Intendant Lilienthal verlässt München

Was man verloren hat, weiß man oft erst dann, wenn derjenige nicht mehr da ist. So ähnlich geht es gerade den Münchnern mit Matthias Lilienthal. Seine Intendanz an den Kammerspielen geht zu Ende. Eine späte Liebe, die ungewohnt leise ausklingt.
Titelbild
Matthias Lilienthal verabschiedet sich nach einer bewegten Zeit als Intendant der Münchner Kammerspiele.Foto: Peter Kneffel/dpa/dpa
Epoch Times19. Juli 2020

fünf Jahren endet die Intendanz von Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen. An diesem Montag sind die letzten beiden Vorstellungen, die große Abschiedsparty mit 1000 Gästen fällt coronabedingt aus.

„München war eine super Zeit mit extrem vielen Höhen und Tiefen“, sagte der 60-Jährige dpa in München. „Ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn es von Anfang an gut gelaufen wäre.“

Der einstige Leiter des Berliner Theaters Hebbel am Ufer kam im Herbst 2015 nach München, in einer turbulenten Zeit. Hunderttausende Menschen auf der Flucht waren nach Deutschland geströmt. Viele Leute packten spontan an, um ihnen zu helfen, andere sprachen von einer Krise. Für Lilienthal keine Frage: Dieses Thema musste auf die Bühne.

Wenige Wochen nach seinem Antritt lud er zum „Open Border Kongress“, um für offene Grenzen zu werben, mit Vorträgen, Diskussionen, Theater- und Filmbeiträgen sowie Workshops. Es gab ein Welcome-Café als Treff für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung. Und später erweiterten im Open Border Ensemble Schauspieler im Exil die Darstellerriege.

Politisches Theater, ebenso wie das Kunstprojekt „Shabbyshabby Apartments“, mit der die Kammerspiele auf den damals schon schlimmen Wohnungsmangel aufmerksam machen wollten. Auch freie Gruppen holte Lilienthal auf die Bühne, etwa She She Pop oder Rimini Protokoll.

Lautstarke Kritik und Neutralität verletzt

Ungewohntes Theater für viele Münchner. Die Zuschauerzahlen gingen zurück, und es gab lautstarke Kritik: zu wenig Sprechtheater, zu viel Diskurs, Experimentelles und Events. Dramatisch wurde es im Juli 2018, als die CSU im Stadtrat den Kammerspielen und dem Volkstheater die Teilnahme an einer Demonstration gegen die Flüchtlingspolitik ihrer Partei verbieten wollte.

Mit rund 130 anderen Organisationen hatten die beiden städtischen Häuser zur Demo „#ausgehetzt“ aufgerufen. Die CSU sah deshalb die Neutralität verletzt. „Dass wir das Intendanzbüro zu einem Organisationsbüro für politischen Protest umfunktioniert haben, war für München neu“, sagte Lilienthal später.

Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) stärkte dem Intendanten den Rücken: „Mehr denn je muss sich das Theater Fragen nach seiner Relevanz in einer sich rasant verändernden Welt stellen. Die Kammerspiele reagieren darauf unter Lilienthal mit einer Politik der ästhetischen und gesellschaftlichen Öffnung.“ Wenn die Kammerspiele sich an zivilgesellschaftlichen Aktionen oder Demonstrationen beteiligten, sei das „vom Wirkbereich der Kunstfreiheit gedeckt“.

Lilienthal geht nach Berlin zurück

Doch während der Stadtrat hitzig diskutierte, stand schon fest, dass Lilienthal nicht länger als nötig in München bleiben wollte. Nach dem Beschluss der CSU-Fraktion, gegen eine Verlängerung seines Vertrages zu stimmen, zog er im März 2019 Konsequenzen. „In München ist kein Rückhalt für die Verlängerung meiner Arbeit gewährleistet“, sagte der Intendant und kündigte seinen Weggang für 2020 an.

Im Sommer 2019 kürten Kritiker die Kammerspiele zum Theater des Jahres, Christoph Rüpings „Dionysos Stadt“ wurde beste Inszenierung, weitere Preise gab es für Schauspiel, Bühnenbild und Nachwuchsschauspiel. Und das Berliner Theatertreffen lud Produktionen der Kammerspiele ein.

Plötzlich entdeckten die Münchner das Theater, die Auslastung stieg. Vor allem junge Leute zog es häufiger in den wunderschönen Jugendstilbau samt Nebenbühnen. Die Stadt und die Kammerspiele hätten „zu einer großen Liebesbeziehung gefunden“, formulierte es Lilienthal unlängst. „Diese Liebe kann jetzt unendlich sein, denn sie wird nicht mehr von irgendwelchen Realitäten getrübt.“

Nun zieht der 60-Jährige in seine alte Heimat Berlin, und Barbara Mundel übernimmt seinen Posten. Was er aus München mitnimmt? „Dass das Theater mehr an extremen Tiefen und Höhen mit sich bringt, als man sich vorstellen kann. Und dass knapp hinter dem größten Tiefpunkt der kathartische Umschlag in das Gegenteil lauert.“ (dpa)



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