Leonardo da Vinci – Konzentration und Ablenkung eines Genies

Die Geschichte eines Künstlers
Titelbild
Leonardo da Vinci: Inbegriff der Renaissance und Symbol des kreativen Menschen. (Foto: AFP/Belga Photo Benoit Doppagne)

Von Leonardo da Vincis vielfältigen Talenten ist schon immer viel geredet worden. Er war Maler, Bildhauer, Architekt, Musiker, Anatom, Mechaniker, Ingenieur, Naturphilosoph und Erfinder. In der Renaissancezeit wurde er als das italienische Universalgenie bezeichnet. Aber zu viele Fähigkeiten zu besitzen kann auch von Nachteil sein. Das Leben ist begrenzt und man muss Entscheidungen treffen, was am wichtigsten ist. Obwohl da Vinci ein Genie war, konnte er diese Frage auch nicht problemlos für sich klären.

Die frühen Jahre

Der Biograf Vasaris hat in seinem Buch „Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ (Le Vite de‘ piú eccellenti pittori scultori ed architettori da Cimabue insino a‘ tempi nostri) eine Geschichte von da Vincis frühen Jahren aufgezeichnet. Ein Bauer beauftragte da Vincis Vater, sein Schild in Florenz zu dekorieren. Der Vater übergab diese Aufgabe seinem Sohn. Der junge da Vinci überlegte sich, wie man dem Schild eine feind-abschreckende Funktion geben könnte. Er brachte das Schild in sein Zimmer, in dem sich seine große Sammlung verschiedener Tiere wie Käfer und Schlangen befand. Um eine furcht-erregende Wirkung zu erreichen, kombinierte und formte er die Gestalt von den Tieren um. Dann malte er noch Flammen und Rauch dazu. Schließlich erschien im Schild ein beispielloses Monster. Er hatte für die Fertigung lange Zeit gebraucht, und als sein Vater und der Bauer ihn nicht mehr drängten, war es fertig. Beim Anblick des Schildes erschrak sein Vater. Da Vinci sagte: „Das Bild ist sehr angemessen, da es die Wirkung hat, den Feind abzuschrecken.“ Sein Vater wunderte sich über die Begabung seines Sohns, und er wollte dieses Meisterwerk nicht einfach so verschenken. Deshalb gab er dem Bauern ein anderes Schild, das er gekauft hatte. Das Meisterwerk seines Sohns wurde mit hundert Gulden an einen Händler aus Florenz verkauft: Später kaufte es der Herzog von Mailand für dreihundert Gulden.

Obwohl dies nur eine Anekdote ist, gibt sie die Kreativität und Ernsthaftigkeit wieder, die da Vinci seit seiner Kindheit besaß. Wenn eine Aufgabe auf ihn zu kam, handelte er zuverlässig. Er war äußerst geschickt und investierte viel Zeit für Erfindungen. Solange er das Optimum nicht erreicht hatte, hörte er nicht auf.

Das letzte Abendmahl

Unter seinen außergewöhnlichen Kunstwerken ist das Wandgemälde Das letzte Abendmahl hervorzuheben, das sich im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie in Mailand befindet. Um die Szene aus der damaligen Zeit zu gestalten forschte er zunächst über die zeitgenössischen Gewohnheiten nach. Darüber befragte er auch Religionsgelehrte.

Egal an welchem Ort, in Gedanken war der Künstler beim Bild

Ein zeitgenössischer italienischer Schriftsteller schrieb über da Vinci: „Da Vinci ist es gewohnt, morgens auf sein Gerüst zu klettern. Vom Sonnenaufgang bis in die Nacht hinein verließ der Pinsel nie seine Hand. Er vergaß sogar zu Essen und zu Schlafen. Manchmal malte er für drei, vier Tage keinen Strich, schaute das Bild nur ausdruckslos an, blieb still für ein, zwei Stunden, um sich die Gestaltung zu überlegen. Selbst wenn mittags die glühende Sonne im Zenit stand, sah ich, dass er manchmal aus dem Haus heraus direkt zum Kloster lief, und auf sein Gerüst kletterte, nur um an einer Stelle einen Strich zu machen.“

