Die Botschaft eines Gedichtes an die Ökonomie
Das Gedicht „Die Teilung der Erde“ gehört nicht zu Friedrich Schillers bekanntesten Balladen, und es ist wegen seines vermeintlich traditionellen Bezugs auf ständische Arbeitsteilung und seines Mangels an revolutionärem Pathos kritisiert worden. Goethe hat zunächst auf die Zusendung seines Freundes gar nicht reagiert und nannte es dann erst auf Nachfrage „allerliebst“.
Man hat Schiller auch vorgeworfen, die besondere Hervorhebung des Dichterberufs sei arrogant und narzisstisch. Die Anknüpfung an die griechische Mythologie, die in einen subtilen Zusammenhang mit dem biblischen Schöpfungsmythos gestellt wird, hat auch viele von der eigentlichen Botschaft des Gedichts abgelenkt, die auf ein Jenseits von allem Materiellen hinweist und das Wahre, Schöne und Gute preist ohne ihm den Wert der Nützlichkeit in einer Welt des Tauschens abzusprechen.
Die dialektischen und historischen Materialisten konnten und können mit dieser klassischen Spielart des Idealismus nichts anfangen. Die Botschaft des Gedichts ist aber in einer Welt, in der behauptet wird, der Arbeitsgesellschaft gehe wegen der Automatisierung demnächst die Arbeit aus, von höchster Aktualität.
Die Teilung der Erde
„Nehmt hin die Welt!“ rief Zeus von seinen Höhen
Den Menschen zu. „Nehmt, sie soll euer sein!
Euch schenk ich sie zum Erb und ewgen Lehen –
Doch teilt euch brüderlich darein!“
Da eilt‘, was Hände hat, sich einzurichten,
Es regte sich geschäftig jung und alt.
Der Ackermann griff nach des Feldes Früchten,
Der Junker birschte durch den Wald.
Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher fassen,
Der Abt wählt sich den edeln Firnewein,
Der König sperrt die Brücken und die Straßen
Und sprach: „Der Zehente ist mein.“
Ganz spät, nachdem die Teilung längst geschehen,
Naht der Poet, er kam aus weiter Fern –
Ach! da war überall nichts mehr zu sehen,
Und alles hatte seinen Herrn!
„Weh mir! So soll denn ich allein von allen
Vergessen sein, ich, dein getreuster Sohn?“
So ließ er laut der Klage Ruf erschallen
Und warf sich hin vor Jovis Thron.
„Wenn du im Land der Träume dich verweilet«,
Versetzt der Gott, „so hadre nicht mit mir.
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?“
„Ich war“, sprach der Poet, „bei dir.
Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr –
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor!“
„Was tun?“ spricht Zeus, „die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben –
So oft du kommst, er soll dir offen sein.“
Schillers Begriff vom „Poeten“ im Sinne des schöpferischen Menschen schlechthin ist gleichzeitig tröstlich und zukunftsweisend. Die materielle Welt ist zwar endlich, aber den menschlichen Aktivitäten im Bereich des Immateriellen sind keine Grenzen gesetzt. Der Mensch kann als Unternehmer mit neuen Ideen gleichzeitig kreativ und nützlich sein. Die Poesie (Poiesis = das Erschaffen) eröffnet unerschöpfliche Möglichkeiten einer aktiven unternehmerischen Teilnahme am Schöpfungsprozess.
Es gibt nicht nur materielle Güter und permanenten Kampf
Es gibt kein Ende der Arbeitsteilung und auch kein Ende der menschlichen Aktivität. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass in einer endlichen Welt mit begrenzten materiellen Ressourcen auch die ökonomischen Möglichkeiten zur Arbeitsteilung und zum Tausch begrenzt sein müssen.
Wirtschaft ist aus dieser Sicht ein Nullsummenspiel, bei dem sich die Reichen und Rücksichtslosen auf Kosten der Armen und Wehrlosen bereichern und dadurch immer mehr Spannungen erzeugen, die nur durch die Staatsgewalt so gebändigt werden können, dass sozialer Friede möglich wird. Diese sozialistisch-materialistische Vorstellung lässt außer Acht, dass es nicht nur materielle Güter gibt, um die ein permanenter Verteilungskampf um die Teilung und Umverteilung der Welt tobt.
In Schillers Gedicht „Die Teilung der Erde“ erscheint der Dichter, der geistige Produzent, in dem Moment vor Zeus, als dieser die materielle Welt bereits „weggegeben“ hatte. Er kommt – auf den ersten Blick – bei der Verteilung der Erwerbsmöglichkeiten zu spät, aber er geht trotzdem nicht leer aus.
Er darf, nachdem die materielle Welt verteilt ist, am göttlichen Bereich der Ideen und Ideale partizipieren und selbst schöpferisch sein. Die Poeten erhalten als Betätigungsfeld den unendlichen Himmel des Geistes, der Schönheit und der Wahrheit zugewiesen, der jenseits der begrenzten materiellen Welt liegt. Ist das nun die „Strafe des Lebens“ für die Zu-spät-Gekommenen?
