„Avantgarde der Angst“ – Neues Buch von Norbert Bolz über die deutschen „Notsüchtigen“
Mehrere Jahre war Norbert Bolz ein gleichermaßen eloquenter und mutiger Gast in Talkshows, bis man dort merkte, dass er unbestechlich hinter die Kulissen der „Politik- und Medienmacher“ schaute und das auch zur Sprache brachte. Vor allem, wenn sich Bolz dann auch hinstellt und sagt: „Journalisten sind Politiker, die sich als Journalisten ausgeben.“
Zum Schweigen hat man Bolz nicht gebracht. Nahezu täglich findet man von ihm Aphorismen, Essays und Vorträge: etwa in der „NZZ“, auf YouTube oder auf Twitter unter https://twitter.com/NorbertBolz. Das publizistische und rhetorische Metier beherrscht Bolz exzellent, der fesselnd eine Stunde lang völlig frei reden kann. Das macht seine Schriften und Vorträge zu einem grimmigen Lese- bzw. Hörgenuss. Dazu gehören seine Bücher: „Die Konformisten des Andersseins“ (1999); „Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen“ (2008); „Diskurs über die Ungleichheit. Ein Anti-Rousseau“ (2009); „Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht“ (2010).
„Gefälligkeitsforschung“
Übrigens kommen beim Geistes- und Sozialwissenschaftler Bolz auch die Wissenschaften von heute nicht gut weg. Denn es ließen sich, so Bolz über so manche seiner Kollegen, immer mehr Wissenschaftler dazu überreden, ihre Prognosen als Gewissheiten anzubieten.
Hier fällt auch der Begriff der „Gefälligkeitsforschung“. Oder wenn Bolz in Sorge um den Weg, den Deutschland und der Westen geht, in dem oben genannten Buch aus dem Jahr 2008 schreibt: „Von Soziologen kann man nichts über Dekadenz erfahren, weil die Soziologie selbst die Dekadenz als Wissenschaft ist.“
Norbert Bolz (*1953), Medien- und Kommunikationsforscher, bis zu seiner Pensionierung 2018 Professor an der TU Berlin, platziert regelmäßig publizistische Volltreffer. Nun hat Bolz ein neues Buch herausgebracht. Es ist das höchst lesenswerte Bändchen „Avantgarde der Angst“. Bolz zerpflückt hier die neuen Apokalyptiker aus Politik, „Wissenschaft“, Publizistik und NGOs mit ihren Themen „Waldsterben“, „Pestizide“, „CO2“, „Klima“, „Erderwärmung“, „Gletscherschmelze“, „Fukushima“, „Diesel“, „Antibiotika“, „Artensterben“, „Corona“ und so weiter.
Wir können hier nur in Teilen wiedergeben, was Bolz in diesem kompakten Bändchen intellektuell ausbreitet. Fassen wir Wichtiges in Thesen zusammen.
„German Angst“
„Die Deutschen bilden weltweit die Avantgarde der Angst. ‚German Angst‘ und der deutsche Größenwahn sind offenbar Komplementärphänomene.“ Die Deutschen sind eben mal großspurig, mal hasenfüßig. Im Moment sind sie wohl wieder mal beides: An einer Panik- und Ökodiktatur „Made in Germany“ soll die Welt genesen.
Infantilität
Infantilität ist angesagt. „Greta“ wird von dieser Welle getragen. Deutschland und der Westen werden zu Peter-Pan-Gesellschaften. Kindheit wird zur dominierenden Macht. Nicht Männlichkeit, sondern Kindlichkeit sei zur Signatur unserer Zeit geworden, schreibt Bolz an anderer Stelle. Siehe dazu auch das Buch von Alexander Kissler „Die infantile Gesellschaft“, das wir hier besprochen haben.
Die „Notsüchtigen“
Angst und Hypochondrie sind angesagt, und zwar je besser es den Menschen materiell geht. Friedrich Nietzsche nennt diesen Typus Mensch den „Notsüchtigen“. Bolz spricht von einer „Angstindustrie“, ja einer „Angstreligion“ – beides befördert von Massenmedien, die damit eine frei vagabundierende Lust an (Selbst-)Aggression freisetzen.
