Der Mark-Aurel-Ratgeber zur Selbstfürsorge
Für viele Menschen ist der Jahreswechsel nicht nur eine Zeit der guten Vorsätze. Wir schmieden auch Pläne für die kommenden Monate, für einen Urlaub, für ein bisschen Sommerspaß in der Sonne am Strand, eine Kreuzfahrt oder einen Campingausflug in die Berge.
Wir sehen diese Ausflüge als Gelegenheit zur Entspannung. Sie unterbrechen unsere Routinen. Ja, sie bieten uns sogar Gelegenheit, fernab von den Verpflichtungen, dem hektischen Rhythmus des häuslichen Lebens und der Arbeit ein paar tiefgründigen Gedanken nachzugehen. Wir stellen uns etwa vor, dass wir uns in einem Ferienhaus auf Rügen aufhalten, wo der Rhythmus der sanften Ostseebrandung uns dazu inspiriert, langsamer zu werden, Luft zu holen und unsere Erfolge und Misserfolge zu überdenken.
Manche Menschen gehen noch darüber hinaus. Sie planen einen Aufenthalt, der speziell für die Selbstbesinnung gedacht ist. Deshalb schließen sie sich einer Gruppe von Mönchen in einem Kloster für ein langes Wochenende an oder buchen einen Yoga-Retreat in einem Wellness-Center.
So hoffen sie mit einer neuen Perspektive auf ihr Leben nach Hause zurückzukehren. Wie andere Auszeiten sind auch diese mit Zeitaufwand und Kosten verbunden.
Es gibt jedoch auch einen anderen Weg. Vor fast 2.000 Jahren entwickelte ein Mann einen Rückzugsort, der auf Selbstfürsorge abzielt, kostenlos ist und gewissermaßen nur eine Reise vom Küchentisch zum Wohnzimmersofa beinhaltet.
In der Festung des Selbst
In Buch 4.3 seiner „Meditationen“ schrieb der stoische Denker und römische Kaiser Mark Aurel:
„Man liebt es, sich zu Zeiten aufs Land, ins Gebirge, an die See zurückzuziehen. Auch Du sehnst Dich vielleicht dahin. Im Grunde genommen aber steckt dahinter eine große Beschränktheit.
Es steht Dir ja frei, zu jeglicher Stunde Dich in Dich selbst zurückzuziehen, und nirgends finden wir eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der eignen Seele, sobald wir nur etwas von dem in uns tragen, was wir nur anzuschauen brauchen, um uns in eine vollkommen ruhige und glückliche Stimmung versetzt zu sehen – eine Stimmung, die nach meiner Ansicht freilich ein anständiges, sittliches Wesen bedingt.
Auf diese Weise also ziehe Dich beständig zurück, um Dich immer wieder aufzufrischen. Einfach und klar und bestimmt, aber seien jene Ideen, deren Vergegenwärtigung aus Deiner Seele so manches hinwegspülen und Dir eine Zuflucht schaffen soll, aus der Du nicht übellaunisch zurückkehrst. Und was sollte Dich auch alsdann verdrießen können?“
Bei den Stoikern ist dieser Ort des Rückzugs von der Welt und ihren Leiden als „innere Festung“ bekannt. Die Probleme des Lebens mögen sich außerhalb unseres Einflussbereichs befinden, so die stoischen Philosophen, aber wie wir auf sie reagieren – nun, das ist unser Wirkungsfeld.
Die innere Festung, der Rückzugsort auf dem Sofa oder der Terrasse, ist der Ort, an dem wir uns sammeln. Dort gehen wir die Emotionen, die durch die auf uns einwirkenden Prüfungen und Probleme ausgelöst wurden, vor unserem Geiste noch einmal durch. Wir bewerten sie, richten unsere Gedanken und Gefühle neu aus und finden eine neue innere Balance.
An dieser Stelle ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass der von Mark Aurel empfohlene Rückzug nach Hause nicht dasselbe ist wie einfach nur Zeit allein zu verbringen. Oft kämpfen wir mit Musik, Smartphones oder Büchern gegen die Stille und Einsamkeit an. Umgeben von solchen Ablenkungen befinden wir uns nicht in der inneren Festung. Wir klopfen nicht einmal an die Tür.
Hilfen auf dem Weg
Manche Menschen, mich eingeschlossen, benötigen besondere Hilfe, um durch diese Tür zu treten. Glücklicherweise bietet das Internet eine Fülle von Ratschlägen.
„10 wahnsinnig nützliche stoische Übungen“ zum Beispiel listet verschiedene Meditationstechniken auf. Eine davon ist der Rückzug in sich selbst. Hier rät uns der Autor, genau wie Mark Aurel, “regelmäßig in den eigenen Geist zu reisen, besonders wenn man Frieden oder Freiheit benötigt. […] Alles, was man braucht, sind 5 bis 10 Minuten pro Tag, um die Außenwelt auszuschließen, und in den eigenen Geist zu schauen“.
