Ein Paradiesgarten, der nicht verwelkt



1613 erschien der Prachtband „Hortus Eystettensis“, der Pflanzen des fürstbischöflichen Gartens zu Eichstätt in unvergleichlicher Weise zeigt.
 Vor 30 Jahren wurden die verschollenen Drucktafeln in Wien wiederentdeckt. Fünf Jahre später entstand auf der Eichstätter Bastion wieder ein Garten – vom Buch inspiriert.
Titelbild
Mohnblumen, Papaver laciniatum – Ausschnitt einer Bildtafel aus dem Prachtband „Hortus Eystettensis“, herausgegeben von Basilius Besler im Jahr 1613.Foto: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3545747
Von 2. September 2024

Carl von Linné, der bedeutende Naturforscher und Botaniker, pries ihn im 18. Jahrhundert als „incomparabile opus“, als „unvergleichliches Werk“:
 den Prachtband über die Pflanzen des Eichstätter Renaissancegartens, des „Hortus Eystettensis“.

In Auftrag gegeben zu Beginn des 17. Jahrhunderts vom Fürstbischof Johann Konrad von Gemmingen, fasziniert seine geradezu liebevolle Konzeption und die Schönheit der in strahlenden Farben kolorierten 366 Kupferstichtafeln noch heute.

Traum von blühenden und grünenden Gärten

Doch die Grundlage für dieses außergewöhnliche Werk der Buchdruckerkunst wurde schon Jahrzehnte vor seinem Erscheinen gelegt. Es war der Wunsch, eine Befestigungsanlage auf felsigem Grund mit blühenden und grünenden Gärten zu umgeben.

Hoch über dem Städtchen Eichstätt und der sich ruhig dahinschlängelnden Altmühl erhebt sich auch heute noch die imposante Anlage der Willibaldsburg – benannt nach dem englischen Missionar und späteren Heiligen, der im 8. Jahrhundert mehrere Jahrzehnte lang als erster Bischof Eichstätts segensreich wirkte.

Die Willibaldsburg heute. Im Vordergrund die Altmühl. Foto: Martin Geisler, CC BY-SA 3.0

Burg auf kargem Felssporn

Im Jahr 1070 wird eine erste Befestigungsanlage auf dem spornförmigen kargen Geländerücken erstmals erwähnt. Erst Mitte des 14. Jahrhunderts – nach dem Aussterben der bis dahin weltlichen Burgherren – nehmen die Bischöfe von Eichstätt die militärische Sicherung des Bistums selbst in die Hände. In vielen Bauabschnitten wird die Burganlage zur wehrhaften Bischofsresidenz ausgebaut.

Die Willibaldsburg über Eichstätt, Matthäus Merian: Topographia Franconiae, 1648. Foto: Gemeinfrei

Die Ausschmückung und Verschönerung der Burg tritt schließlich mit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer mehr in den Vordergrund.

Ausgeklügelte Bewässerungssysteme und der Transport frischer Erde hinauf auf den Burgberg machen nun die Pflanzungen möglich, die sich
 Fürstbischof Martin von Schaumberg erträumt.

So neuartig und prächtig scheinen schon diese ersten Gärten der Willibaldsburg gewesen zu sein, dass Philipp Menzel, Dichter und Professor der Universität Ingolstadt, die „von Blumen duftenden Gärten“ der Bastion im Nachruf des Jahres 1590 ganz ausdrücklich als besondere Errungenschaft des verstorbenen Fürstbischofs erwähnt.

Wachsendes Interesse für die Botanik

In die Fußstapfen seines Vorgängers tritt nur wenige Jahre später Fürstbischof Johann Konrad von Gemmingen. Das ihm anvertraute Erbe der blühenden Gärten will er auf eine weitere Stufe heben.

Er beauftragt den berühmten Nürnberger Arzt und Botaniker Joachim Camerarius mit ihrer Erweiterung. Doch Camerarius stirbt bereits ein Jahr, nachdem die Umsetzung erster Planungen begonnen hat.

