Das Glück mit den Ziegen

Raus aus dem Büro – rein in den Ziegenstall. Er verdiente einst mit seinen Jobs im Großsporthandel und als Testpilot eine Menge Geld. Bis er von einem Tag auf den anderen beschloss, auszusteigen.
Titelbild
David Perathoner arbeitet jetzt sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr und ist glücklich.Foto: © Alexander Tempel
Von 17. Mai 2022

David Perathoner ließ sein altes Leben und den zermürbenden Leistungsdruck hinter sich und lebt heute in Südtirol auf 1.250 Metern Höhe seinen Traum von einem naturnahen Leben als Ziegenbauer. Doch dafür musste er auch einiges loslassen. Was das ist und über welche Herausforderungen er manchmal stolpert, erzählt er im Interview mit Epoch Times.

Bevor Sie 2011 Ziegenbauer wurden, haben Sie 17 Jahre lang im Vertrieb eines Sportartikelherstellers gearbeitet und eines Tages fristlos gekündigt. Wie kam es zu diesem Wendepunkt in Ihrem Leben?

Ich bin eigentlich gelernter Tischler. Nach 13 Jahren als Tischler wurde mir dieser Beruf aber zu langweilig. Aus reinem Zufall bin ich dann in den Sportartikelgroßhandel eingestiegen. Wir haben den Vertrieb für eine bekannte Sportmarke in Italien gemacht. Das war die eine Arbeit – für die habe ich vier Tage die Woche gearbeitet. Die restlichen Tage der Woche war ich als Testpilot für eine Schweizer Firma tätig, die Gleitschirme herstellt. Das war spannend. Man flog immer mit Prototypen und wusste nie, ob der jetzt fliegen wird oder nicht. Da bin ich schon mal grenzwertige Flugmanöver geflogen. Man war aber natürlich immer abgesichert.

Ich hatte dann aber den Punkt erreicht, wo ich wegen der Arbeit im Sportartikelgroßhandel mit meinen Nerven am Ende war. Diese Arbeit hat stark an meiner Moral gezerrt. Verschiedene Faktoren spielten eine Rolle. Zum Schluss war es nur noch ein Kampf. Der Druck war extrem hoch. Planzahlen, immer mehr, immer mehr – ich war mit den Nerven am Boden. Nachmittags um halb fünf bin ich im Büro gesessen. In dem Augenblick habe ich gewusst: Das war jetzt meine letzte Stunde im Büro. Daraufhin habe fristlos gekündigt und weg war ich.

Wussten Sie da schon, was Sie stattdessen machen wollten? Hatten Sie keine Angst vor dem Unbekannten?

Nein, eigentlich nicht. Ich hatte immer den kleinen Traum, etwas in der Landwirtschaft zu machen. Ich wusste aber nicht genau, was; draußen arbeiten, vielleicht mit Tieren. Jahre zuvor hatte ich ein Stück Wiese (Land) gekauft. Ich wollte eigentlich schon immer einen Bauernhof kaufen, aber in Südtirol ist das so gut wie unmöglich. Man findet nichts. Nachdem ich also gekündigt hatte, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben Zeit. Ich begann zu überlegen, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Zu dem Zeitpunkt war ich 45 Jahre alt. Ich habe Bauern besucht und mir Tiere angeschaut. Geflügel habe ich mir angesehen: Hennen, Truthähne, Wachteln. Rinder auch. Durch reinen Zufall bin ich dann zwei Wochen später auf einer Wiese auf Ziegen gestoßen. Als ich mich hingesetzt und die Tiere eine Weile beobachtet habe, ist mir ein Licht aufgegangen. Die Ziegen haben mich so fasziniert! Ich bin zum Bauern runter und habe einen halben Tag lang mit ihm geredet. Ich wusste sofort: Die Ziegen sind meine Zukunft.

