Erntedank – so alt wie die Menschheit selbst
Jetzt in den Tagen, in denen die Morgennebel unverkennbar den Herbst ankündigen, biegen sich die Bäume vor Äpfeln, Zwetschgen und auch Birnen. Die Getreidesilos der Bauern sind gefüllt. Und wer sich den Mühen eines eigenen Gemüseanbaus verschrieben hat, weiß jetzt warum. Viel schmackhaftes Gemüse konnte bereits verzehrt und genossen werden. Anderes, in Sand eingelagert oder bereits in Gläsern eingekocht, wartet noch darauf.
Vorausgesetzt kein Hagel zerschlug die Pflanzen, keine Dürre ließ die Feldfrüchte verdorren, kein Frost zerstörte die Blüten. Diese Erfahrungen, die Hunger und vielleicht auch Hungertod bedeuteten, prägten die Menschen über die Jahrtausende. Daher nicht verwunderlich, dass sich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit entwickelte, wenn es keine Missernten, sondern gefüllte Körbe gab.
Fülle an Bräuchen
Im christlichen Kontext finden sich viele rituelle Handlungen, die Dank und die Bitte um Schutz für die Ernte ausdrücken. So besprengte im süddeutschen Raum die Bäuerin den ersten ausfahrenden Erntewagen und die Tenne, in der das Getreide gelagert wurde, sowie alle „Arntleut“ (Ernteleute) mit Weihwasser. Gemeinsam wurde ein Vaterunser gebetet.
Die erste und letzte Garbe wurden mit besonderen Zeremonien bedacht. Geweihtes Brot, Salz oder Fronleichnamsruten wurden in die erste Garbe gebunden. Die letzte wurde von der „Arntbraut“ – der Erntebraut, welches die jüngste oder älteste Magd war – geschmückt und oben auf das letzte Fuder des Erntewagens gesteckt. Nach einem Dankgebet fuhren alle unter Gesang ins Dorf zurück.
Im Haus wurde über der Tür ein Erntekranz gehängt oder ein Ährenbüschel fand im sogenannten Herrgottswinkel bis zur nächsten Ernte seinen Ehrenplatz. Auf dem Hof oder in der Tenne waren die Tische reichlich gedeckt. Ein fröhliches Schmausen, Singen und Tanzen begann. Erst dann wurden die Ernteleute entlohnt und entlassen.
Bis heute werden in den Alpenregionen Almabtriebe, auch Almabfahrt genannt, zelebriert und drücken damit den Dank der Bauern aus. Nach dem Sommer auf den Almen kehrt das Vieh Ende September wieder in die Dorfställe zurück. Ist das Jahr ohne Unfälle verlaufen, wird die Leitkuh „aufgekranzt“, das heißt mit Kräuter-, Blätter- und Blumenkränzen reichlich geschmückt. Zusammen mit der Sennerin führt sie den Zug ins Tal an.
(Quelle: Mit Kindern Brauchtum pflegen und Feste feiern, Irmengard/ Berufsfachschule für Kinderpflege der Benediktinerinnen, Frauenchiemsee – Verfasserin M.Petra Heidler OSB)
Markantes Datum
Dankgottesdienste fanden und finden überall im deutschsprachigen Raum statt. Die Termine dazu waren lange nicht eindeutig festgelegt. Ein königlicher Erlass in Preußen 1773 legte den Sonntag nach dem 29. September, dem Sankt Michaelstag, fest. In der katholischen Kirche wird das Erntedankfest erstmals im 3. Jahrhundert nach Christus erwähnt. Festgelegt wurde das Datum aber erst 1972 auf den ersten Sonntag im Oktober. Und entspricht somit der evangelischen Festlegung. 2023 ist das Sonntag, der 1. Oktober.
Die Kirchen werden dazu mit Feldfrüchten, Obst, Getreide und Blumen feierlich geschmückt. Alle Gemeindemitglieder tragen durch eine Spende dazu bei. Mancherorts werden aufwendige Ernteteppiche aus Obst und Gemüse gelegt.
