Das Geheimnis eines Gemäldes: „Die Auferstehung“
Am Fuße des Apennin, 40 Kilometer östlich von Arezzo in einem Tal, das der Tiber Richtung Perugia und Rom durchfließt, liegt eine schöne toskanische Kleinstadt mit ungewöhnlichem Namen: Sansepolcro – heiliges Grab.
Im 10. Jahrhundert brachten der Legende nach zwei Pilger – gerade aus dem Heiligen Land zurückgekehrt – die Kunde und die Verehrung des Heiligen Grabes in das Tal Valtiberina, das noch weitgehend unbesiedelt war. Arcano und Egidio errichteten, so besagt es die Überlieferung, eine kleine Kapelle, die wiederum zur Keimzelle eines Klosters wurde, um das herum schließlich eine Stadt entstand.
Im Laufe der Jahrhunderte – immer wieder Spielball verschiedenster Herrschaftsansprüche und kriegerischer Auseinandersetzungen – blieb die kleine Stadt jedoch stets weitgehend vor Zerstörung bewahrt.
Unheil bahnt sich an
Am Ende des Zweiten Weltkriegs – an einem Morgen im August 1944 – war es jedoch beschlossene Sache, dass sich dies ändern sollte. Die Stadt stand kurz vor ihrer Bombardierung durch schwere Artillerie. Britische Truppen hatten auf den Anhöhen am Rande von Sansepolcro Stellung bezogen. Vom Oberkommando erging der Befehl, die Stadt mit schwerem Artilleriebeschuss einzudecken, um dort vermutete deutsche Truppen aus ihr zu vertreiben.
Doch am Morgen des geplanten zerstörerischen Bombardements fallen nur einige wenige Schüsse. Dann schweigen die schweren Geschütze und bleiben stumm. Die Artillerie eröffnet das Feuer selbst dann nicht, als das britische Oberkommando per Funkkontakt dazu drängte.
Nur einen Tag später erreichen italienische Partisanen die britischen Stellungen und berichten, die deutschen Truppen hätten die Stadt längst verlassen. Wie durch ein Wunder bleiben die Bewohner, die historische Stadt und der unvergleichliche Schatz, der sich in ihren Mauern befindet, gänzlich unversehrt.
So leuchtend wie am ersten Tag
Das heute weltberühmte Gemälde „Die Auferstehung“ des in Sansepolcro geborenen Künstlers Piero della Francesca befindet sich immer noch dort, wo er es um das Jahr 1460 – ungefähr im Alter von 40 Jahren – schuf: im Sala Magna, dem früheren Saal der Ratssitzungen des Palazzo dei Conservatori, dem heutigen Museo Civico der Stadt.
Es wirkt so, als habe der Maler gerade seinen Pinsel aus der Hand gelegt und das Malgerüst abgebaut. So frisch sind die Farben, so erstaunlich ist die Präsenz dieses Freskos, das durch seine Malweise untrennbarer Bestandteil der Putzschicht der Wand und somit des Gebäudes ist, in dem Piero della Francesca es vor über 560 Jahren auf frischem, noch feuchtem Kalk gemalt hat.
Doch es ist nicht nur diese erstaunliche Gegenwärtigkeit der Farben, die den Betrachter geradezu erschüttert. Es ist zuallererst ein Blick, der ihn unvermittelt trifft und ihn ganz persönlich meint. Ein Blick in die Welt, der jedem Einzelnen gilt und dem er durch dieses Fresko in ganz besonderer Weise begegnen kann.
Denn vor dem Betrachter steht hier, aufrecht und kraftvoll die ruhmreiche Fahne des Kreuzes tragend, der Gottessohn in seinem steinernen Sarkophag, den linken Fuß siegreich auf dessen Rand gestellt.
Christus ist wahrhaft auferstanden
Dies ist der Moment des größten Triumphs der Weltgeschichte, über die Weltgeschichte selbst, über die Zeit und den Tod.
