Früher als sonst: „Alles Walzer!“ – Dresdner Semperopernball jubiliert trotz Streit
Große Stimmen statt Orden-Arie und ein Star als Rosenkavalier: „Aber jetzt lasst uns schwelgen, schwofen, mitsingen und -schwingen“, wehte Schlagersänger Roland Kaiser die Last der vergangenen Tage gleich in den ersten Minuten des 15. Dresdner Semperopernballs weg.
Der Eklat um die Ehrung von Abdel Fattah al-Sisi, Ägyptens umstrittenen Präsidenten, durch Ballchef Hans-Joachim Frey vor knapp zwei Wochen und deren Folgen sollten die „märchenhaft rauschende“ Nacht im berühmten Opernhaus nicht trüben.
Mit einem Satz machte der Ballmoderator Kaiser allerdings klar, wo Dresden steht: „Unser Herz schlägt gemeinsam für Demokratie, Meinungsfreiheit und Toleranz.“ Und er zeigte sich entsetzt über „ein solches Ausmaß an Hass und Gewalt“ gegenüber Mareile Höppner, sodass der Platz neben ihm auf der Bühne verwaist war. Sie hatte ihre Zusage als Co-Moderatorin zurückgezogen. „Lassen Sie uns diesen Abend feiern, trotz allem“, rief er in den Saal – und die Gäste applaudierten.
Beim „Kaiserwalzer“ war alles vergessen
Spätestens beim „Kaiserwalzer“ dann aber schunkelte, sang, tanzte das Publikum drinnen und auch draußen vor der Oper gemeinsam mit Kaiser und seiner vor Jahren für die Stadt komponierten Hymne: „Dresden dreht sich im Walzerschritt“. Und jubilierte, ganz nach dem 2020er Motto. Die Roben der Damen glitzerten, waren schulter- und oft auch rückenfrei, viele Herren trugen Samt.
Nach zwei Stunden Gala mit großen Stimmen aus Osteuropa, talentierten Instrumentalisten und dem MDR-Sinfonieorchester mit Dirigent Kristjan Järvi, das die 160 Debütanten bei ihrer Ballpremiere begleitete, hieß es dann früher als sonst: „Alles Walzer!“ und Dreivierteltakt.
Die Liste der Ehrengäste schrumpfte
„Impressario“ Frey drängte es erstmals nicht ins Rampenlicht. Viele Absagen wegen der Ehrung von Al-Sisi und der Verzicht auf die stundenlange Orden-Arie samt Laudationes hatten die Liste der Ehrengäste verkürzt. „Ich habe sehr wohl überlegt, ob ich komme“, sagte der Ex-Moderator Harry Wijnvoord („Der Preis ist heiß“).
Da der Fehler aber erkannt und abgestellt wurde, sah er keinen Grund, fernzubleiben. „Meine Partnerin hat sich so darauf gefreut, das ist mir wichtiger als alles andere in der Welt.“
Auch Kaiser, der Dresden eng verbunden ist und alljährlich im Sommer mehrere ausverkaufte Konzerte an der Elbe gibt, will größeren Schaden für die Stadt vermeiden. „Es darf nicht sein, dass der Ball verschwindet, weil ein Fehler gemacht wurde.“
Auch der wegen des „Umweltsau“-Liedes in die Schlagzeilen geratene WDR-Kinderchor blieb brav und sang ein Stück aus dem Musical „My Fair Lady“ – für Schauspieler Armin Mueller-Stahl. Der Hollywoodstar ist der Onkel von Ballchef Frey und Stammgast beim Semperopernball.
Rosenkavalier
Die kleinen Sängerinnen machten Mueller-Stahl unverhofft zum Rosenkavalier. Sie füllten seine Arme mit den langstieligen weißen Blumen, die der Mime kurzerhand den Damen in der Nähe reichte wie der Ex-Eiskunstläuferin Tanja Szewczenko. „Ich habe nie gedacht, dass ein alter Mann so viele Rosen bekommt“, sagte der 89-Jährige berührt.
Auch Sänger Roberto Blanco legte schon öfter im umgebauten Semperschen Opernhaus eine Sohle aufs Parkett, gemäß seinem Lebensmotto: „Ein bisschen Spaß muss sein“, lachte er. Ihm war es „diesmal zu viel Politik“, denn auch 75 Jahre Kriegsende und 30 Jahre Friedliche Revolution wurden auf der Bühne kurz besprochen.
Peter Maffay um Mitternacht
Um Mitternacht machten Peter Maffay und Band den Musentempel schließlich zum Rockpalast – mit neuen Songs und alten Hits. Dabei stand ihr Auftritt kurz auf der Kippe. Die Künstler hatten zur Bedingung gemacht, dass Al-Sisi der Orden aberkannt wird.
Frey beugte sich und rettete seinen Mitternachtsact. „Der Semperopernball hat eine Entscheidung gefällt, wir haben das geklärt, uns entschuldigt und distanziert“, erklärte er beim Empfang vor dem Ball.
„Man hätte vorher vielleicht genauer überlegen müssen“, sagt ein Mann aus Meißen auf dem Theaterplatz, den Hunderte wieder zur Tanzfläche machten. „Wir kommen fast jedes Jahr, weil wir gern tanzen“, erklärte seine Frau.
Die Mittfünfziger fürchten um den Ball und das Open-Air-Fest, das ihn einzigartig macht. Von Ferne mischen sich Bässe in die Show mit fliegenden Kutschen und „Märchenonkel“. Zum 1. Dresdner SeifenOpernBall um die Ecke kamen rund 150 Menschen – einer fröhlichen Satire auf die Vorgänge um das Original. (dpa)
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