Erich Kästner: „Menschen wirken wie verwandelt, wenn man sie als Mensch behandelt“


Vor 125 Jahren wurde der Autor Erich Kästner geboren.
 Seine Bücher, Texte und Aphorismen werden auch heute noch viel geliebt. Sie sind geradezu verblüffend aktuell. Von ihm stammt der Spruch: „Tugenden sind die wichtigsten Rohstoffe für den Aufbau eines Landes.“
Titelbild
Erich Kästner (1961) und sein Werk „Emil und die Detektive“, Einbandzeichnung Walter Trier, spätere Auflage. Erstauflage 1929.Foto: Walter Trier, Basch/Opdracht Anefo, Public domain, via Wikimedia Commons, Collage: Epoch Times
Von 22. Februar 2024

„Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt“, schreibt Kästner im Jahr 1925. „Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben“, ermuntert er seine Leser.

Gerade einmal 26 Jahre zuvor, am 23. Februar 1899, wurde er als einziges Kind des Sattlermeisters Emil Richard Kästner und seiner Frau Ida in Dresden geboren. Kindheit und Jugend sind ganz besonders durch die innige Liebe zwischen Mutter und Sohn geprägt. Aus Begeisterung am Lernen und um seiner Mutter Freude zu bereiten, wird er zum fleißigen und guten Schüler, zum „wahren Musterknaben“, wie er später schreiben wird.

Das Haus in der Königsbrücker Straße in Dresden, in dem Erich Kästner 1899 geboren wurde. Foto: Lupus in Saxonia, CC BY-SA 4.0

Prägende Erlebnisse

Er ist ein waches Kind, ein Kind, das tief empfindet und das seine Gedanken und Erlebnisse sorgsam aufbewahrt – wie kleine Edelsteine. Sie fasst er später in Worte – so aufrichtig und authentisch, als sei das Erzählte gerade erst vor wenigen Tagen geschehen.

Die Geschichte vom Malheur am ersten Schultag ist solch ein kleiner, melancholischer Schatz. Durch ein Versehen bricht dem ABC-Schützen Erich Kästner die, voll Stolz getragene Schultüte entzwei und ihr Inhalt fällt, purzelt und rollt auf den Boden. Über den großen Kummer des kleinen Siebenjährigen schreibt Kästner: „Auch über Schokolade kann man weinen. Auch wenn sie einem selber gehört.“

Doch nicht nur dieser unvergessliche Moment kindlichen Grams, auch so manch erschütternde Erfahrung durch harten Drill und Herrschsucht, die der Junge in der Schule macht, bewegen den wissbegierigen und lernbegeisterten Schüler. So nachhaltig, dass sich sein Denken und Schreiben später immer wieder mit Fragen respektvoller und kluger Pädagogik beschäftigen wird.

Zeitenwende

Intensiv erlebt Erich Kästner als 15-Jähriger auch die Zeitenwende des Ersten Weltkriegs. Intuitiv spürt er die Tragweite des Geschehens. „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende“ erinnert er sich in seinem Buch „Als ich ein kleiner Junge war“ aus dem Jahr 1957.

1914 werden Schulkameraden Erich Kästners eingezogen. Einige sterben an der Front und lassen ihre Freunde in der Heimat erschüttert zurück. Kästner selbst wird bei der Militärausbildung in Dresden von einem Feldwebel so gepeinigt, dass er eine Herzschwäche entwickelt.

Für ihn persönlich ist die Kriegsgefahr nun vorbei, doch zeit seines Lebens wird er nicht müde werden, vor Willkür, Machtmissbrauch und Kriegslüsternheit zu warnen.
 „Glaubt nicht, Ihr hättet Millionen Feinde. Euer einziger Feind heißt – Krieg.“ schreibt er später.

„Fantasie von Übermorgen“ aus Erich Kästners Gedichtband „Lärm im Spiegel“ von 1929, mit einer Vignette von Rudolf Großmann. Foto: Thomas P. Meiningen, CC BY-SA 4.0 

Liebevolle Förderung – unermüdliche Arbeit

Unermüdlich gefördert von seiner Mutter, die das väterliche Gehalt aufbessert, Zimmer untervermietet und in der Familienwohnung eine kleine Frisierstube eröffnet, kann Erich mit 13 Jahren ein pädagogisches Seminar besuchen, das sich der Ausbildung zukünftiger Lehrer widmet.

Vier Jahre später wechselt der hervorragende Schüler auf das Dresdner König-Georg-Gymnasium und beginnt nach seinem Abitur im Wintersemester 1919 in Leipzig mit dem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft, Philosophie und Geschichte.

Vor allem die Inflation der Nachkriegszeit zwingt ihn zu allerlei Nebenbeschäftigungen.

 „Studiert wurde nachts“, bemerkt Kästner später trocken. Doch auch da schreibt er oft Theaterkritiken und launige Glossen.

Eine Satire über die grassierende Geldentwertung bringt ihm schließlich die Anstellung als Redakteur beim Leipziger Tageblatt. 
Dann geht es für ihn Schlag auf Schlag. Er promoviert 1925, geht 1927 nach Berlin und macht dort eine geradezu märchenhafte, literarische Karriere.