Doch trotz dieses unvergleichlichen, alles verändernden Sieges herrscht tiefste Stille und ergreifende Ruhe. Die Augen Jesu – vor Minuten noch verschlossen und tot – haben sich für die Ewigkeit geöffnet. Die Dunkelheit des Grabes ist überwunden, Opfertod und Auferstehung Jesu haben die Welt für immer verändert und gerettet.
Nun liegt es an den Menschen selbst, diesen ruhigen, ernsten und direkten Blick Jesu zu erwidern, aus ihrer Nacht zu erwachen, zu erkennen, zu vertrauen, zu glauben und zu handeln. Doch die Menschheit scheint in der Gestalt der Wächter am Fuße des steinernen Sarges tief und fest zu schlafen.
Auf Geheiß der Hohepriester Jerusalems haben sie die Nacht vor der Grablege verbracht, um zu verhindern, dass sich die biblische Weissagung der Auferstehung erfülle, und trotzdem sind sie – obwohl bei Todesstrafe verboten – in tiefen Schlaf gesunken.
Sogar jetzt bemerken zwei von ihnen rein nichts von der radikalen Umwälzung, die sich in ihrer nächsten Nähe vollzieht. Schließt jedoch der rechte, sich zurück beugende Wächter seine Augen, weil die Gestalt Jesu alles überstrahlt? Hält der linke Wächter seine Hände aus Erschütterung vor sein Gesicht?
Im Hintergrund kündigt sich am frühmorgendlich zartblauen Frühlingshimmel der Aufgang der Sonne an. Die hügelige Landschaft ist kahl und leer, die hohen Platanen sind noch nicht belaubt. Mit Jesu Auferstehung kommt nun das wahre Licht noch vor der aufgehenden Sonne in die Welt. Deren radikale Verwandlung, Erblühen und Grünen steht kurz bevor. In der Stille dieses Morgens ist sie jetzt schon eine unumkehrbar andere geworden. In diesem alles entscheidenden und doch so stillen Moment liegt deshalb auch die drängende lebenswichtige Frage verborgen, ob sich die Augen und die Herzen der Menschen öffnen werden.
„Das schönste Bild der Welt“
In den frühen 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts bereist der Schriftsteller, Intellektuelle und Agnostiker Aldous Huxley Italien. 1925 erscheinen die Reiseberichte des späteren Autors von „Brave New World“ unter dem Titel „Along the Road“, in denen er das Fresko im Palazzo dei Conservatori in Sansepolcro mit folgenden Worten beschreibt:
„Seine klaren und doch gedeckten Farben leuchten aus der Wand heraus, in ungetrübter Frische. Weder Feuchtigkeit noch Staub haben es verunklärt. Wir brauchen keine Vorstellungskraft, um seine Schönheit zu erahnen; es ist direkt vor unseren Augen in seiner ganzen tatsächlichen Pracht – das schönste Bild der Welt.“
Fast 20 Jahre später, am Vorabend des befohlenen Bombardements, erinnert sich in den Hügeln von Sansepolcro der belesene und kunstliebende Kommandant der britischen Artillerieeinheit an diese Textstelle.
Der 26-jährige Anthony Clarke verbringt eine quälend schlaflose Nacht, bevor er am frühen Morgen trotz nagender Zweifel und innerer Skrupel den Befehl der Armeeführung befolgt. Nach wenigen Schüssen jedoch greift er ein und gibt das Kommando, das Feuer sofort einzustellen. Die Kanonen verstummen. Sansepolcro, seine Bewohner und das unvergleichliche Fresko bleiben verschont.
Jahre später wird Anthony Clarke zum Ehrenbürger der kleinen toskanischen Stadt ernannt. Sein Handeln im Sommer 1944 erklärt er mit den Worten: „Die Maßstäbe der Kunst sind wichtiger als die des Krieges.“
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