Kunst im öffentlichen Raum: „Quasimodo-Brunnen“ in Wien erregt die Gemüter
Für hitzige Debatten sorgt derzeit weit über den Wiener Bezirk „Favoriten“ hinaus ein Brunnen im Sonnwendviertel nahe dem Hauptbahnhof. Gestaltet hat ihn die seit 1993 bestehende Gruppe „Gelitin“, die bis 2005 als „Gelatin“ firmiert hatte. Das aus vier Personen zusammengesetzte Kollektiv orientiert sich unter anderem an den Traditionen des Dadaismus und Wiener Aktionismus. Seine Kunstwerke im öffentlichen Raum haben bereits mehrfach für Kontroversen gesorgt.
Gelitin: Brunnen soll „gemeinsame Verantwortung für das Wasser“ zum Ausdruck bringen
Der am 24. Oktober im Beisein von Bundespräsident Alexander van der Bellen und Bürgermeister Michael Ludwig eingeweihte Brunnen soll den 150. Geburtstag der Wiener Hochquellleitung würdigen. Wie der „Standard“ schreibt, setzte sich Gelitin mit dem Projekt „Wir Wasser“ in einem Wettbewerb durch. Diesen hatten die Wasserwerke der Stadt Wien in Kooperation mit der Kunst im öffentlichen Raum GmbH (KÖR) ausgeschrieben.
Während das eingereichte Modell noch mehrfarbig gewesen sein soll, stellt sich die Endfassung in einem einheitlichen Grau dar. Der Brunnen mit einer je nach Windstärke regelbaren Fontäne ist von 33 Figuren umringt. Leser des „eXXpress“, der als eine der ersten Publikationen über das Kunstwerk berichtete, meinten darin unter anderem verfremdete „Michelin-Männchen“ zu erkennen.
Wolfgang Gantner von Gelitin erklärt dazu, der „Menschenkreis“ von „aus Beton geformten Formen“ spiegele die gemeinsame Verantwortung für das Element Wasser wider:
Der Brunnen vermittelt uns das Wir-Gefühl und zeigt uns, dass wir es sind, die unser Wasser schätzen und schützen müssen.“
Zum Schutz vor Vandalismus mit durchsichtigem Graffiti-Schutz versehen
Bürgermeister Michael Ludwig sprach von einem „Brunnen für ein Miteinander“. Nicht bei jedem Wiener scheint sich dieses Gefühl jedoch gleichermaßen einstellen zu wollen. Leserkommentare im „eXXpress“ und Debatten auf X ließen ein hohes Maß an Ablehnung erkennen. So war unter anderem zu lesen:
Niemand, der bei klarem Verstand ist, kann das für schön halten.“
Fountains in 1902: Fountains in 2023: pic.twitter.com/9wQmesAepn
— Culture Critic (@Culture_Crit) October 30, 2023
Bereits wenige Tage nach der Eröffnung waren erste Schmieraktionen zu verzeichnen. Kritik riefen auch die Kosten für das Projekt hervor. Der „Standard“ schreibt von 1,8 Millionen Euro. Darin seien Planung, Umsetzung, künstlerische Gestaltung, Bau und technische Ausstattung enthalten. Eine im Internet kursierende Summe von 2,1 Millionen sei unzutreffend.
Die Kosten für die Reinigung des beschmierten Objekts dürften sich jedoch in Grenzen halten. Der Stadtverwaltung zufolge habe man den Brunnen vor der Inbetriebnahme vorsorglich mit einem durchsichtigen Graffiti-Schutz versehen. Aus den Reihen von Gelitin hieß es, „gute Kunst“ könne ohnehin „nicht zerstört werden“.
Weltweit erfolgreich – jedoch weit von Schöngeistigkeit entfernt
Die Gruppe selbst betont im Zusammenhang mit ihren Werken, dass diese „nicht für die Ewigkeit konzipiert“ seien. Einige stellen Aktionskunst dar, andere sind von Beginn an als temporär geplant. So beispielsweise ein gefällter Laubbaum in Frankfurt am Main, der 2012 unter dem Titel „Kühlschrank, Bett, Tastatur“ installiert wurde.
