Debatte um Wagners Sonderstellung vor Bayreuther Festspielen
Selbst für die altehrwürdige „Times“ in London ist das Entsetzen der Wagnerianer eine Schlagzeile wert, was Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) da gefordert habe. Andere Musik als die von Richard Wagner bei den Bayreuther Festspielen?
Roth sei eines Sakrilegs beschuldigt worden. Sakrileg kommt aus dem Lateinischen und steht für Tempelraub; es beschreibt ein Vergehen gegen etwas Heiliges.
Roth schwebt Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel vor
Und das ist es aus Sicht von überzeugten Wagnerianern wohl auch, was Roth da kurz vor dem Start der Festspiele an diesem Donnerstag (25. Juli) forderte. Sie plädierte dafür, auf dem Grünen Hügel neben Richard Wagner auch andere Komponisten aufzuführen. „Mir schwebt da etwa Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel vor. Das ist eine Oper, die aus der Wagner-Tradition kommt. Von solchen Werken gibt es ja etliche“, sagte Roth den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Es sei wichtig, dass sich Einrichtungen wie die Festspiele einem jüngeren Publikum stärker öffneten. Bayreuth sollte insgesamt vielfältiger, bunter und jünger werden. Sie räumte allerdings auch ein: „Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass ja bislang vorgegeben ist, dass das Festspielhaus nur für die Aufführung der Werke von Richard Wagner genutzt werden dürfe.“ Auf diese Vorgabe verweisen auch die Festspiele auf Anfrage.
Bayern will Satzungsänderung nicht zustimmen
Das eigentlich Undenkbare, es stand nun im Raum – und dafür gab es direkt scharfen Gegenwind aus Bayern. Der Freistaat werde einer dafür nötigen Satzungsänderung im Stiftungsrat der Festspiele nicht zustimmen, sagte Kunstminister Markus Blume (CSU) ebenfalls den Zeitungen der Mediengruppe Bayern:
„Die Satzung ist klar, und es gibt keine Notwendigkeit für eine Änderung. Bayern würde da nicht zustimmen. Wagner ist der Stoff, von dem Bayreuth lebt.“
„Roth hat den Mythos Bayreuth nicht verstanden“
Blume betonte, er sehe ein Potenzial zur Modernisierung der Festspiele in neuen Formaten, spannenden Inszenierungen und musikalischer Exzellenz – aber nicht in einer Erweiterung des Repertoires: „Man kommt doch nach Bayreuth, weil man Wagner dort in einer Brillanz hören kann, die es nirgends sonst gibt.“ Er sagte: „Ich habe das Gefühl, Frau Roth hat den Mythos Bayreuth nicht verstanden. Bayreuth lebt von Wagner.“
Welche Konsequenzen der Denkanstoß von Roth auf die künftigen Festspiele haben könnte – und ob er überhaupt welche hat, ist also völlig offen. In diesem Jahr aber springt die Grünen-Politikerin mit ihrer Forderung gewissermaßen ein für den traditionellen Festspiel-Eklat um Ausfälle, kurzfristige Absagen oder was sonst noch so los war in den vergangenen Jahren in Bayreuth.
Katharina Wagner mit Rückenwind und neuem Vertrag
Denn ansonsten war es – von schon etwas länger zurückliegenden Protesten um Einsparungen beim Chor abgesehen – auffällig ruhig auf dem Grünen Hügel. Festspielchefin Katharina Wagner geht mit Rückenwind und einem jüngst verlängerten Vertrag in der Tasche in das Opernspektakel und weitere Jahre als Herrscherin des Hügels – und hat in diesem Jahr so viele Frauen an prominenter Stelle dabei wie noch nie.
Gleich drei Dirigentinnen führen das Orchester in diesem Jahr. Erstmals gibt es damit mehr Frauen als Männer am Pult im berüchtigten Bayreuther Orchestergraben.
Simone Young als „Ring“-Dirigentin
Für das vierteilige Mammutwerk „Der Ring des Nibelungen“ gelang es Katharina Wagner, Simone Young als Dirigentin zu gewinnen: Die Australierin gilt als versierte Wagner-Kennerin. Dass sie nun in Bayreuth den „Ring“ leitet, ist nur folgerichtig. Möglicherweise dämpft Youngs zu erwartende Souveränität auch die Buhrufe für das Regie-Konzept von Valentin Schwarz, die es in den vergangenen Jahren stets zuverlässig gab.
Schon im vierten Jahr dabei auf dem Grünen Hügel ist die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv als musikalische Leiterin des „Fliegenden Holländer“. Im zweiten Jahr hintereinander dirigiert Nathalie Stutzmann Tobias Kratzers ebenso erfolgreichen wie umjubelten „Tannhäuser“.
Eröffnet werden die Festspiele traditionell am 25. Juli und dieses Mal mit einer Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“. Regie führt Thorleifur Örn Arnarsson aus Island, die musikalische Leitung hat Semyon Bychkov.
Blanco und Leandros – aber keine Merkel
Über den eigens ausgerollten roten Teppich ins Festspielhaus laufen werden dann beispielsweise Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“), Vicky Leandros oder auch Schauspieler Heiner Lauterbach.
Rar macht sich die aktuelle Bundesregierung, nur Roth reist an. Und eine Frau fehlt, die in den vergangenen Jahrzehnten zu den treuesten Stammgästen zählte: Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird in diesem Jahr die Festspiele nicht besuchen. Der Grund: unbekannt. Merkels Büro hält sich bedeckt.
Und natürlich tun sich rund um die Festspiele weiterhin spannende Fragen auf, zum Beispiel, ob die Einsparungsbemühungen gerade im Bereich Chor und Orchester vielleicht doch das künstlerische Niveau schmälern. Und überhaupt – in Zeiten klammer Staatskassen: Wie viel Geld aus München und vor allem Berlin wird weiterhin nach Bayreuth fließen?
Und nicht zuletzt Katharina Wagner selbst hatte immer wieder Reformen in den komplizierten Strukturen angemahnt. Roth sagte in ihrem schlagzeilenträchtigen Interview auch noch: „Das Festival läuft auch nicht mehr von alleine wie in früheren Zeiten, wo man teilweise viele Jahre darauf warten musste, eine Karte zu bekommen.“
Festspiele fast ausverkauft
„Die diesjährigen Bayreuther Festspiele sind, bis auf wenige verbliebene Restkarten für die „Parsifal“-Vorstellung am 14. August, ausverkauft“, sagte Festspiel-Sprecher Hubertus Herrmann der Deutschen Presse-Agentur. Karten für diese Vorstellung waren noch im Online-Sofortkauf erhältlich.
Vorerst plant Katharina Wagner zumindest im großen Jubiläumsjahr 2026, wenn 150 Jahre Festspielgeschichte gefeiert werden, eine kleine Abweichung vom strengen Kanon: Wagners Werk „Rienzi“ soll im Festspielhaus aufgeführt werden. (dpa/red)
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