Der Weg eines klassischen Musikers
Wie lässt sich eine herausragende musikalische Leistung von einer mittelmäßigen unterscheiden? Und vor allem: Welche Voraussetzung sollte ein Nachwuchstalent erfüllen, um ein Publikum mit seiner Kunst tief berühren zu können?
Vladimir Feltsman, seines Zeichens russisch-amerikanischer klassischer Pianist und Dirigent, meint, dass die kulturelle Grundlage dabei eine Rolle spielt. Elementare Grundwerte seien von ungemeiner Bedeutung, nicht nur in der Musik, sondern in der klassischen Kunst im Allgemeinen. Die Verbindung des Musikers zur eigenen Kultur sei unerlässlich, denn sie bilde das Fundament, das der Künstler benötige, um die ganze Bandbreite an Emotionen transportieren und die Zuhörer tief im Herzen berühren zu können.
In der neuesten Folge von „Piano Talks“, einer Reihe von Epoch TV, teilt der Musiker im Gespräch mit der Moderatorin Janara Khassenova, selbst Pianistin, seine Ansichten zur klassischen Musik und deren Auswirkungen.
Klassische Musik braucht Emotionen
Feltsman gilt als einer der herausragendsten Musiker unserer Zeit. In Moskau geboren und aufgewachsen, debütierte er schon im Alter von elf Jahren bei den Moskauer Philharmonikern. Als ein außergewöhnliches Talent erregte schon früh Aufmerksamkeit im Westen. Er studierte unter anderem am Moskauer Konservatorium, wo die Elite der russischen Musiker ausgebildet wird.
Nach Feltsman sind die Ursprünge der russischen Musiktradition tief und umfassend, die russische Kultur sei vor allem in grundlegenden christlichen Werten verwurzelt. Der wichtigste davon sei das „Mitgefühl und die Barmherzigkeit Gottes“. Die Werke der russischen Komponisten wie Tschaikowsky, Rachmaninow und Mussorgski hätten eine enorme emotionale Wirkung auf die Zuhörer. „Deren Kompositionen gehen direkt ins Herz, ins Innerste und berühren die Zuhörer auf einer sehr tiefen Ebene“. Das bewirke durchweg positive innere Veränderungen bei den Menschen, so der Pianist.
Dabei hebt Feltsman die Wichtigkeit der Übermittlung von Emotion hervor, des Mitgefühls und auch des Leidens. Ein Pianist müsse sein Handwerk beherrschen und zunächst verstehen, was die Musik bedeute, um diese im nächsten Schritt mit seinen Gefühlen, seiner Leidenschaft auszufüllen. „Ein rationales Spielen aus dem Kopf heraus kann der Musik [der alten Meister] niemals gerecht werden und auch niemals eine Botschaft vermitteln“, ist er sich sicher.
„In der Kultur ist alles miteinander verbunden“
Das Unterrichten und Ausbilden der jungen Generation liegt Feltsman sehr am Herzen und ist ein wichtiger Aspekt seines Lebens. Dabei stößt er mit seinen Studenten auch auf das ein oder andere Hindernis. Laut Feltsman fehlt es den meisten Studenten an kultureller Allgemeinbildung, was sich wiederum auf ihr Musizieren auswirke. Das Spielen einer Sonate von Beethoven könne jeder, das allein genüge jedoch nicht. Um die Musik Beethovens in all seinen Facetten und seiner Tiefe verstehen und wiedergeben zu können, müsse man sich mit dessen Gesamtwerk auseinandersetzen, seine anderen Werke, Quartette und Symphonien kennen, und auch verstehen, was ihn als Komponist ausgemacht hat.
