Im größten Freiluftgefängnis der Welt – Vernichtungsstrategien der KP Chinas

China ist die größte Bedrohung der heutigen Zeit. Ein Buch gibt Einblick über dessen unfassbare Vernichtungsstrategien.
Titelbild
Chinesische Truppen marschieren am 5. September 2009 durch eine Straße in Urumqi, der Hauptstadt der uigurischen autonomen Region Xinjiang. (Philippe Lopez/AFP/Getty Images)
Von 9. April 2022

„China Protokolle“ hat die Journalistin Alexandra Cavelius ihr neuestes Buch genannt, das sie gemeinsam mit der kasachischen Ärztin und China-Dissidentin Sayragul Sauytbay („Die Kronzeugin“) zu Papier gebracht hat. Der Untertitel „Vernichtungsstrategien der KPCh im größten Überwachungsstaat der Welt“ beschreibt dabei recht präzise, worum es in dem 416 Seiten-Werk aus dem Europa Verlag geht: Einerseits bedeutet die Unterdrückung der autonomen Region ein äußerst lukratives Geschäft für die Kommunistische Partei Chinas (KPC), andererseits handelt es sich um ein nicht enden wollendes Grauen, dem die Einwohner von Ostturkestan (chinesische Provinz Xinxjiang) seit Jahren hilflos ausgeliefert sind. 

Es sind die Geschichten Überlebender, die albtraumhaft und erschreckend zugleich Einblick geben in einen Horror, den man sich in der westlichen Welt so nicht vorstellen kann. Peking hat die Nordwest-Region Chinas seit 2014 mit einem Netz an hochmodernen Konzentrationslagern überzogen und gleichzeitig einen weltweit einzigartigen Überwachungsstaat errichtet.

In dem Buch erfährt der Leser alle Einzelheiten über die grausamen und menschenverachtenden Methoden des chinesischen Regimes, die Existenz ethnischer und religiöser Minderheiten im Land auszulöschen. In zwölf Kapiteln kommen mehrere Überlebende zu Wort, die Cavelius interviewt hat. Sie treten als Zeugen auf für verschiedene Aspekte des dort stattfindenden Völkermords: Zwangssterilisation und Geburtenkontrolle, Kinderlager und Zwangsarbeit, Folter, Organraub, Vergewaltigung und Mord, um die wichtigsten zu nennen. Gemeinsam analysieren die Autorinnen am Ende jedes Kapitels noch einmal den Themenschwerpunkt und fassen damit die Aussagen der Opfer zusammen. Als langjährige Staatsbeamtin und Überlebende eines Lagers kennt Sauytbay die Strategien der KPC bestens. 

Dadurch entsteht eine gut geordnete und gegliederte Dokumentation, die einem bereits zu Anfang bei den ausführlichen Schilderungen der Totalüberwachung den Atem stocken lässt. Da heißt es beispielsweise auf Seite 28, dass jede Familie nur ein Küchenmesser, eine Axt und eine Schaufel besitzen dürfe, die zudem mit ID-Nummern und einem Chip versehen sind und der Einsatz damit 24 Stunden lang überwacht wird. „Wird das Messer für andere Zwecke benutzt oder nach der Arbeit nicht an seinen üblichen Platz in der Küche zurückgelegt, erhält das Überwachungssystem eine Meldung. Tritt so ein Alarm ein, droht insbesondere dem Besitzer des Hauses Inhaftierung.“ 

Weiter heißt es, dass alle Fernseher, Router und Strommasten mit Spionagegeräten ausgestattet sind, um jeden einzelnen Schritt selbst der Bauern in den entlegensten Dörfern überwachen zu können. Für Peking sind alle Menschen in diesem Gebiet potenzielle Terroristen. 2009 kam es in Urumqi zu einem Aufstand von Uiguren gegen die permanente Unterdrückung der Regierung. Seitdem hat die Partei dort Überwachung, Kontrolle und Vernichtung auf unvorstellbare Weise perfektioniert.

