Griff in die Geschichte: Mann werden und sein ist schwer
Mein lieber Jochen!
Als Du noch ein Bübchen warst, warst Du ein herziges, liebes Kind und trotz Deiner schweren Krankheit, die Gott sei Dank unter treuer Sorge Deiner lieben Mutter überwunden worden ist, war Frohsinn Deine Natur. Wie ein Sonnenstrahl erschienst Du mir in kindlicher Ursprünglichkeit, als Du in dem bösen Kriegsjahr mir zu Weihnachten in Magdeburg jubelnd entgegensprangst. Ein Kind sieht ja auch unbefangen ins Leben, es wird behütet und gepflegt, ist von Zärtlichkeit und Liebe umgeben, und vor allem, es kennt keine Gefahr und hat darum Vertrauen zu Menschen und Dingen.
Kind sein ist leicht, Mann werden und sein ist schwer. Und heute zum Tage Deiner Konfirmation stehst Du auf der Stufe zum Jüngling, der ein Mann werden will. Es werden Kämpfe kommen und Zweifel werden am Wege stehen. Denn es ist Dir nur der Rahmen gegeben, das Bild musst Du selbst malen, aber ich hoffe, es wird Dir gelingen, harmonierende Farben dafür zu finden. Lass Dich durch nichts irremachen: Du darfst an dem Bild einer Weltanschauung, die in der Ehrfurcht vor dem Ewigen ihre feste Wurzel hat, ruhig arbeiten, obwohl, oder vielmehr, weil Du ein Mann werden willst.
Der vor bald 2.000 Jahren über diesen Erdball wandelte, er war auch ein Mann, der dem Kampf nicht auswich, ihn sogar suchte. Er war keineswegs der in weichlicher Liebe zerfließende Nazarener. Legte er doch schwere Verantwortung in uns hinein für unser Tun und Denken. – Oder Luther, war er ein Schwächling, der Mann mit dem Löwenmut, der uns die Freiheit der Seelen wieder erkämpfte gegen das anmaßende, übermächtige Rom? Oder sollte der Geistesheros Goethe der Unfähigkeit geziehen werden?
So gibt es Tausende von Beispielen von Männern, die es wohl verstanden, das Tägliche zu vereinigen mit dem, was über uns ist. Denk auch in anderer Hinsicht an diese Zeit des deutschen Idealismus, wo unter Führung von Hegel und Fichte ein Geist im deutschen Volke lebte: das Bewusstsein, dass der Mensch seine sittliche Würde erst erlangt im Zusammenhalt und in der Verbindung.
Heute ist dieser Geist erstickt in rücksichtslosem Individualismus und in einer falsch verstandenen Freiheit. Denn Freiheit ist zunächst Pflicht gegen sich selbst und keineswegs ein besinnungsloses Sich-„Aus“-Leben. Ihr Jungen, Euer ist die Zukunft – und Wohl und Wehe des lieben deutschen Vaterlandes ist eng mit Eurem eigenen Werden verknüpft. Seid wachsam im Heranwachsen, seid wachsam als Erwachsene, dass öder Materialismus Euch nicht alles raube.
Ich rufe Dich darum auf zum Kampf gegen alles Lasche und Laue, gegen Hässliches und Gemeines, zeige Dich würdig des Zeichens der Lilie, unter der Du als Pfadfinder stehst, sie ist das Symbol des Hohen und Reinen. Ich weiß, dass Du den hohen Sinn des Pfadfindertums erfasst hast und ich hoffe, dass Du den Pfad durchs Leben als aufrechter, innerlich klarer und starker Mann wirst suchen und finden. Trag in Dir Friede und Freude, so wirst Du auch ganz unbewusst und ungewollt Friede und Freude verbreiten. Und sollten Zeiten der Not kommen, so wirst Du dann nicht der Mann sein, der gleich zerbricht, suche und ringe nach Klarheit und zeige, was Du in den dunklen Stunden tiefen Erlebens an Licht gewonnen.
Mein lieber Jochen, wenn Dich heute diese Worte ernst, vielleicht schwer dünken, so bedenke, dass die Herzen treu sorgender Eltern zu Dir sprechen. Denen es nicht vergönnt war, immer unter blühenden Rosen zu wandeln. Das Leben führt durch Tiefen und über Höhen. Siehe zu, die Tiefen zu nutzen und lass die Sehnsucht nach der Höhe in Dir wach sein!
In herzlicher Zuneigung zu Dir, mein lieber Junge, trinken wir Eltern auf Dein Wohl und Deine Zukunft und bitten die Gäste, das Gleiche zu tun.
Tischrede von Reinhard Arnd zur Konfirmation seines Sohnes Fritz Joachim Reinhard Arnd am 25. März 1928 in Berlin.
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