Aber diese nach Vollkommenheit strebende Gewohnheit führte manchmal auch zu Missverständnissen. Der Abt des Klosters sah, dass da Vinci nur sehr langsam voran kam, und so glaubte er, dass sich da Vinci bei der Arbeit nicht anstrenge. Er beschwerte sich beim Herzog. Der Künstler musste Rede und Antwort stehen und erklären, dass ein Künstler sich erst den „Kopf zerbrechen und die Konzeption perfektionieren“ muss, bevor er mit der Arbeit anfangen kann. Momentan seien nur die Gesichter von Jesus und dem Verräter Judas noch nicht fertig und ein Modell zu finden bräuchte auch viel Zeit. Wenn der Abt insistiere, die Arbeit früher fertig zu machen, könne er nur das Gesicht des Abtes als Judas malen. Der Herzog lächelte und störte da Vinci hinfort nicht mehr.

Es dauerte viele Jahre, dieses epochale Meisterwerk von der Konzeption bis zur Fertigstellung zu bringen. Es hätte noch länger dauern können, wenn der Abt ihn nicht gedrängt hätte. Manche Historiker sind der Auffassung, dass nach der Fertigstellung des „letzten Abendmahles“ die Renaissance in ihre blühendste Zeit eintrat. Die Kunst der Menschheit erlebte ihre höchste Reife.

Streben nach Perfektion

Streben nach „Wahrhaftigkeit“ und „Perfektion“ war immer da Vincis Credo. Um eine Pflanze darzustellen, beobachtete er die Konstruktion der Pflanzen, dann erforschte er die Biologie, schließlich entdeckte er die Naturregeln des Pflanzenwuchses; um die Konstruktion des menschlichen Körpers zu beherrschen, zergliederte er Leichen, studierte die Beziehung zwischen Muskeln, Knochen und der körperlichen Bewegung. Seine Wissbegierde für das Leben ließ ihn noch weitere Gebiete der Medizin erforschen: Die Funktion von Herz und Kreislaufsystem, die Funktionen der verschiedenen Organe usw. Das waren Kenntnisse, die er nicht notwendigerweise besitzen musste. Doch durch seine Suche nach dem Ursprung und seinem Streben nach Perfektion versenkte sich da Vinci oft in Details und unwichtige Seitenwege. Aus diesen konnte er sich nicht befreien. Seine langdauernden wissenschaftlichen Forschungen hielten ihn vom künstlerischen Schaffen ab. Sein Hang zum Experimentieren führte auch manchmal zu Misserfolgen. Die riesigen Projekte Sforzas Reiterstandbild und das Gemälde der Anghiarischlacht, sind Beispiele dafür, wie er falsche Techniken anwandte. So hat da Vinci letztlich nur wenige vollständige Werke hinterlassen. Dies wurde ihm schon zu Lebenszeiten angekreidet und verärgerte seine Auftraggeber.

In den späten Jahren wohnte da Vinci in Rom. Papst Leo X, gab ihm einen Auftrag. Als da Vinci den Auftrag bekam, fing er nicht gleich mit der Arbeit an, sondern begann Öl zu raffinieren um es als Schutzlack für das Bild zu verwenden. Der Papst, der von da Vincis Eigenarten schon gehört hatte, stellte fest: „Ach, dieser Mann macht doch nie etwas fertig!“ So gab er ihm keinen Auftrag mehr, sondern bevorzugte den jüngeren bedeutenden Künstler Raffael.

Wahrhaftigkeit und Vollkommenheit

Kurz vor seinem Tod fragte er wieder und wieder: „Was habe ich Nützliches in der Welt gemacht?“ Er war überzeugt, dass er die Götter und die Menschheit erzürnt hatte, weil er in der Kunst nicht sein Bestes gegeben hatte.

Dennoch bewirkte da Vinci einen Wendepunkt in der menschlichen Kunstentwicklung was Perfektion und Reifung anbelangt. Er hat nicht nur seine Meisterwerke hinterlassen, sondern auch seinen nach Wahrhaftigkeit und Vollkommenheit strebenden Geist. Über seine Handschriften kann man seine Ideen und Schöpfungsprozesse erfahren und wie man ein wahres Kunstwerk schaffen soll.

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 4 (23.-29. Januar 2008)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion