Kleine Musikform groß im Kommen
„Große Solisten haben Dutzende bis Hunderte Angebote für Solokonzerte, aber das Dasein eines Solisten ist sehr einsam und öde“, sagt Wolfgang Redik, seines Zeichens Streicher-Kammermusiker, Konzertmeister und seit 2019 Professor der Kammermusik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Für die meisten klassischen Musiker dient Kammermusik deshalb als Quelle der Inspiration und des musikalischen Wachstums. Worin liegt die Besonderheit der Kammermusik?
Diese wohl konzentrierteste und intimste Form des Musizierens ist ein musikalisches Genre, das einem kleinen Instrumental-Ensemble vorbehalten ist. Sie verdankt ihren Namen ursprünglich der höfischen „Kammer“ und war im Gegensatz zur Kirchenmusik für den weltlich-repräsentativen Gebrauch bestimmt. Seit der Renaissance bekannt, gewann die Gattung im bürgerlichen Zeitalter einen Popularitätsschub. Damals war der Salon Aufführungsort. Heute ist es meist ein kleiner Konzertsaal. Im Unterschied zu Konzert- oder Orchestermusik wird in der Kammermusik nicht dirigiert – die Spieler finden eigenverantwortlich zusammen.
Dass Kammermusik eine bedeutende Rolle in der heutigen klassischen Musikwelt hat, zeigt sich auch darin, dass sie ein eigenes Studienfach ist. An der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin hat sie eine beachtliche Tradition. Viele herausragende und international erfolgreiche Ensembles gingen aus ihr hervor. Erst kürzlich wurde an der renommierten Musikhochschule das neue „Zentrum für Kammermusik“ ins Leben gerufen. Die Idee dazu stammt von Redik.
Erfahrungen mit der Gründung eines Instituts für Kammermusik hatte Redik schon zuvor am Mozarteum in Salzburg gesammelt, an dem er zwölf Jahre lang unterrichtete. An der Hanns Eisler in Berlin erhält er Unterstützung seiner Kollegen aus der Professur für Klavier- und Bläserkammermusik. Gemeinsam wurde beschlossen, ein hochschulübergreifendes Kammermusikzentrum zu gründen, in der auch die Eliteklasse für Gesang inkludiert wird. Ein Ort des kreativen Zusammenspiels, sozusagen.
Das Bild des modernen Musikers habe sich in den letzten zehn bis dreißig Jahren verändert, sagt Redik. Während früher in seiner eigenen Studienzeit noch großer Wert auf eine Solistenausbildung gelegt wurde und Kammer- und Orchestermusik höchstens als Nebenfach belegt werden konnten, habe sich der Zeitgeist gewandelt.
Nicht nur Kammermusiker machen Kammermusik
Für einen Solisten sei es schwer, bei jedem Konzert, das man aufführe, neue Entdeckungen in den Partituren eines Stückes zu machen. Um sich mehr in die Partitur hineinversetzen zu können, sei es unabdingbar, sich gemeinsam mit Musikern die Zeit zu nehmen, um neue Entdeckungen zu machen. „Die Zeit hat man aber nicht, wenn man als Solist eine 90-minütige Probe mit dem Orchester hat für ein 35-Minuten-Stück. Man kann so nicht kreativ in die Materie eindringen.“
Aus diesem Grund würden fast alle Solisten nebenher auch ernsthaft Kammermusik machen, „weil sie dort die Basis ihrer musikalischen Suche finden“, erklärt der Professor. Sowohl die gegenseitige Inspiration als auch die Möglichkeit, sich mit Kollegen mit demselben Stück zu befassen, biete künstlerisches Wachstum. „Das Zulassen anderer Meinungen und gemeinsam Kompromisse zu finden sind Dinge, die gelernt werden müssen“, so Redik.
Als Streicher müsse man „in der Praxis lernen, dass ein Bläser einatmen muss, bevor er zu spielen beginnt“, so Redik. Das alles ließe sich nur in einem größeren Horizont der kammermusikalischen Formation erlernen. „Ein Student muss jede Form des Zusammenspiels beherrschen“, sei es die Formation Geiger mit einem Klavier, Streichquartett oder das Spielen im Orchester – „Das Geben und Nehmen einer gemeinsamen Sache sollte ins Blut übergehen“, formuliert Redik bestimmt. „Es sollte der Alltag werden, weil der Studierende es in jeder Form des Musikmachens braucht.“
Als Professor ist ihm dabei wichtig, von vornherein die Selbstständigkeit seiner Studenten zu fördern. „Ich sage: ‚Hier hast du ein Stück und jetzt überlege mal, wie du es angehst.‘ Das geht auch manchmal schief im ersten Moment … ist aber dennoch wichtig.“
Zudem legt er großen Wert darauf, dass Studenten zwischen der Musik vor 1900 und der Musik nach 1900 unterscheiden: „Plakativ ausgedrückt, müssen sie einstufen können, was ‚schön‘ ist und was ‚hässlich‘. Die Unterscheidung zwischen Künstlern und den Scharlatanen, die oft schnelles Geld machen, ist sehr schwer.“
Die Sprache der Musik habe sich mittlerweile verändert und Wohlklang stehe in der heutigen Zeit nicht mehr im Vordergrund. Jedoch sei nicht alles, was unter dem Stempel „zeitgenössisch“ steht, automatisch schlecht: „Die Musik von Mozart oder Schubert hat davon gelebt, dass zeitgenössische Musiker zeitgenössische Musik gespielt haben. Die Musiker von damals haben ein neues Stück von Mozart oder Beethoven aufgeführt.“
Es gehöre zur Verantwortung der Spezialisten und Lehrer an einer höheren Anstalt, die nächste Generation dahingehend zu schulen, sowohl kritisch als auch offen der zeitgenössischen Musik gegenüberzustehen. Redik schätzt die Auseinandersetzung mit ihr sehr: „Sie ist ein Sprachrohr unserer heutigen Gesellschaft … es ist also auch eine Verpflichtung von uns Musikern, sich ausgewählten Werken zeitgenössischer Musik zu widmen!“
Veranstaltungstipp:
Benefizkonzert mit Tabea Zimmermann und Kirill Gerstein
Kammermusik muss nicht im stillen Kämmerchen und lediglich etwas für Kenner und Liebhaber bleiben. Die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin – die renommierte Schmiede für angehende Profimusiker – weiht das neu gegründete „Zentrum für Kammermusik“ im Rahmen eines Konzertes ein.
Die Bratschistin Tabea Zimmermann und der Pianist Kirill Gerstein zählen zu den herausragenden Persönlichkeiten der internationalen Musikwelt, und als Professorin und Professor unterrichten sie an der Eisler in Berlin. Gemeinsam spielen sie in einem exklusiven Benefizkonzert der Hochschule, dessen Einnahmen dem neu gegründeten Zentrum für Kammermusik der Hochschule zugutekommen.
Johannes Brahms Sonate für Viola und Klavier op. 120, Nr. 1 f-Moll
Paul Hindemith Sonate für Bratsche und Klavier op. 11, Nr. 4
Rebecca Clarke Sonate für Viola und Klavier
Dmitri Schostakowitsch Sonate für Bratsche und Klavier op. 147
Tabea Zimmermann Viola
Kirill Gerstein Klavier
10.10.2022
19:30 Uhr, 40 Euro, erm. 20 Euro
Krönungskutschen-Saal
Neuer Marstall, Schloßplatz 7
10178 Berlin
Kartentelefon: 030 20309-2101
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 65, vom 08. Oktober 2022.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion