Bei Ridley Scotts „Napoleon“ vermisst man eins: Napoleon
Man kann bei einem Film über Napoleon nur eins falsch machen: die falsche Handlung wählen. Und genau das hat Regisseur Ridley Scott in seinem jüngsten Film „Napoleon“ getan.
Dieser Fehler in der Storyline betrifft jedoch nicht die historische Genauigkeit. Schließlich handelt es sich um eine Hollywood-Produktion, sodass man seine Erwartungen von vorneherein dämpfen sollte.
In den Monaten, Wochen und Tagen vor der Veröffentlichung des Films an Thanksgiving haben Onlinehistoriker und Geschichtsbegeisterte den Trailer seziert. Wohl eher, um sich selbst zu profilieren.
In einem zweiminütigen Trailer geschichtliche Zusammenhänge zu erkennen, ist so gut wie unmöglich. Vor allem, weil er auf einem fast dreistündigen Film basiert.
Ridley Scott zählt zu den großen Regisseuren unserer Zeit und hat bei einigen der erfolgreichsten und denkwürdigsten Filme hinter der Kamera gestanden – wie „Alien“, „Blade Runner“, „Gladiator“.
Aber er ist nicht der Typ Mensch, dem es um historische Genauigkeit geht. Scott kümmert sich viel mehr um die richtigen Aufnahmen. Schöne Aufnahmen. Aufnahmen, in die man versinken kann. Und zweifellos ist ihm das in „Napoleon“ oft gelungen; aber die Kinematografie konnte diesen Film nicht retten.
Das Einzige, was den Film hätte retten können, wäre eine vernünftige Handlung gewesen und die hatte man offensichtlich im Zeichensaal aufgegeben.
Liebe oder Krieg
Wofür ist Napoleon Bonaparte bekannt? Krieg. Jeder, der etwas anderes behauptet, sagt entweder die Unwahrheit oder hat keine Ahnung. Ganz gleich, auch wenn dies Scott oder ein YouTube-Historiker meint, der sich über mögliche historische Ungenauigkeiten in dem Trailer auslässt.
Napoleon gehört zu einem der wenigen Militärgenies, die jemals auf dem Schlachtfeld gestanden haben. Ich spreche nicht von den unzähligen Generälen, die in der Geschichte große Erfolge erzielt haben. Ich meine Genies, die die Kriegsführung verändert haben.
Die Liste ist kurz. Napoleon und Alexander der Große stehen ganz oben darauf. Und Alexander steht wahrscheinlich nur an zweiter Stelle, weil er eine einsatzbereite Kriegsmaschinerie von seinem Vater Philipp II. von Makedonien erbte. In diesem Film geht es jedoch nicht vorrangig um Krieg oder Kriegsführung.
Im Mittelpunkt von Scotts Film steht die Beziehung zwischen Napoleon und seiner Frau, der Königin Josephine. Oder sollte man es andersherum ausdrücken, um die Beziehung von Josephine zu Napoleon. Denn es war zeitweise schwer zu entschlüsseln, um wen es in dem Film geht.
Ein passenderer Name wäre „Napoleon & Josephine“ gewesen. Zumindest wüsste der Zuschauer dann, was ihn erwartet, bevor er eine Eintrittskarte kauft.
Jeder, der sich mit Napoleon befasst hat, weiß von Josephine und ihrer eher inkompatiblen Ehe.
Joaquin Phoenix spielt Napoleon (wohlgemerkt mit amerikanischem Akzent) und Vanessa Kirby spielt Josephine (die, wie alle im Film, die nicht Napoleon Bonaparte heißen, einen britischen Akzent hat). Beide stellen das unbeholfene und unpassende Duo ziemlich genau dar.
Die Chemie zwischen den beiden stimmt nicht und das sollte sie auch nicht. Es war eine Ehe, die auf Besessenheit und Notwendigkeit beruhte. Und der Zuschauer muss ihrer Interaktion zuschauen, während er hofft, dass Napoleon schließlich in die Schlacht zurückkehren wird.