Danach bin ich nach Hause zu meiner Partnerin gegangen und habe zu ihr gesagt: „Morgen kommen die Ziegen.“ Sie hat mich gefragt, ob ich wahnsinnig geworden sei. Ich meinte nur: „Nein, nein. Morgen kommen 20 Ziegen. Wenn du Lust hast, können wir sie uns heute ansehen.“ Als wir uns die Ziegen gemeinsam angeschaut haben, war sie zwar nicht dagegen, aber fasziniert war sie auch nicht von der Idee. Sie hat es mir überlassen.

Am nächsten Tag waren die Ziegen da. Ich hatte ja keine Ahnung, null Erfahrung. Ich komme nicht vom Bauernhof. Ich habe dann sehr viel Zeit mit diesen Ziegen verbracht. Sie haben mich jeden Tag mehr und mehr fasziniert. Wahrscheinlich habe ich das gebraucht, weil ich mit meinen Nerven so am Ende war, so überfordert und fertig mit allem. Die Ziegen haben mir eine gewisse Ruhe gegeben. Ich habe sie tagelang nur beobachtet und mir gedacht: „Ich muss etwas mit ihnen machen.“ Daraufhin habe ich mit meiner Recherche begonnen, bin zu verschiedenen Ziegenzüchtern gegangen und habe sie ausgefragt. Im Herbst habe ich einen Stall gefunden, wo ich die Ziegen über den Winter unterbringen konnte. Während dieser Zeit bin ich tiefer in die Materie eingetaucht und habe Gas gegeben. Ich habe Kurse belegt und Schulungen gemacht, viel gelernt, habe mir etwa 40 Betriebe in ganz Europa angeschaut.

2008 bis 2011 habe ich mit Planen verbracht. Ich wusste dann schon, welche Linie ich fahren wollte, und musste dementsprechend Vorkehrungen treffen. Milchziegen sollten es werden. 2011 habe ich das Stadl (Scheune) gebaut. Im Juni desselben Jahres habe ich Jungziegen von einem deutschen Betrieb gekauft und in mein Stadl gebracht.

Der Ziegenbauer und seine engsten Mitarbeiter: Um seine 60 bunten deutschen Edelziegen kümmert sich David Perathoner liebevoll. Sie machen ihn glücklich und stolz, sagt er. Foto: © Alexander Tempel

Das klingt nach einem Aussteigerleben. Aussteigen hat auch etwas mit Loslassen zu tun. Was mussten Sie loslassen, um neu durchstarten zu können?

Ich habe die Angst losgelassen. Wovor ich am meisten Angst hatte, war der finanzielle Verlust. Ich hatte vorher einen wirklich sehr gut bezahlten Job und auch einen sehr hohen Lebensstandard – habe mir immer alles leisten können. Auf einmal musste ich auf null zurückgehen. Da waren anfangs schon auch Ängste da, ob das mit den Ziegen das Richtige ist. Loslassen musste ich auch meine ganzen Kunden. Ich hatte durch meine alte Arbeit ja 1.200 Kunden in Italien, mit denen ich alle per du war und die ich alle persönlich gekannt habe. Es war nicht ganz einfach, das alles hinter mir zu lassen.

Die Ziegen haben mir dabei geholfen, aus meinem tiefen Loch herauszukommen. Sie haben mir die Kraft gegeben, abzuschalten und die Vergangenheit zu vergessen. Durch sie konnte ich das Alte sehr schnell verarbeiten. Nach drei, vier Monaten konnte ich die Gedanken an die Vergangenheit abstellen. Das habe ich, glaube ich, fast nur den Ziegen zu verdanken. Sie haben mir so viel gegeben, mich motiviert und energetisiert. Ich hatte davor gar keine Motivation, keine Lust und Energie mehr. Nach einem halben Jahr, also relativ schnell, bin ich voller Motivation durchgestartet.

Viele Menschen haben das Bedürfnis nach einem erfüllenden Leben. Für viele ist es der Weg zurück zur Simplizität und auch die Nähe zur Natur. Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere daran?

