Fontane – lebendig und von Schulmief befreit

Am 20. September 1898 starb Theodor Fontane. Warum er auch 125 Jahre später immer noch lesenswert ist, kann in der Fontane-Lounge in Potsdam erlebt werden.
Titelbild
Für Michael Gerlinger eine Herzensangelegenheit: Fontane-Lesungen an unterschiedlichen Orten in Potsdam.Foto: Andrea Kröger
Von 13. September 2023

Hoch oben über dem Schlosspark Sanssouci thront man, wenn man im Café „Mühlenhaus“ direkt neben der historischen Mühle im Laubengang Platz nimmt. Anlass bietet die Fontane-Lounge, zu der Schauspieler Michael Gerlinger am 7. September bittet. Es ist der letzte der elf Termine, die verteilt über den ganzen Sommer in Potsdam stattfanden. Und dies schon im zehnten Jahr.

Im Abendlicht lässt sich trefflich das Mückenspiel beobachten, die Baumwipfel vergolden sich zusehends mit der untergehenden Sonne. In diesen Stunden zwischen Tag und Nacht ist der rechte Moment, sich auf Geschichten und literarisch beschriebene Beobachtungen unserer Mitmenschen einzulassen. Und das konnte Fontane: beobachten.

Fundus an Menschen und deren Geschichten

Heute Abend hat Gerlinger die Erzählung „Grete Minde“ gewählt, die 1879 entstand, aber Anfang des 17. Jahrhunderts spielt. Eine schöne Liebe, wie er zwischendrin bemerkt, und die ein Hollywood würdiges, spektakuläres Ende nimmt. Gerlingers expressiver Stimmausdruck lässt die Bilder vor dem inneren Auge lebendig werden und zaubert ein herrliches Kopfkino mit ganz persönlicher Ausstattung.

Was er denkt, wie Fontane wohl heute auf die Situation der Welt reagieren würde, frage ich im Gespräch nach der Lesung. Fontane würde beobachten, ist Gerlingers klare Antwort, und zuhören. Auch habe er seine Theorie dazu, denn Fontane stammte aus einer Apotheke. Er lernte den väterlichen Beruf des Apothekers in Berlin und arbeitete dann in Apotheken in Burg bei Magdeburg, Dresden, Leipzig und wieder in der väterlichen Apotheke in Letschin. Die Apotheke in Neuruppin, Geburtsstadt Fontanes, hatte sein Vater bereits 1826 verkaufen müssen, um seine Spielschulden begleichen zu können.

In dieser Apothekenzeit habe Fontane, so Gerlinger, über die Jahre wohl viele unterschiedliche Menschen ein und aus gehen sehen, auch schräge Typen. „So David-Lynch-Typen“, lacht Gerlinger. Fontane, oft am Mörser oder mit dem Mixen verschiedenster Präparate beschäftigt, eignete sich so über die Jahre ein großes Repertoire an Charakterstudien an, das später in sein Schreiben einfloss.

Auch die Gabe zu hingebungsvollen Naturbeschreibungen können mit der Apothekenzeit in Zusammenhang stehen. Man habe zu dieser Zeit im 19. Jahrhundert ja nicht ausschließlich beim Großhändler eingekauft, sondern sei selbst noch in die Natur gegangen, um bestimmte Pflanzen zu sammeln. Das schulte natürlich den Blick und setzte Wissen voraus, das sicherlich die Wahrnehmung veränderte.

Unterschiedliche Facetten Fontanes

Den Witz, der Fontanes Figuren oft auszeichne, betont Gerlinger zudem. Denn das ist wohl auch die Brücke, mit der manch schulzwangsverpflichtete Fontaneleser wieder einen befreiten Zugang zu dem großen Literaten der Mark Brandenburg finden kann. So habe ihn immer der Vater von Effi Briest aus dem gleichnamigen Roman Fontanes begeistert. Dieser Herr von Briest, der einem das Gefühl gebe: „Warum bin ich nicht woanders?“

Ein Grund, warum in vielen Deutschstunden die Tiefe der Literatur Fontanes nicht erlebbar wird, mag sein, dass Fontane sich einer Eindeutigkeit entzieht. Er ist Meister darin, anhand seiner Figuren die Komplexität gesellschaftlicher Zustände aufzufächern und festzuhalten, wie jeder und jede darin sein Teil zum Unglück beiträgt.