Es fehle den Musikstudenten und der jungen Generation der kulturelle Kontext, weiß Feltsman. „Wenn man nicht versteht, was Barock ist, was Klassik und Romantik bedeutet, wenn man die deutsche Dichtkunst nicht kennt, wird es sehr schwer, seinen Platz in dieser Kultur zu finden“. Die Kultur sei immerhin „nicht aus dem Nichts entstanden. Alles ist miteinander verbunden.“
Ob dieses Manko einer lückenhaften Schulbildung oder der Erziehung in der eigenen Familie zuzuschreiben ist, sei in erster Linie nicht relevant. „Jeder Einzelne ist selbst dafür verantwortlich, sich zu bilden“. Natürlich verändere sich auch die Kultur, wirft Janara Khassenova ins Gespräch ein. So sei es für die junge Generation mitunter tragisch, denn diese würde schließlich nicht mit jenen Filmen und Büchern aufwachsen, die auf traditionellen Werten basieren, wie es noch bei der Generation zuvor der Fall gewesen war.
Ein weiteres Problem sieht Feltsman in der Aneignung von „falschem Wissen“, wie er es nennt. In Zeiten von digitalen Suchmaschinen denke man, wenn man sich für ein Thema interessiert und einige Fakten dazu googeln würde, dass man schon alles verstanden hätte, sagt er. „Information hat nichts mit echtem Wissen zu tun. Information und Wissen sind zwei verschiedene Dinge.“
„Echte Kultur bedarf einer gewissen Anstrengung“
Feltsman erkennt in unserer heutigen Kultur, deren Teil die Kunst ist, einen Trend, der ihm Sorge bereitet. „Es ist ein Trend zur Massenkultur, zum Massenkonsum, im Grunde zur Popkultur“, so Feltsman. Selbst in der klassischen Musik bewege sich der Trend seit 15 bis 20 Jahren Richtung Showbusiness: glitzernd, brillant, sowohl visuell als auch akustisch.
Dies berge ein Risiko für junge Nachwuchskünstler: Seine Studenten orientierten sich an den „erfolgreichsten Künstlern“ der heutigen Zeit, indem sie sie kopierten. „Dabei verlieren sie ihre eigene Individualität, sie verlieren alles, denn man kann niemanden kopieren.“ Welches Kriterium bestimme denn die Qualität der Kunst? Das Internet sei irreführend, sagt Feltsman. Nur weil manch einer in den sozialen Medien wie YouTube 10 Millionen Aufrufe habe, sei das noch lange keine Garantie dafür, ein guter Musiker zu sein. Durch das Internet herrsche eine Art Chaos, ist er sich sicher. „Es ist sehr schwer zu sagen, was echt ist und was unecht, was einen Wert hat und was nicht.“
Die Kriterien für echte Kultur seien für Feltsman niemals Massenkultur und niemals wirklich populär, „weil es nicht einfach ist“. Es bedürfe einer gewissen Anstrengung, einer gewissen kulturellen Bildung, auch aufseiten des Verbrauchers, um den wahren Wert der Kunst verstehen und schätzen zu können: „Sei es Musik, Poesie, Literatur oder bildende Kunst“.
Jungen Musikern gibt Feltsman einen gut gemeinten Rat mit auf den Weg:
„Wenn es auch nur die geringste Möglichkeit gibt, einen anderen Weg einzuschlagen als den der Musik, dann mache besser keine Musik, mach etwas anderes. Siehst du allerdings keine andere Möglichkeit, und denkst du, Musiker zu sein und es wäre deine Berufung, dann nimm dies demütig an, aber ohne jegliche Erwartungen.“
Als Musiker sei es wichtig, sich auf Hochs und Tiefs einzustellen und sich von Niederlagen nicht beeinträchtigen zu lassen.
„Gewinnst du irgendwo den ersten Preis, ist das natürlich toll, dein Selbstwert wird dadurch gestärkt. Gewinnst du allerdings nicht, bist du niedergeschlagen und deprimiert. Das ist keine gute Ausgangsposition für das Leben, mental gesehen.“
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Vladimir Feltsman: Classical Music in a Modern World“ (deutsche Bearbeitung aa)
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 52, vom 9. Juli 2022.
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