Ein schöner Tag in Berlin

Bei einem Besuch in Berlin ließ unser Autor den Zufall entscheiden, was er sich anschaut und sich durch die Straßen treiben.
Titelbild
Schloss Charlottenburg – Frontansicht.Foto: istockphoto
Von 22. November 2021

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Besuch in Berlin. Schon lange hatte ich keine Zeit mehr, die Stadt gründlich anzuschauen. Und jetzt stehen mir plötzlich vier Stunden zur Verfügung. Alleine. Doch wo fange ich an, es gibt doch so viel zu sehen?

Warum nicht direkt vor der Haustür? Und das Ziel? Ich suche in meiner App und finde wie durch Zufall: Schloss Charlottenburg. Ich liebe schöne historische Gemäuer, will zur Ruhe kommen. Das Navi zeigt an: 50 Minuten für knapp vier Kilometer. Beim Laufen wird mir sicher warm, es ist doch kalt.

Oder doch lieber ein Streifzug durchs Viertel? Dort ein wunderschönes Gründerzeithaus, Windrädchen auf dem Balkon. Auf der anderen Seite ein eckiger Bau fürs Runde, den Berliner Fußball-Verband.

Ein Mann raucht auf seinem Motorroller sitzend, stehend in Ruhe seine Zigarette, eine Frau säubert mit einem Handfeger den Eingang eines Mietshauses. Micro-Living. Wie geht Micro-Living?

Es gibt doch diese Geschichte …

– Halt, ein Blick aufs Navi, den Weg nicht verlieren.

Es gibt doch diese Geschichte, wo jemand eine große, gar übermenschliche Aufgabe aufgetragen bekommt …

– über die Kreuzung dann kommt Bauhaus –

Und zur Erfüllung nur fünf Tage eingeräumt bekommt.

Was tut er? Er macht sich nicht direkt ans Werk …

– Eisenbahnbrücke Berlin Halensee –

Sondern meditiert erst einmal, wird sich seiner Motivation, seiner Gedanken und Egoismen bewusst und schafft sein Werk schließlich mit dieser Klarheit mit Leichtigkeit und in nur einem Tag. Ein schöner Gedanke.

– Soll ich den Ku´damm wirklich auslassen? – Links über die Ampel

Eine Wohnblocksiedlung. Vater und Tochter auf dem Rad: „Man Papa, kaum suche ich dich, kommst du schon um die Ecke.“ Er lächelt.

„Lassen Sie die Türe auf“, sagt die Nachbarin zur anderen an der Müllsammelstelle.

Mir kommen die Tränen. Die Menschlichkeit. Die Ruhe, das Nichts-erstreben-Wollen.

Täglich im Orbit der politischen Ungeheuerlichkeiten kreisend ermüdet: Aber auf die Menschen kann man trotzdem zählen.

– Kreissägengeräusche aus der ersten Etage.

Kurz vor der Unterführung ein kleiner umzäunter Garten. Mangold, Rosen, Kompost, Gießkannen und eine steinerne Trinkstelle für Vögel. Ich sitze auf einer aus Balken zusammengeschraubten Bank und denke: eine Idylle mitten in der Stadt. Und ich spüre sie.

Komme ich rechtzeitig wieder zurück? Gut, die Ampel ist schon mal grün.

„Entdecke wer du sein kannst“, steht auf einem Plakat.

Der Geist braucht seine Ruhe.

Mein Navi sagt: Noch 24 Minuten.

Amtsgericht Charlottenburg, ein schöner weißer Gründerzeitbau mit ockerfarbenen Fenstersteinen. Die alten Zeiten – was hier schon alles verhandelt worden ist. 200 Meter lang ist das Gebäude, auf der Rückseite steht „königliches Amtsgericht“, vermutlich aus der Kaiserzeit?

Mann mit einem antiken Stuhlbein in der Hand, Mutter mit grünen Haaren. Die Vielfalt.

Viele schöne kleine Läden: Antiquitäten, Wein Pabst, Wohnungsauflösungen, Antiquitäten, Blumen, Buchladen, Antiquitäten, Wohnungsauflösungen, Coiffeur. Hier scheint sich das Wohnung-Auflösen zu rentieren. Ich denke an Irland. Kleine Läden, überschaubar, keine Tempel des Konsums.

– Sophie Charlotte Platz – ist das die Charlotte vom Schloss?

– Siegessäule in der Ferne

Zwei Baumreihen, in der Mitte ein Weg für Fußgänger. Hinten leuchtet gelb das Schloss. Grüne Kuppel, obendrauf ein …?

Ein Mittvierziger mit Bauch macht Hoolahoop-Workout. Sieht lustig aus, alte Frau belächelt ihn. Ich stelle mir vor, wenn das ihr Sohn wäre, ob sie dann auch lächeln würde?

Die Kuppel des Schlosses Charlottenburg ist hinter herbstlichen Bäumen zu sehen. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Was steht da für eine Figur auf der Kuppel? Ein Engel? Nicht genau zu sagen. Sieht aus wie eine kurzhaarige Frau im Evakostüm, ganz in Gold.

Kopfsteinpflaster auf dem Platz vor dem Schloss, schön darauf zu gehen und den unebenen Untergrund zu spüren. Gusseiserne Lampen, stilvoll, wie es sich für einen Schlossplatz gehört.

Heute will ich hier mit niemandem sprechen, nur beobachten. Ich setze mich auf eine Bank. Vereinzelt schlendern Menschen vorbei.

 

Blick aus dem Garten. Schloss Charlottenburg, die einzige erhaltene königliche Residenz der Stadt aus der Zeit der Hohenzollern. Foto: istockphoto

Die Sonne stößt durch die Wolken und lässt die goldenen Spitzen des Zauns glänzen; als krönender Abschluss Sterne oder Sonnen mit goldenen Strahlen, darin „suum cuique“  – Jedem das Seine oder auch: Jedem nach seinem Verdienst. Zwei wehrhafte Athleten mit Schwertern und Schilden verteidigen den Eingang zum Schloss. Zwei Französinnen stecken die Köpfe zusammen und schießen Selfies. „Il faut prendre ce doigt“, sagt die Eine. – „Il faut prendre ce doigt“ – wie schön sich das anhört! Ich denke an Versailles und dass ich diese Sprache gerne höre, sie aber zu selten spreche.

Der Wind treibt die braunen Blätter über den Platz. Ich stehe auf, denke daran, dass Versailles nicht nur ein schönes Schloss, sondern auch einen wunderschönen Garten hat und erfahre, dass Schloss Charlottenburg auf seinen auch sehr stolz ist. „Der Charlottenburger Schlossgarten ist eines der bedeutendsten Gartendenkmale Deutschlands. Es wurde Ende des 17. Jahrhunderts nach Plänen von Simeon Godeau … als Barockgarten angelegt“, steht auf einem Schild.

Zwischen zwei Engeln hindurch schlendere ich in den Schlosspark am Spreebogen. Mehrere Reihen Bäume und Wege führen vom Schloss weg zu einem See. Kegelförmige Zwergbäumchen, eine Gartenanlage mit Bodenverzierungen aus buntem Kies, Figuren wie aus der Märchenwelt vergangener Jahrhunderte. Ich trete ans Wasser: Schilf, Enten und Gänse, in der Ferne eine geschwungene Brücke. Knallgelbe Blätter hochoben in den Wipfeln der Bäume. Ein schöner Samstag.

Der Artikel erschien zuerst in der gedruckten Epoch Times Wochenausgabe am 20. November.pp



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