Im jüdischen Glauben gilt Sukkot – das Laubhüttenfest – als Erntefest. Dieses Jahr ist es vom 29. September bis zum 6. Oktober. Hier kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Mit der temporären Behausung einer Hütte aus Ästen – einer Laubhütte – wird der Zeit ohne feste Unterkunft gedacht, als Moses sein Volk aus Ägypten in das von Gott geschenkte, gelobte Land führte. Man macht sich bewusst, dass Gottes Schutz wichtiger ist als ein festes Dach über dem Kopf.
Verbindung zum Unsichtbaren
Die Abhängigkeit von der Natur liegt dem Menschsein zugrunde, daran ändert auch aller technischer „Fortschritt“ nichts. Und dass das Wettergeschehen nicht unabhängig vom Verhalten des Menschen ist, war den Menschen zu allen Zeiten und durch alle Kulturen durch Beobachtung und Erfahrung ebenfalls klar. So sind Erntefeste als Teil eines Ackerkultes bei Völkern in aller Welt üblich.
Sie zielen darauf ab, durch die Wertschätzung der Ernte den dahinterstehenden, nicht sichtbaren Lebewesen und Gottheiten ihren Respekt und ihre Dankbarkeit auszudrücken. Und sind Ausdruck des Wissens, dass die letztendliche Macht über Leben und Tod nicht in Menschenhand liegt. Erst der respektvolle Umgang mit der Schöpfung und eigenes moralisch-ethisches Verhalten ist die Grundlage des Weiterlebens.
Der Weg der inneren Veränderung ist oft mühsam, erscheint vielleicht unmöglich. So versuchte der Mensch, die Gottheiten mit Opfern und Gaben gnädig zu stimmen. In Sagen finden sich die Roggenmuhme oder die Kornmutter, der zum Dank die erste Garbe des Getreides dargebracht wurde. In manchen Gegenden ist es heute noch Brauch, eine Garbe oder ein Ährenbüschel als „Kornmann“ oder „Kurch“ auf dem Feld stehenzulassen.
Das Bewusstsein auch um dämonische Kräfte, die danach trachteten, die Ernte zu verderben, prägte Begriffe wie den Roggenbrand, den Roggenwolf oder den Bilsenschnitter. Wobei der Roggenwolf für die unersättliche Gier und Gefräßigkeit steht, die bis zur Bewegungsunfähigkeit führen kann.
Sinn gibt tiefere Freude
Die an vielen Orten übliche Kirmes oder Kerwe und der Kirtag in Österreich finden im gleichen Zeitraum wie Erntedank statt. Mancherorts ist der Brauch der Ernteumzüge geblieben.
Wie beispielsweise im hohenlohischen Crailsheim, einer Kleinstadt in ländlicher Region zwischen Stuttgart und Nürnberg. 1841 wurde das Volksfest von Wilhelm I. als „[l]andwirtschaftliches Bezirksfest zur Hebung und Förderung der Landwirtschaft im fränkisch-hohenlohischen Raum“ gestiftet. Der Aspekt des Dankes für die Ernte ist jedoch über die Jahre zunehmend in den Hintergrund getreten. So bleibt in der heutigen Zeit vielerorts nur das Feiern als Rudiment bestehen.
Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, gerade auch mit Kindern, den tieferen Wert von Dank und Wertschätzung zu erfahren. Sei es ein Spaziergang durch die Felder, ein Besuch in einer Gärtnerei oder einem privaten Gemüsegarten oder die Teilnahme an einer größeren Ernte, wie einer Kartoffelernte.