In allen renommierten Zeitungen und Magazinen erscheinen Kästners Gedichte, Satiren, Texte und Kritiken.
 Bald feiert Kästner auch Erfolge mit Gedichtbänden, Hörspielen, Bühnenstücken und dem Berliner Großstadtroman „Fabian“, der die moralischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Zeit melancholisch und beklemmend beleuchtet.

Hoffnung und Mut

Doch Erich Kästner schreibt auch für Kinder und findet hier einen ganz anderen, hoffnungsfrohen und heiteren Ton. 
Seinen jugendlichen Romanhelden ist er so nah und herzlich verbunden,
 als sei er selbst niemals ganz erwachsen geworden.
 „Ein Erwachsener, der das Kind in sich verdrängt“, so Kästner, „gleicht einem Menschen, der in den ersten Stock eines Hauses geht und die Treppe hinter sich abreißt.“

1929 erscheint Kästners berühmtes Buch „Emil und die Detektive“, und trägt stark autobiografische Züge. 
Nicht nur ist Erich Kästner auf den Namen Emil Erich getauft, auch sein Held, Emil Tischbein liebt seine Mutter über alles. Sie hat ihm auf die Reise nach Berlin mühsam Erspartes mitgegeben, das sie in ihrem Friseursalon hart erarbeitet hat.

„Frau Friseuse Tischbein, Emils Mutter“; Illustration von Walter Trier im Buch „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner. Foto: Public Domain

Ein hinterlistiger Dieb bestiehlt den Jungen auf der Zugfahrt, hat jedoch nicht mit der Pfiffigkeit Emils und der Berliner Kinder gerechnet, die dem Jungen aus der Provinz beistehen. Als Großstadtdetektive bringen sie den Verbrecher zur Strecke. Ihr Mut und ihr Zusammenhalt siegen über Skrupellosigkeit und Unmoral. „Emil und die Detektive“ wird zum grandiosen Erfolg – der bis heute anhält.

Auch Kästners Bücher „Pünktchen und Anton“ von 1931 und „Das fliegende Klassenzimmer“ aus dem Jahr 1933 erobern die Kinderherzen im Sturm – und immer wieder neu – von Generation zu Generation.

Ausschnitt aus der Titelseite zu Erich Kästners Roman „Pünktchen und Anton“, Zeichnung von Walter Trier. Foto: Public Domain

1933 geschieht jedoch auch das, was Erich Kästner als klarsichtiger Beobachter und Kritiker des Zeitgeschehens schon lange befürchtet hatte. Die Nationalsozialisten ergreifen die Macht und beginnen sofort ihre lange angekündigten, totalitären Pläne umzusetzen.

Unerschrocken und als einziger, selbst betroffener Autor geht Erich Kästner am 10. Mai 1933 zur Berliner Bücherverbrennung am Bebelplatz.

Gedenktafel im Boden des Bebelplatzes, dem Ort der Berliner Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933. Foto: Mike Peel, CC BY-SA 4.0

Unerschrockener Augen- und Ohrenzeuge

„Es war ja angekündigt worden“, erzählt Kästner bei einem Interview Anfang der 70er-Jahre, „und da dachte ich mir ‘Wenn die schon meine Bücher verbrennen, dass ich da dabei sein will – als Augen- und Ohrenzeuge.‘ […] da rief plötzlich jemand […] da steht ja Kästner! Noja, da war uns ja nu nicht sehr wohl […].“

Er weiß um die Gefahr und entscheidet sich trotzdem gegen die Emigration.
 Auch um seine alte Mutter nicht allein zurücklassen zu müssen.

Noch einige Jahre kann er trotz der Verfemung publizieren, dann arbeitet er unter verschiedenen Pseudonymen und laviert sich unter anderem durch geduldete Mitarbeit an UfA-Produktionen durch die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte hindurch.

1957 spricht er in seiner Dankesrede zum Georg-Büchner-Preis über sich in der dritten Person: „Mit dem Schicksal der meisten anderen ‚unerwünschten‘ Autoren verglichen, war das Seinige ein Kinderspiel! […]“

 Wie so oft bei Erich Kästner ist hier seine uneitle Aufrichtigkeit, seine Abscheu gegen Pathos und prätentiöses Gehabe zu erkennen.

Optimist – trotz allem

Und trotz allem, was er erlebt und beobachtet hat, bleibt Erich Kästner 
ein unveränderlicher, wenn auch melancholischer Optimist.

„Die Erde soll früher einmal ein Paradies gewesen sein“ schreibt er, „Möglich ist alles. Die Erde könnte wieder ein Paradies werden. Alles ist möglich.“

Vor fast 50 Jahren, am 29. Juli 1974, stirbt Emil Erich Kästner in München.
 Auch unserer Zeit haben seine ehrlichen, geistreichen und gewitzten Texte und Pointen sehr viel zu sagen.

„Denkt ans fünfte Gebot: Schlagt Eure Zeit nicht tot!“

 (Erich Kästner, 1899 – 1974)



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