Mit anderen Worten: Es geht uns wohl zu gut. Dass wiederum fördere Langeweile, und Langeweile wiederum tröste sich mit realen oder imaginierten Katastrophen. Wir sehnen schier die Angst vor der nächsten Angst herbei. Der Psychiater Bleuler hat das einmal „Phobophobie“ genannt.
Naturkult „Greenwashing“
„Je mehr die Welt säkularisiert und solchermaßen entzaubert wurde, desto mehr entwickeln Menschen einen Absolutheitshunger, desto mehr gieren Menschen nach Autorisierung: nach Ersatz- und Zivilreligionen“, schreibt Bolz.
Mittels permanentem „Greenwashing“ sei ein neuheidnischer Naturkult entstanden, mit dem „Vater Gott verabschiedet wurde, um Mutter Natur anzubeten. Zugleich sind die neuen Ersatz-Religionen Schuld-Religionen. Denn wenn es keinen Gott mehr gibt, müssen wir alles, was geschieht, den Menschen zurechnen“, schreibt Bolz. Siehe die These vom schier narzisstisch gepflegten anthropogenen Klimawandel!
(Diesseitige!) Ersatzreligionen
Wir wollen nicht noch mehr vorwegnehmen. Bolz‘ Buch lohnt unbedingt die Lektüre. Bolz greift mit seinem aktuellen Buch zudem intellektuell einen roten Faden auf, den er 2008 mit seinem Buch „Das Wissen der Religion“ geknüpft hatte.
Dort hatte er einleitend festgestellt, dass Religion nur durch Religion ersetzt werden könne, und sei es eben durch (diesseitige!) Ersatzreligionen, die sich als unbefragbar darstellen. Die Menschen wollen und brauchen es so in ihrer Angst, weil sie dann mithilfe einer Ersatzreligion ein Angebot der Kontingenzbewältigung bekommen, also ein Angebot des Umgangs mit Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten des Lebens sowie mit dem Nicht-Berechenbaren.
Bolz prognostizierte übrigens damals im Jahr 2008: Wenn die Kirche sich politisch öffnet, gehen nicht die Ungläubigen hinein, sondern Gläubige hinaus. Die Entwicklung der Zahl der Kirchenaustritte gerade im letzten Jahrzehnt gibt Bolz recht.
Aber das ist Gegenstand des genannten früheren Buches von 2008, zu dem man greifen sollte, wenn man durch die „Avantgarde der Angst“ quasi „durch“ ist.
Gastautor Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist.
Norbert Bolz: Avantgarde der Angst, Verlag Matthes & Seitz Berlin
TB 191 Seiten, 14 Euro, im Buchhandel oder bei Amazon
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Moderne Pädagogik konzentriert sich nicht auf die Vermittlung der moralischen Standards, der Kultur und des Wissens der Menschheit, wie allgemein vermutet. Ihr Ziel ist die „Erziehung und Bildung als Therapie“: Gefühle und Einstellungen der Schüler sollen bestimmten politischen Vorgaben entsprechen.
Der Ökonom Thomas Sowell analysierte, dass heutiger Unterricht zur Vermittlung der Werte die gleichen Maßnahmen verwendet, die in totalitären Ländern zur Gehirnwäsche von Menschen im Einsatz sind. Dazu zählt, emotionalen Stress hervorzurufen, "um sowohl den intellektuellen als auch den emotionalen Widerstand zu brechen".
Ein anderes Mittel ist die Isolation der Kinder (ob physisch oder emotional) von vertrauten Quellen emotionaler Unterstützung. Sie stehen stetig im Kreuzverhör und müssen ihre Werte darlegen - oft unter Manipulation des Gruppenzwangs.
Normale Abwehrmaßnahmen wie "Reserviertheit, Würde, ein Gefühl der Privatsphäre oder die Möglichkeit, die Teilnahme abzulehnen" werden unterbunden. Die erwünschten Einstellungen, Werte und Überzeugungen hingegen massiv belohnt.
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