Gerlinger erinnert daran, dass Fontane, im 19. Jahrhundert groß geworden, in einer Zeit extremer Umbrüche vom Alten zum Neuen lebte. Er nahm aktiv an Barrikadenkämpfen in der Revolution von 1848 teil, wenn auch nicht sehr ambitioniert, und wurde so Zeuge, wie sich die vom Adel geprägte Gesellschaft in eine Republik umbaute. Sein Roman „Der Stechlin“ greift diesen Wandel auf.

Fontane selbst war, laut Gerlinger, stark hypochondrisch veranlagt. Dies mag auch mit Grund für ausgedehnte Aufenthalte in den Luftkurorten im Harz gewesen sein. In der eher unbekannten Geschichte über den Freiluftfanatiker Onkel Dodo und einem Icherzähler, der sich vor ständig drohenden Krankheiten fürchtet, ist dies wunderbar verarbeitet.

Berufliche Vielseitigkeit

Neben Fontanes journalistischer Tätigkeit, auch als Korrespondent aus London, sind rund 6.000 Briefe Fontanes im Fontane-Archiv Potsdam in einer Briefdatenbank belegt. Gerlinger ist beeindruckt von der Klarheit dieser Briefe. Es sind für ihn emotionale Verkündungen, in denen Fontane den Moment niederschrieb.

„Wo bin ich, wem schreibe ich, was muss ich gerade selber loswerden, was braucht das Gegenüber“, fährt er fort. Für ihn sei es eine Kunst, dass Fontane in diesen Briefen emotional sei, ohne sich ständig einer inneren Zensur zu unterwerfen, ob dies nun geschrieben werden könne oder nicht.

Dies habe Fontane – zumindest posthum – auch den Ruf eines Antisemiten eingebracht. Im Widerspruch dazu stünden seine freundschaftlich vertrauten Beziehungen zu Juden, sowohl die geschäftlichen wie die privaten. Gerlinger zitiert Fontane mit den Worten: „Ohne die jüdische Kultur hätte Berlin keine Kultur.“

Seine 240 Theaterkritiken, heute in drei Bänden nachzulesen, beweisen seine rege Teilnahme an eben diesem Berliner Kulturleben. In den Kritiken komme ebenso Fontanes gute Gabe zur Beobachtung zur Geltung. Und das Theaterleben tauche auch immer wieder als Motiv in seinem literarischen Schaffen auf. Grete Minde etwa zieht mit einer reisenden Puppenspielertruppe über Land.

Familien- und Eheleben

In seinem 30. Lebensjahr entschloss Fontane, die Sicherheit des Apothekerberufs aufzugeben. Ein Jahr darauf heiratete er seine Verlobte Emilie Rouanet-Kummer. Beide verbindet eine herzliche, vertrauensvolle Zugewandtheit, wie viele Briefe belegen.

„Sie ist eine wichtige Persönlichkeit“, erzählt Gerlinger über Frau Fontane. Sie ist Frau und Mutter im besten Sinne, sorgt umsichtig für die Kinder. Von den sieben Kindern sterben allerdings drei schon kurz nach der Geburt. Emilie Fontane hält zu ihrem Mann trotz finanzieller Nöte in den Anfangsjahren der Ehe – verzeiht ihm auch zwei voreheliche Kinder aus der Zeit ihrer Verlobung.

Am 20. September 1898 stirbt Fontane an einem Herzschlag in seiner Berliner Wohnung. Seine Frau war nicht zugegen, da sie in der Sommerfrische in der Nähe von Dresden weilte. Es gab keine Anzeichen für den nahenden Tod.

„Fontane hatte noch gestern Abends mit seinen Kindern soupirt, sich bei vollem Wohlsein in sein Schlafzimmer begeben und wurde dort bald darauf todt aufgefunden“, berichtet die „Neue Freie Presse“ zwei Tage später.

Epilog

Am Potsdamer Mühlenturm ist es Nacht geworden. Nach einer herzlichen Verabschiedung von Michael Gerlinger bin ich der letzte Gast, der den Platz verlässt. Gerlingers Worte im Ohr: „Auch wenn ich ganz traurig bin, einen miesen Tag habe – wenn ich hier lese und merke, den Leuten geht es gut und sie gehen beseelt nach Hause, dann bin ich auch beseelt, dann geht es mir gut, das ist einfach schön.“

Im Gepäck trage ich nun viele neue Leseideen und die Geschichte von Grete Minde, die mir Warnung sein wird in manch zukünftiger Auseinandersetzung mit der Familie.

Wenn Sie jetzt wissen wollen, warum, dann einfach Fontanes Buch in die Hand nehmen oder im nächsten Sommer zu Michael Gerlinger in die Fontane-Lounge nach Potsdam kommen.



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