Die Mühe um das tägliche Brot wird deutlich, aber auch die Befriedigung, die dieses Tun im Umgang mit der Natur schenkt. Das Mysterium des Lebens kann erahnt werden. Trotz aller menschlicher Wissenschaft sind es hochkomplexe Vorgänge, die uns jeden Tag erst den Teller und dann den Bauch füllen. Das Erntedankfest bietet die Möglichkeit, in Kontakt zu treten mit den in der Schöpfung wirkenden göttlichen Kräften und sich am Leben selbst zu erfreuen.
Nicht zuletzt ist es ein Fest der Sinne, zu dem der Herbst in einem Rausch an Farben und Formen einlädt. Die Wertschätzung für das täglich Brot fand vielfach Eingang in Fabeln und Geschichten, gut geeignet zum Vorlesen oder Weitererzählen. Typisch dafür ist diese russische Fabel:
Das leicht erworbene Brot
Es war einmal ein Bauer, der mähte das Gras auf seiner Wiese. Als er müde wurde, setzte er sich hin. Er nahm ein Stück Brot aus seiner Tasche und aß. Da kam ein Wolf aus dem Wald, sah den Bauern essen, lief zu ihm und fragte: „Was isst du da?“ „Brot!“, antwortete der Bauer. „Schmeckt es?“
„Und ob es schmeckt!“ „Lass mich probieren, Bauer!“ „Nun also, hier, probiere!“ Der Bauer gab dem Wolf ein Stück Brot. Es schmeckte ihm sehr gut. „Ich möchte jeden Tag Brot essen“, sagte der Wolf. „Wo kann ich es bekommen?“, fragte er.
Der Bauer antwortete: „Also, pass auf: Zuerst musst du die Erde pflügen …“ „Da ist das Brot drin?“, rief der Wolf. „Nein, nein, mein Lieber, warte doch! Dann musst du das Korn säen …“ „Und dann kann ich das Brot essen?“ Der Wolf leckte sich schon das Maul. „Aber nein, noch nicht! Du musst warten, bis das Korn auf dem Feld wächst, bis es reif ist …“
„Ach“, seufzte der Wolf, „das dauert lange! Gut, ich warte also. Aber dann kann ich Brot bekommen?“ „Nicht gleich. Du musst das Korn erst mähen und dreschen.“ „Dann kann ich Brot essen?“ „Sei doch nicht so ungeduldig, Wolf! Dann bringst du es in die Mühle. Der Müller mahlt es zu Mehl …“
„Und dann ist das Brot fertig?“ „Nein, noch nicht. Der Bäcker rührt den Teig an und formt das Brot. Dann backt er das Brot im Backofen.“ „Und dann kann ich es essen?“ „Ja, dann kannst du davon essen, so viel du willst“, beendete der Bauer seine Erklärung.
Der Wolf dachte lange nach. Er kratzte sich hinter den Ohren. „Nein“, sagte er, „Das ist zu viel schwere Arbeit. Ich will ein leichteres Brot essen.“ Hungrig lief er davon. Plötzlich sah er eine Herde Schafe. Der Schäfer schlief. Der Wolf suchte sich den schönsten Schafbock aus, packte ihn und sagte: Ich werde dich jetzt fressen!“
„Nun also“, sagte der Bock, „das ist dann wohl mein Schicksal. Ich will es dir leicht machen: Bleibe hier stehen und mache dein Maul ganz weit auf! Ich gehe auf den Hügel, nehme Anlauf und springe dir direkt ins Maul!“
„Ja, gut“, sagte der Wolf, „so machen wir es.“ Er sperrte seinen Rachen auf und wartete. Der Schafbock nahm einen gewaltigen Anlauf und knallte mit den Hörnern auf den Kopf des Wolfes. Dem wurde schwarz vor Augen und er fiel um.
Als er wieder zu sich kam, schüttelte er sich und fragte laut: „Habe ich den Schafbock nun gefressen oder habe ich ihn nicht gefressen?“ Das hörte der Bauer, der gerade auf dem Heimweg war. Er sagte: „Nein, du hast nichts gefressen – aber du hast vom leichten Brot gekostet!“
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