Die Zünfte der Sänger: „Verachtet mir die Meister nicht!“



Im Spätmittelalter bewiesen zumeist Handwerksmeister als sogenannte Meistersinger bürgerliches Selbstbewusstsein und kreatives Können. Der wohl Berühmteste unter ihnen ist bis heute der Nürnberger Schuhmacher Hans Sachs.
Titelbild
Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ war im späten 19. Jahrhundert sehr beliebt und zu dieser Zeit wurde diese Anzeige mit dem Hauptdarsteller Hans Sachs gedruckt.Foto: Public Domain
Von 13. Juni 2024

Anfang des 14. Jahrhunderts verklingt in Mitteleuropa der höfische Minnegesang. Das Zeitalter des Rittertums neigt sich dem Ende zu. 
Eine neue Epoche und neue Kräfte bahnen sich den Weg.
 Bürgertum und städtisches Leben gewinnen an Bedeutung, an wirtschaftlichem und kulturellem Einfluss.

Mit Heinrich von Meißen, auch Frauenlob genannt, beginnt in dieser Zeit Neues. Um 1315 gründet der bürgerliche, weithin gerühmte fahrende Sänger und Dichter eine erste Sängerschule in Mainz. Weitere werden diesem Beispiel im deutschsprachigen Raum folgen.

Meister Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, aus dem Codex Manesse, 14. Jahrhundert. Foto: Meister des Codex Manesse, Gemeinfrei

Zusammen mit Zeitgenossen wie dem ebenso gefeierten fahrenden Spielmann Barthel Regenbogen – dessen klangvoller Name sich wahrscheinlich von „Rege den Fiedelbogen“ ableitet – steht Frauenlob so am Beginn einer neuen musikalisch-literarischen Entwicklung.

Meister Regenbogen und Meister Frauenlob. Buchmalerei: Meister des Codex Manesse aus dem 14. Jahrhundert. Foto: Gemeinfrei

Die Quellen, aus denen diese schöpft, sind der ritterliche Minnesang, gesungene Spruchdichtung, Volkslieder und die geistlichen Gesänge der Gregorianik.

Von Berufsdichtern zu dichtenden Handwerkern

Die singenden Berufspoeten des frühen 14. Jahrhunderts wie Frauenlob und Regenbogen reisen umher, dichten und musizieren an Fürsten- und Bischofshöfen – und ebnen so mit ihrer Arbeit ganz nebenbei dem Meistersang der nichtadeligen Bürger den Weg.

Mit Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts beginnen in den erstarkenden, oft reichsfreien Städten immer mehr sangesfreudige Städter an die Tradition der fahrenden Dichter und Spielleute des Frühmittelalters anzuknüpfen.

Diese Sänger gehen nun aber meist einem handfesten, handwerklichen Broterwerb als Hauptberuf nach. Gesungen und fabuliert wird nach der Arbeit.



Meisterlicher Gesang nach strengen Regeln

So sind im reichsfreien Nürnberg dieser Epoche unter anderem die Bäckermeister Michel und Konrad Nachtigall, der Naglermeister Fritz Zorn, und der Spenglermeister Kunz Vogelsang als singende und dichtende Handwerker urkundlich erwähnt.

Nürnberg um 1572. Stich von Georg Braun und Frans Hogenberg. Foto: Public Domain

Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts beginnen die Sänger dann, erste Zünfte zu bilden. 
Nach pragmatischen Qualitätsmaßstäben organisieren diese Zünfte die musische Ausbildung ihrer Mitglieder.

Denn auch das Erlernen von Dichtung und Gesang folgt strengen vorgegebenen handwerklichen Regeln.
 Prüfung um Prüfung muss bestanden, Stufe um Stufe erklommen werden.

Vom „Schüler“ über den „Schulfreund“ zum „Singer“ und „Dichter“, erreicht der Anwärter schließlich das ersehnte Qualitätssiegel, den Titel des „Meistersingers“.

