Die Kunst, Venedig zu leben

„Venedig den Venezianern, Venedig für die Welt“, lautet das Mantra von Jana da Mosto, Gründerin der Non-Profit-Organisation „We are here Venice“.
Titelbild
Ausblick von San Giorgio.Foto: Verlag Frederking & Thaler
Von 18. Dezember 2021
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Als ich das erste Mal in Venedig war, reichten die Zeit und der Geldbeutel nur für eine eintägige Touristentour. Überwältigt von der vielfältigen Schönheit der Lagunenstadt versprach ich mir selbst, dass es nicht bei diesem einmaligen Ereignis bleiben sollte. Ich träumte von einem Besuch, der auch Abende und Nächte miteinbezog, in der Hoffnung auf ein Abebben der Touristenströme. Obwohl selber Touristin, wünschte ich mir eine Stadt, deren Puls man belauschen konnte.

Es gelang mir Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, gemeinsam mit meinem Mann auch die frühen Morgenstunden nach Sonnenaufgang und vor dem Eintreffen der laut schwatzenden Touristen zu erhaschen. Wir erkundeten Kirchen, die abseits lagen und noch den Geist einer Andacht atmeten, wir erlernten auf einem Markt das fröhliche Handeln um den Preis einer kunstvoll gehäkelten Tischdecke und wir ließen uns durch verwirrende Gassen treiben, ohne den Rückweg zu kennen. Abends lauschten wir den Liedern der Gondolieri unter den Brücken. Alles, was wir jemals für kitschig gehalten hatten, bekam Leben und eine liebenswerte selbstverständliche Vitalität.

Basilica di San Marco von oben. Foto: Verlag Frederking & Thaler

Venedig atmet auf

Die jetzt zu Coronazeiten und verhindertem Tourismus vergleichsweise leere Stadt hat den international bekannten Fotografen Werner Pawlok inspiriert, die Stille zu nutzen, um ins Innere der Lagunenstadt vorzudringen. Die Fotografie in diesem großformatigen Bildband ist Rückblick und Ausblick zugleich: Intensive Bilder geben intime Einblicke in prächtige Paläste und zaubern einen Hauch von gestern auf die Stadtansichten von heute. Ein intensives Spiel mit Farbe und Licht – in Kirchen, auf Plätzen und Brücken. Das ist manchmal, als würde man in einen Traum versinken, die Farben zeigen nie gesehene Lichtspiele und entsprechen doch venezianischen Realitäten.

Dazwischen erzählen alteingesessene Venezianer und prominente Bewohner von ihrer Vision jenseits von Overtourismus. Sie alle möchten Venedig endlich zu dem werden lassen, was es immer war: eine überaus lebenswerte Stadt. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Wenn man sie liest, wird Sehnsucht geweckt nach einer unbekannten Herausforderung, einem italienischen Lebensraum von Weltbürgern. Die Bilder hingegen sind menschenleer, aber von Jahrhunderten gefüllt. Kein Museum, ein Lebenstraum, der auf neue Erfüllung wartet. Ein Geschenk der Fülle in der erzwungenen Stille.

Palazzo Pisano Moretta XV. Foto: Verlag Frederking & Thaler

We Are Here Venice

Jana da Mosto, Gründerin der Non-Profit-Organisation „We Are Here Venice“, die aktiv für den Schutz und Erhalt der Lagune von Venedig eintritt, schreibt: „‚Venedig den Venezianern, Venedig für die Welt‘, lautet unser Mantra. Venedig blüht und gedeiht durch das Interesse und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft in mehr als einer Hinsicht, aber es bedarf auch der kontinuierlichen Existenz einer starken, resilienten Einwohnerschaft.

Der Respekt für das, was sich an Wissen in Venedig angesammelt hat, ist nicht nur eine Chance für diese Stadt, sich selbst zu retten, sondern macht sie zu einem Labor für innovative Ansätze hin zu städtischer Resilienz und nachhaltiger Entwicklung – einem Mikrokosmos, in dem globale Lösungen entwickelt und vorgestellt werden sollen. Wir greifen Themen auf, die die ganze Welt betreffen: Anstieg des Meeresspiegels, Energiewende, bezahlbarer Wohnraum, Erhalt der Gebäudesubstanz, Spannungsfelder zwischen Tradition und Konsum, Overtourismus. Und wir hoffen, durch unsere harte Arbeit eine Lösung für alle zu finden.“

Der Bildband, im Format 30x38cm, 4,5cm dick, 320 Seiten stark, wurde durchgehend auf kräftigem, matten Fotopapier gedruckt, das den Händen mit einer seidigen Oberfläche schmeichelt. Viele Fotos bedecken Doppelseiten ohne Rand. Frederking & Thaler im Verlagshaus Bruckmann haben bis hin zum Bucheinband ein Meisterwerk produziert. Der Preis beträgt 98,- Euro.

Foto: Verlag Frederking & Thaler

Mein Venedig

So sah ich die Stadt im Meere
Strahlen in der Sonne Pracht,
Sah nie gleiten sehnsuchtsschwere
Gondeln durch die blaue Nacht.
Doch für mich sind deine dunkeln
Augen, drin die Liebe wacht,
Wenn sie leuchten, wenn sie funkeln
Mein Venedig.

Sonnig still wie die Lagunen
Träumen sie den Märchentraum,
Und es flimmern goldne Runen
Auf dem Silberwellenschaum.
Leichte Gondeln feiernd schwanken
Durch den heilig stillen Raum
Oder sind es Lichtgedanken —
Mein Venedig!

Dogen einst in Sonnengluten
Freiten stolz das ew’ge Meer,
Und sie opferten den Fluten
Goldne Ringe, perlenschwer.
Ich auch fühle, wonnetrunken,
All mein Lieben heiß und hehr
Tief in deinem Blick versunken —
Mein Venedig!

Isabelle Kaiser (1866-1925)
Schweizer Dichterin



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