Geduld für den Erfolg
Neulich wartete ich in London in der Schlange, um in einen Bus einzusteigen, als es plötzlich zu einem Handgemenge kam. Eine Frau versuchte, sich von hinten nach vorne zu drängen. Zwei Leute schoben sie zurück. In Großbritannien gleicht das Übertreten von Warteschlangen einem Verbrechen, das mit dem Pupsen in einem Aufzug vergleichbar ist. Als jemand der Frau sagte, sie solle, so wie alle anderen auch, warten, bis sie an der Reihe sei, antwortete sie: „Geduld ist etwas für Verlierer.“
Der Satz ist mir nicht nur deshalb im Gedächtnis geblieben, weil er wahnsinnig unhöflich ist, sondern auch, weil er den Zeitgeist zu treffen scheint. Der Spruch könnte an der Wand eines Technologie-Startups gepinnt sein oder aus dem Munde eines Produktivitätsgurus stammen. Aber ist das wirklich wahr? Ist Geduld in dieser Welt der Eiligen ein Einwegticket zum Planeten der Verlierer? Die Antwort ist zum Glück ein klares „Nein“.
Wir alle wissen, dass geduldige Menschen angenehmere Zeitgenossen sind als ungeduldige. Aber das ist nur ein Aspekt. Es hat sich herausgestellt, dass Geduld noch viele weitere Vorteile mit sich bringt. So fördert sie beispielsweise die Gesundheit, die eigene Leistung und stärkt auch die Gesellschaft.
Der Gedanke, dass Geduld eine Superkraft ist, ist nicht neu. Philosophen haben sie seit langem verordnet, um mit den kleinen Irritationen des Lebens fertig zu werden und auch den moralischen Charakter zu festigen. Der römische Dichter Virgil sagte einst, dass „jedes Unglück durch Geduld besiegt werden muss“. Vier Jahrhunderte später bezeichnete der heilige Augustinus die Geduld als „die Begleiterin der Weisheit“.
Viele Religionen lehren Geduld als eine Tugend. Im Alten Testament heißt es: „Besser ein geduldiger Mann als ein Krieger, ein Mann, der sein Temperament beherrscht, als einer, der eine Stadt einnimmt.“
Geduldige Menschen leben angenehmer
Die Wissenschaft gibt diesen alten Weisheiten nun Recht: Eine steigende Zahl von Forschungsergebnissen deutet darauf hin, dass geduldige Menschen dankbarer sind für das, was sie haben, zufriedener mit ihrem Leben und optimistischer sind. Sie leiden auch seltener an Depressionen oder werden von negativen Emotionen belastet. Und warum? Vielleicht weil sie den Widrigkeiten des Alltags – ein defekter Drucker am Arbeitsplatz, ein Stau, eine lange Schlange vor dem Bus – mit Gleichmut begegnen.
Geduld kann auch Balsam für den Körper sein. Wer gegen einen verspäteten Zug oder einen überfüllten Bildschirm wettert, setzt Stresshormone frei, die zu Herzerkrankungen führen können. Kein Wunder, dass geduldige Menschen in der Regel besser schlafen und weniger unter anderen Beschwerden leiden.
Geduld kann zudem helfen, Dinge zu Ende zu bringen. Einige Studien legen nahe, dass geduldige Menschen mehr Arbeit investieren, um ihre Ziele zu erreichen.
Michelangelo widmete die letzten 18 Jahre seines Lebens dem Bau des prachtvollen Petersdoms in Rom. Michelangelos Mantra war: „Genie ist ewige Geduld.“
Dies gilt auch im Zeitalter des Erstanbietervorteils und des zeitnahen Managements. Eine Studie in der „Harvard Business Review“ ergab, dass Unternehmen, die sich in Geduld üben, besser abschneiden als solche, die dies nicht tun.
Zusammenhalt stärken
Geduldig zu sein, bedeutet aber nicht nur, dass Sie sich und Ihre Bilanz verbessern. Sie hilft auch anderen. Geduld hielt unsere Vorfahren zusammen, denn sie ermöglichte es ihnen, gute Taten zu vollbringen, ohne sofortige Belohnung zu verlangen.
Forschungen haben ergeben, dass geduldige Menschen fairer und nachsichtiger sind, mehr Einfühlungsvermögen besitzen und kooperativer sind. Kurz: Geduld macht Sie zu einem besseren Freund, Nachbarn, Kollegen, Chef, Partner und Elternteil, und auch zu einem besseren Bürger. Denn geduldige Menschen neigen eher dazu, wählen zu gehen und Menschen und Institutionen zu vertrauen.
Für alle, die nicht mit natürlicher Geduld gesegnet sind, gibt es aber eine gute Nachricht: Jeder kann lernen, geduldig zu sein. Eine Möglichkeit besteht darin, ein wenig mentales Jiu-Jitsu zu betreiben. Anstatt sich darüber zu ärgern, dass die Schlange zu langsam ist, sollten Sie die zusätzlichen Minuten des Wartens als Chance begreifen, etwas zu lesen oder Leute zu beobachten. Achtsamkeit zu praktizieren, kann ebenfalls helfen. Wenn der Frust hochkommt, atmen Sie tief durch und nehmen Sie Ihre Gefühle einfach nur wahr. Oder lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit sanft auf einen Geruch, Geschmack oder ein Geräusch, das nichts mit der Quelle Ihres Ärgers zu tun hat.
Wenn Sie lernen, geduldig zu sein, lohnt es sich, klein anzufangen. Üben Sie zunächst Geduld in Situationen, in denen wenig auf dem Spiel steht, zum Beispiel indem Sie jemanden in den Verkehr einfädeln oder in der Kassenschlange vorlassen. Sobald Sie mit den kleineren Auslösern fertig werden, können Sie sich den größeren zuwenden wie etwa einem eigensinnigen Kind oder starrköpfigen Kollegen. Wenn Sie auf Ihrem Weg zur Geduld ungeduldig werden, denken Sie daran, dass ein Wutanfall selten gut endet.
Zehn Minuten nachdem uns die Frau in London gesagt hatte, wir alle seien Verlierer, weil wir geduldig sind, sprang sie aus dem Bus – und stellte fest, dass sie an der falschen Haltestelle ausgestiegen war. Sie hämmerte gegen die Tür und verlangte, wieder einsteigen zu dürfen. Der Fahrer warf ihr einen Blick zu, lächelte und fuhr los.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion