann sich nicht regen mehr,
und das Boot ist voll, ist schon zu schwer,
liegt schon zu tief in den brechenden Well’n,
fort müssen sie ohne den armen Gesell’n.
Er sieht sie scheiden mit tränendem Blick,
ohne Hoffnung, besiegelt sein traurig Geschick.
Nun rückwärts an Land! Es braust und stürmt,
daß Woge sich über Woge türmt.
Der Himmel ist schwarz, die See ist weiß
vom wirbelnden Schaum; es perlt der Schweiß
auf all den Gesichtern, wetterbraun,
die um sich Tod und Verderben schaun.
Doch keiner verzagt, und keiner erschlafft,
sie kämpfen sich durch mit Riesenkraft,
und wie das Boot aus der Brandung fliegt,
da sind sie am Land und haben gesiegt.

Da ist auch Harro; sein erstes Wort:
»Habt ihr sie alle?« – »Nein, einer blieb dort;
er hing zu hoch in den obersten Rah’n,
wir konnten ihm nicht mit Rettung nahn.«
»So holen wir ihn,« spricht er in Ruh.
»Unmöglich, Harro! der Sturm nimmt zu,
wir kommen nicht ab, wir kommen nicht an,
wir müssen preisgeben den einen Mann.«
So meinen sie alle, doch Harro spricht:
»An Bord! ’s ist unsere heilige Pflicht!
Wer hilft?« Sie schweigen. »So fahr‘ ich allein!«
Da tritt auf ihn zu sein Mütterlein:
»Harro, dein Vater blieb draußen in See,
und nimmer verwind‘ ich das bittere Weh;
auch Uwe, dein Bruder, mein Jüngster, fuhr aus
und kommt nie wieder, nie wieder nach Haus;
der brave Junge! ich hatt‘ ihn so lieb,
Gott weiß, wo die Flut auf den Sand ihn trieb!
Nun willst auch du noch – « »Mutter, ich muß!
und käm‘ ich aus Wetter und Wogenguß
wie Uwe, dein Liebling, nie wieder zu Land;
wir stehen alle in Gottes Hand.«
Sie hält ihn, sie bittet, sie weint und fleht,
daß er nicht, ihr letzter Hort noch, geht:
»Denk an mich, deine Mutter! ich alte Frau – «
»Ja, Mutter, weißt du denn so genau,
ob der auf dem Wrack dort, todesmatt,
nicht auch daheim eine Mutter hat?«
Er springt ins Boot, vier Mann ihm nach,
für solchen Seegang zu wenig, zu schwach;
doch fahren sie los und versuchen ihr Glück.
Dreimal wirft sie die Brandung zurück,
dann sind sie hinüber; bald hoch und steil
saust auf den Kamm, bald wie ein Pfeil
schießt tief ins Wellental der Bug
des tapfern Boots auf seinem Zug,
verfolgt von den Blicken der Bangenden hier;
atemlos spähen sie starr und stier.

Die fünf gelangen zu Wrack und Mast,
noch hängt im Tauwerk oben der Gast.
Harro nun entert die Wanten empor,
holt selbst ihn herunter, der fast erfror.
Doch er lebt, und sie rudern mit ihm zurück –
das Schwerste vom schweren Wagestück.

Sie kommen! Im Boote, von Gischt umblinkt,
erhebt sich Harro am Steuer und winkt,
und ehe der Kiel berührt den Grund,
legt er zum Rufe die Hand an den Mund
und schreit mit markerschütterndem Ton:
»Mutter, ich bring ihn! ’s ist Uwe, dein Sohn!«

Julius Wolff  (1834 – 1910)



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