Nur wenige Kriegsszenen
Das passiert während des Films jedoch selten, obwohl Napoleon in der Realität regelmäßig in den Krieg zog. Von den zahlreichen Schlachten, die Napoleon während seiner zehnjährigen Herrschaft führte, haben es nur wenige in das Drehbuch geschafft:
1. die Belagerung von Toulon (als Napoleon noch Hauptmann war),
2. die Schlacht bei den Pyramiden (die seltsamerweise damit beginnt und endet, dass französische Kanonen auf eine Pyramide abgefeuert werden),
3. die Schlacht von Austerlitz (die als Napoleons Kronjuwel gilt),
4. die Schlacht von Borodino (die im Film etwa 10 Sekunden dauert)
5. und Waterloo, die einzige Schlacht, mit der sich der Film Zeit lässt, obwohl er sie kaum so aussehen lässt wie das, was der Herzog von Wellington als „das beste Rennen, das Sie je in Ihrem Leben gesehen haben“, bezeichnete.
Die französische Flottenniederlage bei Trafalgar wird mit keinem Wort erwähnt – ein vollständiger britischer Sieg, der die Überlegenheit der Briten auf See für das nächste Jahrhundert sicherte.
Im wirklichen Leben glänzte Napoleon auf dem Schlachtfeld, strahlte unter seinen Soldaten (der Grande Armée – ein Name, der im Film nie erwähnt wird) und übertrug das Siegen auf seine Marschälle (die brillanten und tapferen Männer, die die Armeen in die Schlacht führten, aber im Film nie vorgestellt werden).
Man muss das Leben von Napoleon Bonaparte gut kennen, um der Handlung folgen zu können; und wenn man das tut, ist der Frust darüber, was in diesem Film alles fehlt, nur noch größer.
Fehlender Napoleon
Der Enttäuschung kommt daher, weil Scott und sein Drehbuchautor David Scarpa eine Nebenhandlung zum Hauptthema gemacht haben. Klar spielte Josephine eine wichtige Rolle in Napoleons Leben. Er war von seiner Frau besessen. Das führte auch zu Enttäuschungen und Kummer und ist wichtig, um zu verstehen, wer Napoleon war.
Wie er mit ihr umging, spiegelte sich auch in seinem Verhalten seiner Armee gegenüber wider – nämlich fordernd, liebevoll, kontrollierend, selbstlos und grausam.
Welche Methode er einsetzte, war je nach Situation anders. Im Kern war immer die Leidenschaft zu ihr und dem Krieg.
Obwohl er Josephine liebte, ließ er sich von ihr scheiden, um sich einen Erben zu sichern. Er liebte seine Soldaten, doch er opferte sie rücksichtslos auf seinem Marsch durch den russischen Winter.
Der Aufstieg und Fall von Napoleon Bonaparte ist eine Geschichte der blutigen Schlachten und nicht der leidenschaftslosen Sexualität.
Die napoleonische Ära erhielt ihren Namen wegen der napoleonischen Kriege und nicht wegen der napoleonischen Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Napoleon hat eine enorme Tiefe, die in diesem Film nicht vorhanden ist.
Scotts Film stellt einen Mann falsch dar, der die Methoden der Kriegsführung und den Lauf der Geschichte verändert hat. Ich glaube sogar, dass er ihn überhaupt nicht dargestellt hat.
Der „Napoleon“ im Film ist nicht der Napoleon der Geschichte, weil zu viel von seiner Geschichte fehlt.
Während sich Historiker und Geschichtsbegeisterte mit der Korrektheit der Uniform, dem Fahnendesign und der Ausrichtung der Pferde der französischen Kavallerie beschäftigen, entgeht ihnen das Gesamtbild.
Sie tun genau das, was Scott und Scarpa taten. Sie haben den Mann, das Genie, den Helden und den Schurken ausgelassen. Sie haben Napoleon Bonaparte übersehen. Und das ist sehr schade, denn es gibt so viel zu sehen.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter: “Ridley Scott’s ‚Napoleon‘ Is Missing One Thing: Napoleon“ (deutsche Bearbeitung nh).
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