 Die Projektleitung wird 1598 einem weiteren Nürnberger übertragen – dem Apotheker Basilius Besler.

Der 37-jährige Besler betreibt in der florierenden freien Reichsstadt die Apotheke „Zum Marienbild“. Auch von Berufs wegen ist er sehr an der Botanik interessiert, die damals als nicht eigenständiges Wissensgebiet besonders eng mit der wichtigen Frage nach den Heilkräften von Pflanzen verknüpft war.

Große Sonnenblume (Flos Solis Maior), aus „Hortus Eystettensis“. Foto: Public Domain

Durch den intensiven Kontakt zu Ärzten und Botanikern wie dem nun verstorbenen Joachim Camerarius, dessen Vetter Ludwig Jungermann und dem flämischen Gelehrten Carolus Clusius hat sich Besler ständig fortgebildet und erreicht Erstaunliches.

Rosen, Lilien, Tulipani

Der Augsburger Patrizier und Kunstagent Philipp Hainhofer beschreibt das Ergebnis, das er vor Ort besichtigt, im Jahr 1611 mit deutlich hörbarer Begeisterung: Wohl sei er durch „acht Gärten um das Schloss herum, welches auf Felsen liegt […], gegangen, welche alle unterschiedlich von Ländern, von partimenti [Beeten], von Blumenwerk, […] von schönen Rosen, Lilien, Tulipani [Tulpen], […] teils mit gemalten Sälen und Lustzimmern gezieret“ seien.

Es entwickelt sich also, wie Fürstbischof Gemmingen selbst an Herzog Wilhelm V. von Bayern in aller Zurückhaltung schreibt, aus seinem „engen gärtlein“ eine großzügige, zusammenhängende Gartenanlage.

Tulpen aus „Hortus Eystettensis“ von 1613, herausgegeben von Basilius Besler. Foto: Gemeinfrei

Unermüdlich besorgt Besler Pflanzen für den „Hortus Eystettensis“ – aus heimatlichen und exotischen Gefilden. Hilfreich sind die Ratschläge der befreundeten Botaniker und die Handelsbeziehungen Nürnbergs zu den großen niederländischen Hafenstädten.

Vergängliche Schönheit festhalten

Gleichzeitig reift in Besler ein noch weitreichenderer Gedanke. Denn sehr wahrscheinlich ist er es, der dem Fürstbischof die Umsetzung eines Buchprojektes vorschlägt, das seinesgleichen noch nicht gesehen hat.

Und er trifft beim Fürstbischof auf ungeteilte Begeisterung für die Idee, die vergänglichen Pflanzen der Eichstätter Bastionsgärten in einem außergewöhnlichen Prachtband verewigen zu lassen. Den offiziellen Auftrag des Bischofs, als leitender Herausgeber zu fungieren, erhält Basilius Besler um das Jahr 1606.

Es folgen sieben Jahre Arbeit am „unvergleichlichen Werk“, das so viele Kupferstiche wie Tage eines Schaltjahres umfasst, in seiner Systematik den Wechsel der Jahreszeiten abbildet und auf insgesamt 850 Seiten insgesamt 1.084 Pflanzen behandelt.

Schier unglaubliche Logistik ist für das Erreichen dieses Ziels vonnöten, dessen Etappen der Fürstbischof voll Interesse verfolgt. Ein- bis zweimal wöchentlich lässt er Pflanzen aus den Eichstätter Beeten an Besler senden, der einen eigenen Garten für sie in Nürnberg anlegt. Die Spuren der Tagesreise nach Nürnberg können so beseitigt werden, bevor Besler die wieder ganz frischen Gewächse an seine Zeichner weiterreicht.

