Kinder berühmter Eltern: „Die ganze Welt ist eine Bühne“
Erinnerungsschwer und recht nachdenklich skizziert Anatol Regnier in seinem Buch „Wir Nachgeborenen – Kinder berühmter Eltern“ die Begegnungen mit berühmten Menschen, ebenso unterhaltsam wie über Abgründen schwebend. An dem legendären und geschichtsträchtigen Ostufer des Starnberger Sees wurde Anatol Regnier am 6. Januar 1945 in St. Heinrich geboren – seine Eltern waren die Schauspieler Charles Regnier (1914 – 2001) und Pamela Wedekind (1906 – 1986).
Er schreibt über die Nachfahren von Richard Strauss und Thomas Mann, Hans Fallada und Marianne Hoppe, Friedrich Gulda und Wilhelm Kempff, Heinz Erhardt und Peter Frankenfeld, selbstverständlich auch über die seines Großvaters Frank Wedekind. Der ausgebildete Konzertgitarrist und langjährige Lehrer am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium begann erst im Alter von 50 Jahren professionell zu schreiben.
Wehmütig denkt er zurück an seine Ehe mit der israelischen Sängerin Nehama Hendel (1936 – 1998); ihre Schauplätze waren die große Welt, ein Bauernhof am Starnberger See, Konzertsäle wie auch Hotellobies, wo sich das Ehepaar als Gästeunterhalter durchschlagen musste.
Ist ein großer Name Türöffner oder Hindernis?
Er ist nicht stolz auf sein Leben, obgleich es reich war. In Söhnen, Töchtern und Enkeln spiegeln sich Väter, Mütter, Großväter und Großmütter. Eine generationenübergreifende Gleichzeitigkeit entsteht. Wie gehen Kinder berühmter Vorfahren mit ihrem Erbe um? Ist ein großer Name Türöffner oder Hindernis?
Wieviel Mut erfordert es, sich auf Gebiete zu wagen, auf denen die eigenen Eltern Bedeutendes geleistet haben? Wieviel innerer Größe bedarf es, einzusehen, dass das eigene Talent möglicherweise nicht ausreicht? Anatol Regnier beschreibt die Welt von Theater, Literatur, Musik, Politik und deutscher Vergangenheit.
Das Leben ist offenbar ein einziges Theater, ob auf großen Bühnen oder im kleinen häuslichen Familiendasein. Man spürt zuweilen eine nicht ausblendbare Präsenz der Vergangenheit, insbesondere des Nationalsozialismus, die noch das Selbstgefühl der Enkel bestimmt – ob die Väter und Großväter nun Nutznießer wie Richard Strauss, Mitläufer wie Hans Fallada oder ins Exil Vertriebene wie Thomas Mann waren.
Anatol Regnier fühlt sich irgendwie zum Volk Israel gehörig. Das ist noch heute Adel und Fluch. Der Schatten des Holocaust liegt auch noch über den Prominenten der Nachkriegszeit. Ein bunter Reigen wölbt sich unterhaltsam über einen Abgrund. Die Toten sind da und betrachten die Lebenden aus heiterer Distanz.
Das Buch ist den Eltern des Autors gewidmet – es beginnt mit einer sehr bezeichnenden Einleitung: „Sie heißen Regnier? Sind Sie verwandt mit dem Schauspieler Charles Regnier? Das war Ihr Vater? Wirklich? Den habe ich sehr geschätzt. So eine noble, elegante Erscheinung. Und immer dieser süffisante Zug um die Lippen – ja, das waren noch Zeiten, als es solche Schauspieler gab … Jetzt, wo Sie es sagen, sieht man auch die Familienähnlichkeit. Und Ihre Stimme, genau wie die Ihres Vaters! Den hat man ja schon beim ersten Wort erkannt! Ich sehe ihn vor mir. Ein toller Mann! Wann ist er gestorben?“
[–Frühere Zeiten, bessere Zeiten?–]
„Frühere Zeiten, bessere Zeiten. Ich gebe Auskunft und freue mich, dass sich jemand meines Vaters erinnert. In die Lobeshymnen über ihn stimme ich ein – er war ein toller Mann. Ich habe ihn bewundert und geliebt. Er hat für mich gesorgt. Ich durfte meinen Neigungen nachgehen, durfte werden, was ich wollte, und wenn es finanziell eng wurde, hat er mir Geld zugesteckt. Natürlich war nicht alles heiter und unbeschwert – aber wer würde einem beiläufig Fragenden die komplexen Mechanismen eines Vater-Sohn-Verhältnisses auftischen? Er fehlt uns sehr, sage ich – und nenne sein Todesjahr: 2001 …
Bei uns hingen keine Gainsboroughs, und auf dem Klavier reichte es allenfalls für den ‚Fröhlichen Landmann’. Aber irgendwann, ich war vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, wurde mir im Bett vor dem Einschlafen plötzlich bewusst: Mein Vater ist ein berühmter Schauspieler. Ich freute mich: Ich bin etwas Besonderes! Dabei war ich nur ich selbst.
Andere, von denen in meinem Buch die Rede ist, mögen Ähnliches empfunden haben. Einige von ihnen kenne ich seit meiner Kinderzeit. Sie haben mir ihre Geschichte erzählt, soweit sie das für richtig und angemessen hielten. Wo sie Türen nicht öffnen wollten, blieben sie geschlossen."
Anatol Regnier schildert sehr ausführlich das tragische Leben und den Drogentod (wahrscheinlich Suizid) von Klaus Mann (1906 – 1949), dem ältesten Sohn von Thomas Mann, der sich nach dem Besuch der Odenwaldschule im Jahr 1924 mit Pamela Wedekind verlobte. Die Verbindung (keine Ehe) hielt vier Jahre, dann heiratete Pamela 1930 den 28 Jahre älteren Dramatiker Carl Sternheim, nach 11 Ehejahren erfolgte die Trennung. Sternheim starb 1942.