Doch nur, wer bei der letzten und entscheidenden Prüfung, ein perfektes Meisterstück – das selbst gedichtete und vertonte Meisterlied – fehlerfrei vorträgt und sich dabei an alle Regeln der Dicht- und Sangeskunst gehalten hat, wird zum Meister gekürt.

Meistersinger bei der Prüfung. Hinter dem Vorhang lauschen die „Merker“. Unbekannter Künstler. Foto: Public Domain

Alle Vorgaben sind in der sogenannten „Tabulatur“ festgelegt. Streng wachen die sogenannten „Merker“, eine meist vierköpfige Jury, über deren Erfüllung.
 Durch einen Vorhang vom Sänger getrennt, lauschen sie prüfend seinem Vortrag.

Nürnberg und sein berühmtester Schuhmacher

In der prosperierenden freien Reichsstadt Nürnberg entsteht eine dieser Gesellschaften bereits um 1496. Kurz vorher, im Jahr 1494, wird ihr wohl berühmtestes späteres Mitglied geboren, Hans Sachs, der Sohn des Nürnberger Schneidermeisters Jörg Sachs.

Mit fünfzehn Jahren beginnt er eine Schuhmacherlehre, geht als Geselle auf die Walz und kehrt 1516 nach fünfjähriger Wanderschaft in seine Heimat zurück.

 In der Fremde hat der inzwischen 22-jährige Handwerksbursche Prägendes gesehen, erlebt und erfahren.

Wahrscheinlich fängt er während seiner Dienste am kunstsinnigen Hof des Kaisers Maximilian I. in Innsbruck für die Dicht- und Sangeskunst Feuer. Gesichert ist, dass er kurze Zeit darauf Meistersinger werden will und es ihn deshalb nach München zieht. Beim Leinenweber und Meistersinger Lienhard Nunnenbeck erhält er dort ersten Unterricht in der Sanges- und Dichtkunst.

Zurück in Nürnberg erreicht er 1520 gleich zwei selbst gesteckte Ziele. Er erhält den Meisterbrief der Schuhmachergilde und wird in die Nürnberger Meistersingerzunft aufgenommen.

Umwälzendes Ereignis und eine Nachtigall

350 Kilometer entfernt, in Wittenberg, hat sich nur wenige Jahre zuvor am 31. Oktober 1517 weltgeschichtlich Umwälzendes ereignet. Der Augustinermönch Martin Luther sendet seine 95 Thesen als Disputationsschrift an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg. Ihre anschließende Veröffentlichung wirkt wie ein gewaltiger Donnerschlag.

Im gesamten deutschsprachigen Raum führen die Thesen zu hitzigen Debatten.
 Hans Sachs, der durch seine Schaffenskraft und Freude am Dichten und Vertonen bereits auf sich aufmerksam gemacht hat, trägt bald maßgeblich zur Verbreitung der reformatorischen Gedanken bei.

„Die Wittembergisch Nachtigall, die man yetz höret uberall“ (1523) von Hans Sachs. Foto: Gemeinfrei

1523 erscheint sein berühmtes Gedicht von der „Wittembergisch Nachtigall – Die man yetz höret uberall“, in dem er Luthers Ideen gewitzt und volkstümlich vermittelt.

Veröffentlichungsverbot und Ruhm

Das führt ihn zu erstem großen überregionalem Ruhm, 
doch ruft es auch die Nürnberger Obrigkeit auf den Plan.
 Von 1526 an wird er mit einem Veröffentlichungsverbot belegt, um Kaiser und Papst nicht zu verärgern – bis der Magistrat selbst die Stadt im Jahr 1529 zu protestantischem Gebiet erklärt.

Mehr als 6.000 Werke wird der inzwischen gefeierte Schuhmacher in seinem Leben verfassen. Davon allein über 4.000 Gesänge.
 Doch auch Theaterstücke und Prosadialoge beherrscht er meisterlich.

In Schwänken und Fastnachtsspielen, in Komödien und Tragödien bringt er seinem begeistertem Publikum – humorvoll und ernst – philosophische und theologische, politische und moralische Themen nahe.