Kaiserkrone, unkoloriert, aus „Hortus Eystettensis“, herausgegeben von Basilius Besler. Foto: Public Domain

Die so entstandenen Handzeichnungen gibt und versendet Besler wiederum an Kupferstecher in Nürnberg und Augsburg, die diese kunstvoll auf Kupferplatten übertragen. Die Vervielfältigung der Pflanzendarstellungen übernehmen vermutlich mehrere Druckereien, um die Herstellungszeit des Prachtbandes verkürzen zu können.

Denn schließlich ist für jede einzelne Bildtafel eine sogenannte „Zurichtzeit“ von einem ganzen Arbeitstag nötig, bis Druck- und Druckerschwärze an den mechanischen Handpressen optimal eingestellt sind.

Neuzeitliche Versuche und historische Herstellung

Diese Erkenntnis fördert die grafische Versuchsabteilung der Wiener Albertina bei Probedrucken zutage, nachdem 1994 die jahrhundertelang verschollen geglaubten Kupferplatten in den Tiefen ihres Wiener Depots wiederentdeckt wurden.

Im Herstellungsprozess im frühen 17. Jahrhundert wird nach all diesen Arbeitsschritten eine einfachere, nicht kolorierte Edition von 300 Exemplaren für eine interessierte Käuferschaft gebunden.

Die fürstbischöfliche Ausgabe – auf vermutlich wenige Dutzend Exemplare limitiert – durchläuft jedoch weitere Veredelungen. So wird sie besonders prachtvoll illuminiert. Auf den Bildtafeln erstrahlen die Pflanzen und ihre Blätter, Wurzeln und Blüten in leuchtenden, weitestgehend naturgetreuen Farben.

Inzwischen wird der Fürstbischof bereits von vielerlei schweren Leiden geplagt und muss sich „in Grün und Feld tragen“ lassen, so Hainhofer, um in der Schönheit der Schöpfung Kraft zu finden. 
Die Vollendung seiner in Druckerschwärze und Farbe verewigten Pflanzen erlebt er nicht mehr. Er stirbt im Jahr 1612, ein Jahr vor der Fertigstellung des gedruckten „Hortus Eystettensis“.

Sein Nachfolger Johann Christoph von Westerstetten übernimmt die abschließende Finanzierung des einzigartigen botanischen und bibliophilen Projekts, das insgesamt stolze 17.500 Gulden kostet, was etwa dem Äquivalent von sieben stattlichen Wohnhäusern entsprach.

Ein Paradiesgarten zwischen Buchdeckeln

Auf sogenanntem großem Königsfolioformat von 57 mal 46 Zentimetern entfaltet sich voll liebevoller Sorgfalt und Genauigkeit die Vielfalt, Schönheit und Farbenpracht der meisterhaft auf Papier gebannten Flora. Mit dem Aufschlagen des Bandes scheinen sich auch die Pforten zu einem Paradiesgarten zu öffnen.

Ein illuminiertes Exemplar des „Hortus Eystettensis“ in der Bibliothek der Universität von Liège. Foto: Martine Lambricht, CC BY-SA 4.0

Mit den Verwüstungen und Nöten des Dreißigjährigen Krieges, die auch die Bischofsstadt Eichstätt heimsuchen, gerät dieses Meisterwerk der Renaissance jedoch in Vergessenheit.
 Auch die Gärten der Willibaldsburg verwildern und verschwinden über die Jahrhunderte ganz.

Wiederentdeckung und Rückkehr

Nicht zuletzt der unerwartete Fund der verloren geglaubten Druckplatten am Ende des 20. Jahrhunderts lenkt die Aufmerksamkeit zurück auf den „Hortus Eystettensis“. 1998 wird ein Bastionsgarten angelegt, in dem viele Pflanzen aus dem Prachtband wieder auf die Willibaldsburg zurückkehren.

Vom Renaissancegarten und Prachtband „Hortus Eystettensis“ inspiriert: der Bastionsgarten der Willibaldsburg in Eichstätt, heute im Regierungsbezirk Oberbayern. Foto: GFreihalter CC BY-SA 4.0



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