Bett mit einem Chinesen teilen

Inhaftierungen finden ständig und willkürlich statt. Seit 2017 hat Peking nachweislich 380 neue Internierungslager errichtet oder bestehende erweitert. Dort befinden sich derzeit etwa 3 Millionen Gefangene. Viele Zeugen sprechen zudem von unterirdischen oder auch versteckten Lagern in den Bergen, die nicht auf Satellitenbildern entdeckt werden können.  

Die Lager werden „Bildungszentren“ genannt, dienen aber in Wirklichkeit der schlimmsten Folter und Gehirnwäsche. Etwa 12 Millionen Uiguren und 5 Millionen Kasachen leben in Xinxjiang und sollen nach und nach zu gehorsamen Chinesen umerzogen werden, die ihre eigene Sprache, Kultur sowie Identität leugnen und ihren Eid auf Xi Jinping und die Ideologie der Kommunistischen Partei schwören. Die „Familienkampagne“, bei der muslimische Frauen das Bett mit einem Chinesen teilen müssen, ist eine weitere Methode der Übernahme.

Als Tor zum Westen ist Ostturkestan für die KPC strategisch sehr bedeutsam, denn hier laufen im weltweit größten Infrastrukturprojekt „Belt and Road Project“ (Neue Seidenstraße) die neuen Handelswege und Investitionsströme zusammen. Zudem verfügt die Region über viele Bodenschätze wie Erz und Gold und weist die größten Öl- und Gasvorkommen in ganz China auf. Grund genug für die KP, die ethnischen Völker der Region entweder zu assimilieren oder zu vernichten. 

Für medizinische Versuche missbraucht

Im Buch berichten alle Überlebende der Lager von Medikamenten oder Spritzen, die ihnen von Anfang an erzwungenermaßen verabreicht werden.

Während die Tabletten und Kapseln wie Drogen auf die Psyche wirken, haben die Spritzen offenbar körperliche Auswirkungen. Zumret Dawut erzählt auf Seite 66, dass die Frauen einmal im Monat diese Spritze bekommen, die „Krankheiten verhindern“ soll. Was tatsächlich geschah, war, dass sie anstatt ihrer Periode künftig starken, klebrigen Ausfluss bekamen. Und auch die junge Designerin und Unternehmerin Dina Nurdybay erzählt auf Seite 140 von Spritzen gegen angeblich ansteckende Krankheiten. Danach habe sie sich gefühlt, als habe man ihr eine eiserne Maske übergestülpt. Sie bekam höllische Krämpfe und ihre Periode verkürzte sich auf zwei Tage. Zwischendurch hätten die Beamten immer wieder ihre Haare und Fingernägel kontrolliert und Blutuntersuchungen gemacht. „Nachdem wir diese Spritze bekommen hatten, durften wir uns etwa zehn Tage lang nicht duschen oder waschen“, erzählt sie. 

Bei der Gehirnwäsche müssen alle Insassen immer wieder Xi Jinping loben und die Etappen der Welteroberungspläne der KPCh auswendig lernen. Wie Dina im Buch erzählt, will China bis 2050 Amerika als Weltmacht Nr. 1 ablösen und die gesamte Welt unter einer Devise vereinen: „Eine Nation, eine Sprache und eine Religion“, nämlich die der KP Chinas. 

Die Gründe für eine Inhaftierung sind in Xinxjiang so willkürlich wie die Auswahl der Foltermethoden. Die Menschen sollen gebrochen werden, um Werkzeuge der Partei zu werden. Wer sich widersetzt, stirbt. „Die gehirngewaschenen Roboter des kommunistischen Regimes wissen nicht, was Mitgefühl ist. Ihnen zufolge ist es notwendig, die Seelen der Menschen zu töten, indem man ihr Innerstes foltert und sie gefügig macht“, analysiert Sauytbay auf Seite 259.