Ein riesiger rosa Hase aus Stoff und Stroh auf einer Alm im Piemont wurde wiederum von Kühen gefressen. Bis dato hat das Kollektiv Gelitin seine Werke in Städten wie Rotterdam, Moskau, Mailand oder New York ausgestellt. Einige davon sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, vulgär und unästhetisch zu wirken.
Die Inszenierung solle jedoch, so der „Standard“, das Publikum nicht nur provozieren, sondern „spielerisch“ dazu verführen, „in die Arbeiten einzusteigen, an ihnen teilzuhaben“. Faktisch bewirkt das Schaffen der Gruppe allerdings häufig eine Bestätigung der in der Bevölkerung verbreiteten Meinung über moderne Kunst. Demnach fehlt es dieser regelmäßig an einem für die Wahrnehmung als Kunst erforderlichen Mindestmaß an Schöngeistigkeit.
Kunst als politischer Aufreger verliert an Bedeutung
Gegenüber früheren Jahrzehnten ist die Debatte um umstrittene Kunst im öffentlichen Raum in Österreich jedoch merklich abgeflaut. Vor allem in den 1990er-Jahren hatte die FPÖ regelmäßig die Vergabe öffentlicher Fördermittel für Veranstaltungen kontroverser Künstler kritisiert.
Neben dem 2022 verstorbenen Mitbegründer des „Wiener Aktionismus“, Hermann Nitsch, stieß die Partei sich beispielsweise an mehreren Installationen in der Innenstadt von Salzburg. Dort hatte der ebenfalls mittlerweile verstorbene Bildhauer Anton Thuswaldner am 200. Todestag von Wolfgang Amadeus Mozart dessen Denkmal im Jahr 1991 mit 700 Einkaufswagen verhüllt. Sein Anliegen war eigenen Angaben zufolge, damit gegen die Kommerzialisierung der Pflege des kulturellen Erbes des Komponisten zu protestieren.
Ebenfalls von Thuswaldner stammte eine wenige Jahre später präsentierte Installation auf dem Kapitelplatz, die mit einem Zahlencode versehen war. Wer die Zahlen mit jenen des hiesigen Alphabets in Verbindung setzte, erkannte, dass sich eine derbe Beschimpfung („A****löcher“) dahinter verbarg. Auch hier sorgte ein Protest der FPÖ im Gemeinderat für die Entfernung des Kunstwerks.
Die Gruppe Gelitin hatte 2003 in der Mozartstadt einen Brunnen installiert, den eine männliche Figur zierte, die in den eigenen Mund urinierte. Die Einrichtung wurde nach Protesten entfernt. Mittlerweile steht sie offenbar in Mailand.
„Wachauer Nase“ von Gelitin bis heute positiv besetzt
Im aktuellen Fall der Brunnen-Installation von Gelitin steht eine Entfernung anscheinend nicht mehr zur Debatte. Immerhin hatte bereits die Errichtung des Brunnens die öffentliche Hand eine siebenstellige Geldsumme gekostet. In ihrer Gemeinderatsanfrage will die freiheitliche Fraktion nun nähere Details zur Ausschreibung in Erfahrung bringen. Zudem will sie die Höhe des Künstler-Honorars wissen und sie fragt, wer den Bau des nach Ansicht vieler Bürger „schiachen“ Objekts genehmigt habe.
Nicht alle öffentlichen Installationen der Gruppe Gelitin haben unterdessen in gleichem Maße Anstoß erregt. In der niederösterreichischen Obstbau- und Weingegend Wachau stellt die „Wachauer Nase“ in der Gemeinde Rossatz bis heute eine Touristenattraktion dar. Das aus einer Wiese am Donauufer ragende überdimensionale Sinnesorgan, das 2014 eingeweiht wurde, wird als sinnbildlich für eine Region der Weinkenner wahrgenommen.
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