In „Mein meditativer Weg zur inneren Festung“ bietet Meredith Kunz noch mehr Hilfe an. Sie verweist zunächst auf den Sherlock Holmes des britischen Fernsehsenders BBC. Der zieht sich in seinen „Gedächtnispalast“ zurück, wenn er mit einem verworrenen Fall konfrontiert wird. Darauf aufbauend erklärt Kunz ihre eigenen Techniken, um durch Meditation in die Festung zu gelangen.
Ein hervorragender Tipp: Sie empfiehlt, es beim Meditieren ruhig angehen zu lassen, und verweist auf „das stoische Konzept, die Dinge außerhalb unseres Einflusses zu ignorieren“. Die Festung soll keine Folterkammer sein.
Kunz schlägt zweimal täglich 20-minütige Meditationssitzungen vor. Entscheidend sei aber nicht die aufgewendete Zeit für diese mentalen und spirituellen Ruhepausen. „In der Tat ist die Einstellung unseres Geistes das Wichtigste, worauf sich alle Stoiker konzentrieren“, sagt Kunz.
Das bestätigte auch Mark Aurel etwas später in Buch 4 seiner „Meditationen“: „Schließlich, dann, erinnere Dich an diesen Rückzug in Dein eigenes kleines Territorium in Dir selbst. […] Dinge können den Geist nicht berühren: Sie sind äußerlich und träge; Ängste können nur von Deinem inneren Urteil kommen.“
Wie es in einer beliebten Umschreibung heißt: “Du hast die Macht über Deinen Geist – nicht über äußere Ereignisse. Wenn Du das erkennst, wirst Du Stärke finden.“
Rückzug in äußerster Not
Fast acht Jahre lang war der US-Navy-Kampfpilot James Stockdale Kriegsgefangener in Nordvietnam. Während dieser Zeit wurden er und seine Mitgefangenen geschlagen und gefoltert, in Einzelhaft gehalten und wie Tiere behandelt. Es gab kein Entkommen aus diesem Gefängnis des Schmerzes und des Leids – keine Pausen, kein Urlaub.
Doch Stockdale stellte sich dieser Tortur mit einer Geheimwaffe. Im Alter von 38 Jahren, kurz vor seinem Einsatz in Vietnam, belegte er an der kalifornischen Stanford University Kurse in Philosophie.
Ein Professor, Philip Rhinelander, machte ihn mit dem „Enchiridion“ bekannt, einem grundlegenden stoischen Werk des ehemaligen Sklaven Epiktet. Dort lernte Stockdale die innere Festung kennen, die wir alle besitzen, die aber nur wenige regelmäßig aufsuchen.
In dem zweiten von zwei Aufsätzen, die Stockdale über Stoizismus und seine Tortur als Kriegsgefangener schrieb, erklärte er ausführlich, wie diese Philosophie ihm das Überleben und die Anleitung der anderen Amerikaner in seiner Obhut ermöglichte.
Er schrieb über diese Lehre, die er von Epiktet gelernt hatte: „Ein Mensch ist für seine eigenen ‚Urteile verantwortlich, selbst in Träumen, in Trunkenheit und in melancholischem Wahnsinn‘. Jeder Mensch bringt sein eigenes Glück und Unglück, sein eigenes Wohl und Wehe, sein eigenes Glück und Unglück hervor.“
Stockdale war gezwungen, in einer Hölle auf Erden zu leben, und fand Zuflucht und Halt in seiner inneren Festung.
Lehren aus dem Mark-Aurel-Urlaub
Auch wenn nur wenige von uns einen so langen und schrecklichen Albtraum wie Stockdale erleben werden, können uns diese Besuche in der inneren Festung eine positive Perspektive auf äußere Probleme bieten.
Hier ist nur ein Beispiel, ein Rettungsanker, den Mark Aurel uns zuwirft, wenn wir in Feindseligkeit gegenüber anderen ertrinken: „Hier ist eine Regel, an der Du Dich in Zukunft erinnern solltest, wenn Dich etwas verleitet, verbittert zu sein: Nicht: ‚Das ist ein Unglück‘. Sondern: ‚Dies würdig zu ertragen, ist ein Glück‘.“
Dem Mark-Aurel-Pfad zur Selbstfürsorge und einem besseren Leben zu folgen, ist nicht der einfachste Weg in der Welt, aber die Vorteile – ein ausgeglichenes, positives Selbstbild und die Befreiung von Stress und Sorgen, insbesondere in Bezug auf Umstände, die außerhalb unserer Kontrolle liegen – können unsere Bemühungen durchaus lohnenswert machen. Denn was haben wir schon zu verlieren?
Klopfen Sie an die Tür Ihrer inneren Festung und schauen Sie, was passiert.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „The Marcus Aurelius Guide to Self-Care“. (deutsche Bearbeitung jw)
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