Alexandra Cavelius und Sayragul Sautybay. Foto: privat

Nationale Datenbank für Organhandel

Alle Zeugen bestätigen, dass Mitgefangene regelmäßig verschwinden und nie wieder auftauchen. Teilweise werden sie offenbar Opfer des Organraubs. Genauso wie die seit 1999 vom chinesischen Regime verfolgten Falun Gong-Praktizierenden werden auch Uiguren und Kasachen Opfer dieser grausamen Ausschlachtung. Junge, gesunde Männer bis etwa 40 Jahre wählt man bevorzugt dafür aus. Auf Seite 283 heißt es: „Seit 2016 hat die KPCh die gesamte muslimische Bevölkerung einer nationalen Gesundheitsprüfung unterzogen und dabei Blutproben entnommen, Organe geröntgt und DNA-Tests durchgeführt. Vieles deutet darauf hin, dass die Kader eine nationale Datenbank für den Organhandel sowie das Geschäft mit Blutplasma aufbauen.“

Seit den Enthüllungen des Berichts „Blutige Ernte“ von 2006, in dem es hauptsächlich um den Organraub an Falun Gong-Praktizierenden geht, sind die Gräueltaten der KPC weltweit bekannt. Dass westliche Regierungen bis heute eher schweigen und wirtschaftliche Interessen mit dem Riesenreich in den Vordergrund stellen, macht es erst möglich, dass diese Methoden der Massenvernichtung in China immer mehr um sich greifen und auch vor dem Rest der Welt nicht haltmachen werden. 

Der Inhalt des Buches ist so tiefgründig, vielseitig und verstörend zugleich. Es gibt einen umfassenden Einblick in ein menschenverachtendes Regime, das bei seinen Welteroberungsplänen vor keinem Grauen zurückschreckt. 

Es ist ein enorm wichtiges Buch, wenn man verstehen will, auf welche Art und Weise die KP Chinas den Rest der Welt unterjochen wird, um zur Weltherrschaft zu gelangen. Die zentralasiatischen Länder entlang der Seidenstraße sollen dabei China genauso einverleibt werden wie das einst noch demokratische Hongkong und vielleicht schon bald Taiwan. Es ist eine wichtige Lektüre vor allem für die Entscheidungsträger in der Politik, um sich immer wieder vor Augen zu führen, mit welch einem kaltblütigen Regime man es hier zu tun hat – und vor allem um zu beginnen, ihm die Stirn zu bieten. 

Mut und Haltung in Litauen

Wie Cavelius in ihrem Schlusswort schreibt, hat das kleine Land Litauen Mut und Haltung gezeigt und eine neue taiwanische Botschaftsvertretung in Vilnius unter dem Namen „Taiwan“-Büro eröffnet. Da Peking aufgrund der „Ein-China-Politik“ nur die Bezeichnung „Taipeh“-Büro duldet, überzog es das kleine Land sofort mit zahlreichen Strafmaßnahmen. Litauen bleibt jedoch bei seiner Entscheidung und möchte die wirtschaftlichen Beziehungen zur Inselrepublik Taiwan ausbauen sowie Menschenrechte und Demokratie fördern. 

Weiter schreibt sie, dass das litauische Verteidigungsministerium seine Bürger dazu aufforderte, chinesische Handys wegzuwerfen und nicht mehr zu kaufen. Ein Bericht der staatlichen Cybersicherheitsbehörde habe gezeigt, dass ein Smartphone der Marke Xiaomi über integrierte Zensurfunktionen verfügte. Diese kann ohne Wissen des Benutzers jederzeit aktiviert werden. Zudem schicke der eingebaute Browser verschlüsselte Telefonnutzungsdaten an einen Server in Singapur. Mittlerweile habe man auch beim chinesischen Hersteller Huawei in P40 5G-Telefonen eine Sicherheitslücke entdeckt. Diese Erkenntnis sei für alle Länder wichtig, heiße es in Litauens Bericht. 

„China Protokolle“ zu lesen ist in Zeiten zunehmender Zensur und Überwachung im Westen ein absolutes Muss.

1. Auflage, 2021
22,00 € (D) / 22,70 € (A) inkl. MwSt.
ISBN 978-3-95890-430-9



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