Im Juni 1941 in Berlin Hochzeit mit Charles Regnier. Anatol ist das älteste von drei Kindern. Die Mutter starb 1986 im 80. Lebensjahr in Ambach am Starnberger See. Sein acht Jahre jüngerer Vater überlebte die Mutter um 15 Jahre.
[–„Fettfleck“ Diana, die Tochter von Wilhelm Kempff–]
Im Herbst 1958 wechselte der 13-jährige Anatol vom staatlichen Max-Gymnasium in München auf die Rudolf-Steiner-Schule, wo Diana, das siebte und jüngste Kind des berühmten deutschen Pianisten Wilhelm Kempff (1895 – 1991) seine Klassenkameradin war. Diana Kempff (1945 – 2005) hatte aufgrund einer Drüsenerkrankung eine Fettleibigkeit, unter der sie sehr litt.
Wilhelm Kempff war mit seiner großen Familie 1955 nach Ammerland an den Starnberger See gezogen. Ein wunderschönes Haus auf einem traumhaften 10.000 qm großen Grundstück. Ein Künstler-Refugium par excellence. Aber auch nicht ohne Tragik. Diana, die ihr gestörtes Verhältnis zum Vater zu be- und verarbeiten versuchte, schrieb 1979 einen Roman mit dem Titel „Fettfleck“.
Regnier schreibt: „Mehr als fünfzehn Jahre vergingen, bis ich Diana wiedersah, zufällig in einem Münchner Café. Sie war noch immer füllig, das Unmäßige, Abnorme ihres Körpers war verschwunden. Ich war inzwischen verheiratet, hatte Kinder, unterrichtete Gitarre am Konservatorium und versuchte mich in der Kleinkunst-Szene. Und sie? Sie schrieb.
Dann erschien ihr Buch und schlug ein wie eine Bombe. Ohne Zweifel autobiografisch. Ein einziger, langgezogener Schmerzensschrei. Ironisch bis zur Selbstaufgabe. Bissig gegen die Familie, böse, anklagend, resigniert. Geboren auf Schloss Thurnau in Oberfranken am 11. Juni 1945, im Besitz der Familie ihrer Mutter, Hiller von Gaertringen. Für Diana waren Schloss und Umgebung offenbar Orte des Schreckens, mit Gespenstern in Fluren und Schränken, Hexen und Feen in verwunschenen Teichen und Felsenhöhlen. Einsamkeit spricht aus allen Zeilen, Verständnislosigkeit angesichts einer fremden, Angst einflößenden, nach unverständlichen Gesetzen funktionierenden Welt…
Diana hat ihr Leben lang um die Liebe ihres Vaters gebuhlt, aber war schon bei ihrer Geburt enttäuscht worden. Als im Morgengrauen des 11. Juni 1945 die Wehen begannen, sollte Wilhelm Kempff die Hebamme holen. Aber er traute sich nicht, die von den Amerikanern verhängte Ausgangssperre zu durchbrechen, befürchtete erschossen zu werden, stand, obgleich er genug Englisch konnte, unschlüssig auf der Schlosstreppe von Thurnau, bis die Mutter das Kind allein auf die Welt gebracht hatte.
Diana habe, so ihre ältere Schwester Irene, ihm diese Feigheit nie verziehen, das Verhältnis sei von Anfang an belastet und Diana schon als Kind muffig und patzig gewesen, nicht höflich und sonnig wie ihre älteren Geschwister. Der Vater habe das nicht geschätzt und sich von Diana zurückgezogen.“ Im Jahr 1986 wurde Diana Kempff mit dem „Kleist-Preis“ ausgezeichnet. Am 14. November 2005 starb sie im Alter von 60 Jahren schwerstkrank in Berlin.
Die letzten Seiten seines 330-seitigen Buches widmet Anatol Regnier dem bewegten Lebensgeschichte seines berühmten Vaters und seinem qualvollen Sterben: „Am Abend des 3. März 2001 hatte er einen zweiten, schweren Schlaganfall. Ich fuhr in die Klinik nach Bad Wiessee am Tegernsee. Er konnte nicht sprechen, war furchtbar unruhig, als ob er aufstehen und einen bösen Traum verscheuchen wolle … Der Vater lag mit offenen Augen, ohne Reaktion, der Körper wurde gewartet wie ein Gegenstand, eine Routine spielte sich ein, als ob es Normalität sei, alles drehte sich um ihn, aber er war längst nicht mehr da … Am 13. September 2001 konnte er endlich sterben…“
Von 1989 bis zu seinem Tod war Charles Regnier mit der Schauspielerin Sonja Ziemann verheiratet. Die Berlinerin hat glückliche Jahre mit ihrem dritten Ehemann verbracht und lebt wechselweise am Tegernsee und in St. Moritz.
Unser Leben vollzieht sich auf einer ständigen Theaterbühne, vor und hinter dem Vorhang – fröhlich, traurig, hoffnungsvoll, tragisch im Wechselspiel.
„Die ganze Welt ist eine Bühne, Und alle Frau’n und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab. Sein Leben lang spielt einer manche Rollen.“ (aus: „Wie es Euch gefällt“ von William Shakespeare)
Anatol Regnier
Wir Nachgeborenen: Kinder berühmter Eltern
336 Seiten
C.H. Beck; Auflage: 1 (15. September 2014)
ISBN-10: 3406667929
Euro: 22,95
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