Briefmarke 1976 zum 400. Todestag von Hans Sachs. Abbildung erstellt vonNobbiP. Foto: Gemeinfrei

Sein bürgerliches und künstlerisches Selbstbewusstsein spiegelt die Druckausgabe der eigenen Werke, mit der er 1558 beginnt.
 Ein Jahrhundert früher hat sich die Buchkunst durch Johannes Gutenberg revolutioniert. Luthers Schriften, doch auch die Sachs’schen Gedichte, Gesänge und Schwänke verdanken ihr ihre rasante Verbreitung und bahnbrechende Bekanntheit.

Und schon zehn Jahre später macht sich Hans Sachs an das nächste Großprojekt. 1568 wagt er sich mit dem Illustrator Jost Amman an nichts Geringeres als die „Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden“, in der er alle zu seiner Zeit bekannten Stände und Berufe in Versen charakterisiert.

Verblassender Stern

Acht Jahre später, im Januar 1576, stirbt Hans Sachs in Nürnberg und sein Stern verblasst.

Das Wohnhaus von Hans Sachs in Nürnberg. Postkarte aus dem Jahr 1922. Foto: Wolfgang Sauber, Public Domain

Ab 1618 kostet die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges Millionen Menschenleben, verwüstet Landstriche und Städte. Auch die Meistersingerzünfte verlieren ihre frühere Bedeutung.

Im berühmten Narrenroman über die Abenteuer des „Simplicius Simplicissimus“ von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen über die Wirren dieser Zeit taucht der Name Hans Sachs noch einige Male auf, dann wird es ganz still um ihn.

1697 schreibt Johann Christoph Wagenseil zwar noch „Von der Meister-Singer holdseligen Kunst“, doch erst 1776 entdeckt Johann Wolfgang von Goethe den ehemals berühmten, dichtenden Schuhmachermeister aus Nürnberg neu.

 Mit dem Gedicht „Hans Sachsens poetische Sendung“ setzt er ihm ein literarisches Denkmal.

Mit weitreichenden Folgen. Die Werke von Hans Sachs und seine historische Person finden wieder Beachtung.

Gedicht mit großer Wirkung

Der Komponist Gustav Albert Lortzing schreibt 1840 die Komische Oper „Hans Sachs“ in Anlehnung an das gleichnamige Schauspiel des österreichischen Autors Johann Ludwig Deinhardstein aus dem Jahr 1827. Die Gebrüder Grimm entdecken in Hans Sachs‘ Schwänken und Meistergesängen Geschichten und Volkserzählungen, die sie 1843 in ihre Kinder- und Hausmärchen aufnehmen.

1845 verfasst Richard Wagner auf der Suche nach einem heiteren Opernstoff
 erste kompositorische Skizzen zu den „Meistersingern von Nürnberg“.

 Doch erst 1861 greift er das Thema wieder auf – in der Hoffnung, durch ein Erfolgsstück seine akute Geldnot zu beheben. In nur 30 Tagen entsteht das Libretto.

Der deutsche Opersänger und Regisseur Max Staegemann (1843-1905) in der Rolle des Hans Sachs in Richard Wagners ‚Die Meistersinger von Nürnberg‘. Foto: Julius Giere, Public Domain

Im Zentrum der Handlung steht der weise, dichtende und komponierende Handwerksmeister Hans Sachs. 
Seine Wahrhaftigkeit, sein Können und seine Klugheit verhelfen nach vielen Irrungen und Wirrungen der Kunst und der Liebe zum Sieg über jede Pedanterie und Intrige.

Und: Hans Sachs kommt in Wagners Oper selbst zu Wort. Als Chorgesang erklingen seine Verse:

„Wacht auf, es nahet gen den Tag;
ich hör‘ singen im grünen Hag
ein wonnigliche Nachtigall,
ihr‘ Stimm‘ durchdringet Berg und Tal …“

Am 21. Juni 1868 wird Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ im Münchner Nationaltheater in Anwesenheit des bayrischen Königs Ludwig II. uraufgeführt.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion