Im Sommerwinde – Von Bruno Wille

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
O Roggenhalme hin und her gebogen! Wie sanft sie flüstern, wie sie endlos wogen zu blau verschwommenen Fernen!Foto: iStock
Von 6. Juli 2019

Im Sommerwinde

Es wogt die laue Sommerluft.

Wacholderbüsche, Brombeerranken
Und Adlerfarren nicken, wanken.
Die struppigen Kiefernhäupter schwanken;
Rehbraune Äste knarren.
Von ihren zarten, schlanken,
Lichtgrünen Schossen stäubt
Der harzige Duft,
Und die weiche Luft
Wallt hin wie betäubt.

Auf einmal tut sich lächelnd auf
Die freie sonnige Welt:
Weithin blendendes Himmelblau;
Weithin heitre Wolken zu Hauf;
Weithin wogendes Ährenfeld
Und grüne grüne Auen …
Hier an Kiefernwaldes Saum
Will ich weilen, will ich schauen –
Unter zartem Akazienbaum,
Der vom muntern Wind gerüttelt
Süße Blütentrauben schüttelt.

O Roggenhalme hin und her gebogen!
Wie sanft sie flüstern, wie sie endlos wogen
Zu blau verschwommenen Fernen!
Schon neigen sich und kernen
Viel Häupter silbergrün.
Andre blühn,
Duftend wie frisches Brot.
Dazwischen glühn
Mohnblumen flammenrot
Bei dunkelblauen Cyanen …

Und droben wallen
Durch lichtes Blau
Wolkenballen,
Gebirgen gleich,
Halb golden und halb grau.
Frau Sonne spreitet
Den Strahlenfächer von Silberseide
Zur Erde nieder;
Dann taucht sie wieder
Aus schneeigem Wolkenkleide
Blendende Glieder
Und blitzt und sprüht
Verklärend Goldgefunkel
Auf Auen, wo lachend blüht
Vergißmeinnicht und gelbe Ranunkel
Und Sauerampfer ziegelrot …

O du sausender brausender Wogewind!
Wie Freiheitsjubel, wie Orgelchor
Umrauschest du mein durstig Ohr;
Du kühlst mein Haupt, umspülst die Gewandung,
Wie den Küstenfelsen die schäumende Brandung –
O du sausender brausender Wogewind!
Nun ebbest du, so weich, so lind –
Ein Säuseln, Lispeln, Fächeln.
Bestrickte dich ein Sonnenlächeln?
Auch dein Gesäusel stirbt;
Dann – lauschige Stille.
Nur noch die Grille
Dengelt und zirpt
Im Erlengebüsch, wo das Wässerlein träumt,
Von Lilien gelb umsäumt.
Ins Blaue weltverloren girrt
Inbrünstig die Lerche – schwirrt
Taumlig vor Wonne
Zu Wolken und Sonne
Und girrt und girrt.

Da wird mir leicht, so federleicht;
Die dumpfig alte Beklemmung weicht.
All meine Unrast, alle wirren
Gedanken sind im Lerchengirren,
Im süßen Jubelmeer ertrunken.
Versunken
Die Stadt mit Staub und wüstem Schwindel;
Versunken
Das Menschengesindel;
Begraben der Unrat, tief versenkt
Hinter blauendem Hügel,
Dort wo hurtige Flügel
Die emsige Mühle schwenkt …

Friede, Friede
Im Lerchenliede,
In Windeswogen,
In Ährenwogen!
Unendliche Ruhe
Am umfassenden Himmelsbogen!

Weißt du, sinnende Seele,
Was selig macht?
Unendliche Ruhe!
Nun bist du aufgewacht
Zu heitrer Weisheit.
Gestern durchwühlte dein Herz ein Wurm,
Und heute lacht
Das freie Herz in den Sommersturm …

Friede, Friede
Im Lerchenliede,
In Windeswogen,
In Ährenwogen!
Unendliche Ruhe
Am umfassenden Himmelsbogen!

Bruno Wille   (1860 – 1928)



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