Am Karfreitage – von Annette von Droste-Hülshoff
Am Karfreitage
Weinet, weinet, meine Augen,
Ach, der Tag will euch nicht taugen,
Und die Sonne will euch höhnen!
Seine Augen sind geschlossen,
Seiner Augen süßes Scheinen.
Weinet, weinet unverdrossen,
Könnt doch nie genugsam weinen!
Als die Sonne das vernommen,
Hat sie eine Trauerhülle
Um ihr klares Aug‘ genommen,
Ihre Tränen fallen stille.
Und ich will noch Freude saugen
Aus der Welt, der hellen, schönen?
Weinet, weinet meine Augen,
Rinnt nur lieber gar zu Tränen!
Still, Gesang und alle Klänge,
Die das Herze fröhlich machen!
„Kreuz’ge, kreuz’ge!“ brüllt die Menge,
Und die Pharisäer lachen.
Jesu mein, in deinen Schmerzen
Kränkt dich ihre Schuld vor allen;
Ach, wie ging es dir zu Herzen,
Dass so viele mussten fallen!
Und die Vöglein arm, die kleinen,
Sind so ganz und gar erschrocken,
Dass sie lieber möchten weinen,
Wären nicht die Äuglein trocken;
Sitzen traurig in den Zweigen,
Und kein Laut will rings erklingen.
Herz, die armen Vöglein schweigen,
Und du musst den Schmerz erzwingen!
Weg mit goldenen Pokalen,
Süßem Wein vom edlen Stamme!
Ach, ihn sengt in seinen Qualen
Noch des Durstes heiße Flamme!
Dass er laut vor Schmerz muß klagen,
Erd und Himmel muß erbleichen,
Da die Henkersknecht‘ es wagen,
Gall‘ und Essig ihm zu reichen!
Tei 1 – Fortsetzung folgt
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
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