Ist das kulturelle Schaffen als Dienstleistung, die sich um Wahrheit, Schönheit und Lebensqualität kümmert, dazu verdammt, für immer „brotlose Kunst“ zu bleiben, oder ist schöpferisches Tun (poiesis) in materiell einigermaßen gesättigten Gesellschaften auch ökonomisch zunehmend interessant?
Schiller als „Zu-früh-Gekommener“
Schiller hat das wohl vorausgeahnt, und er hat sich in seinem kurzen Leben nicht ohne Erfolg auch um die Nutzung seiner eigenen Urheberrechte gekümmert. Er ist mit seinem Bestreben, beim Übergang vom Feudalismus zum Bürgertum als freischaffender Künstler-Unternehmer zu überleben, eher ein „Zu-früh-Gekommener“ als ein Nachläufer des Feudalismus.
Seine Witwe und seine Familie haben seinen dichterischen Nachlass verwertet und sie blieben weder ausschließlich auf „milde Gaben“ von Freunden und Gönnern noch auf einen – damals noch inexistenten – Sozialstaat angewiesen.
Poesie im weitesten Sinn des schöpferischen Tuns ist ihrem Wesen nach unendlich. Darum bleiben jene Voraussagen, der Arbeitsgesellschaft gehe aufgrund der technologischen Entwicklung früher oder später die Arbeit aus, einem industriebezogenen Weltbild verhaftet, das Arbeit in erster Linie als Produktion von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern kennt und nicht als schöpferisches Tun und als Dienstleistung zur generellen Verbesserung der Lebensqualität und zur Verschönerung und Bereicherung des Lebens.
Schaffen statt arbeiten
Der im Schweizerdeutschen und auch im Schwäbischen anstelle von „arbeiten“ gebräuchliche Begriff „schaffe“ zeigt die zukunftsträchtige Dimension einer auch auf Dienstleistungen ausgerichteten Wirtschaft, die übrigens auch umweltverträglicher ist als eine permanent gesteigerte Produktion materieller Güter. Weder der Roboter noch der Computer können in diesem Sinn „schaffen“ und schöpferisches Tun ersetzen.
Wer also keine klare Trennlinie zieht zwischen dem, was heute „ökonomisches Subsystem“ und dem, was „sozio-kulturelles Subsystem“ genannt wird, gewinnt mehr neue übergeordnete Gesichtspunkte, als er an Unterscheidungsmerkmalen verliert.
Nicht nur der Tausch von Gütern und Dienstleistungen ist Ökonomie, sondern der Tausch jeglicher Information, ja die menschliche Kommunikation schlechthin kann unter dem Gesichtspunkt des Austauschs (Katallaxis) gedeutet werden.
Mit dieser Ausweitung des Ökonomiebegriffs sind allerdings auch Gefahren verbunden. Man kann damit ein verhängnisvolles Missverständnis heraufbeschwören: die materielle Verwirtschaftlichung des gesamten Lebens.
Wenn die ganze Welt nur noch auf Ökonomie in einem engeren Sinn beruht und letztlich sämtliche Handlungen auf ökonomisches Kalkül und auf reines Nützlichkeitsdenken reduziert werden, bleibt kein Platz mehr für ideelle Werte.
Primat des schöpferischen Schaffens
Der liberale Ökonom Wilhelm Röpke hat das Streben nach solchen Idealen „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ angesiedelt und vor Denkmodellen gewarnt, die alle denkbaren Arten der Kommunikation als Tauschprozesse deuten. Es gibt aber – spätestens seit Schiller – gute Gründe, das Bemühen um mehr Wahrheit, mehr Schönheit und mehr Lebensqualität nicht aus dem Bereich der Ökonomie im weitesten und besten Sinn auszuschließen.
Sie ist ein durchaus lohnenswertes Haushalten auf der Basis des fremdherrschaftsfreien Tauschs. Jenseits des Primats der Politik, bei der es um die Handhabung des staatlichen Zwangsmonopols geht, gibt es ein Primat der Poesie im Sinne des schöpferischen Schaffens, der kreativen Dissidenz und der Ökonomie als Bestandteil der Kultur.
Robert Nef, geboren 1942, lic. iur., ist Publizist und lebt in St. Gallen. Er leitete 25 Jahre lang das Liberale Institut und war Chefredakteur der „Schweizer Monatshefte“. Bis 2016 war er Präsident der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur und bis 2018 des Vereins „Gesellschaft und Kirche wohin?“ 20 Jahre lang war er ehrenamtlicher Präsident der Stiftung „Ostschweizer Kinderspital“. Für seinen Einsatz für liberale Werte wurde er von verschiedenen Organisationen ausgezeichnet.
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