Die Natur gibt den Menschen sehr, sehr viel. Und ja, die Einfachheit: Man denkt oft, man braucht so viele Dinge. In Wahrheit braucht man sehr wenig, um zu leben. Es ist fast unglaublich, mit wie wenig man tatsächlich leben kann. In der Natur und mit den Tieren zu arbeiten, beschert ganz schöne und glückliche Momente – da vergisst man alles andere. Man braucht das Finanzielle und Materielle nicht mehr. Der Gedanke daran ist bei mir so gut wie komplett verschwunden. Natürlich brauche ich zum Leben noch Geld, um den Betrieb zu schmeißen, aber das ist alles nur zweit- und drittrangig. Das Schöne am Leben ist die Einfachheit, die Natur, den Tag zu genießen, draußen auf den Feldern zu arbeiten. Das ist ein anderes Leben – da kommt viel mehr zurück an Gefühlen und Momenten. Es ist unglaublich und fasziniert mich jeden Tag aufs Neue.

Was schätzen Sie an Ihrem Beruf als Ziegenbauer am meisten?

Es ist für mich kein Beruf. Es ist mein Hobby, das ich zu meinem Lebensunterhalt gemacht habe. Ich beginne meinen Arbeitstag um fünf Uhr früh und um 21 Uhr gehe ich heim. Ich freue mich jeden Morgen darauf, meine Ziegen zu melken. Auch den Kontakt zu meinen Kunden schätze ich sehr und das Gespräch mit den Verkäuferinnen und Ladenbesitzern. Ich drehe einmal wöchentlich meine Runden und liefere meine Produkte aus. Die Arbeit, die ich jetzt machen darf, ist so weitläufig und interessant. Man hat zwar eine gewisse Routine, zum Beispiel muss man täglich zweimal melken – das Melken ist für mich wie Meditation –, aber dann gibt es so viele andere Momente: Produkte herstellen, an neuen Produkten experimentieren. Mittlerweile habe ich eine bunte Palette an Produkten wie Joghurt, probiotischen Trinkjoghurt, Streichkäse, Schnittkäse, Desserts und Pudding – alles aus Bio-Ziegenmilch. Im Sommer stelle ich zusätzlich das ganze Futter für die Ziegen selber her, dann noch die Kundenkontakte pflegen. Ich habe sehr viel Spaß an der Arbeit, sie ist äußerst abwechslungsreich. Die Rückmeldungen der Kunden freuen und motivieren mich auch sehr.

Als ich einmal in Bozen beim Ausliefern war und in meinem Lieferauto saß, überquerte ein Mann die Straße, nahm dabei aus seiner Einkaufstüte eine Flasche Ziegenmilch von mir heraus, winkte mir mit der Flasche zu und hielt den Daumen nach oben. Solche Erlebnisse sind gigantisch. Das sind so Momente, in denen ich eine große Genugtuung erlebe und mich riesig freue.

Bringt Ihre Arbeit auch Herausforderungen mit sich?

Jeden Tag! Man ist oft mit Problemen konfrontiert. Bei 60 Milchziegen kann auch mal was schiefgehen. Man ist auch auf viele Maschinen angewiesen, es ist viel Technik dabei: eine supermoderne Melkanlage, auch Milchverarbeitungs- und Futterverarbeitungsmaschinen, die Traktoren und diverse andere Maschinen auf den Feldern. Neben den vielen schönen Momenten, die man erlebt, gibt es auch Tage, an denen so einiges in die Hose geht.

Anfangs hat David Perathoner noch per Hand die Milch seiner Ziegen täglich verarbeitet. Mittlerweile kommt High-Tech zum Einsatz: Milchverarbeitungsmaschinen verwandeln die Milch auf Knopfdruck in Frischkäse, Trinkjoghurt, Schnittkäse, Desserts und mehr. Foto: © Alexander Tempel

Das Melksystem ist hochmodern, 24 Ziegen werden zur gleichen Zeit gemolken. In rund 40 Minuten sind alle 60 Ziegen durch. Das Melken muss für Perathoner schnell gehen und Spaß machen – immerhin muss er diese Arbeit zweimal täglich für 365 Tage im Jahr machen. Foto: © Alexander Tempel

Einmal, es war der 1. Mai, ein Feiertag, war am Abend nach dem Melken plötzlich die ganze Melkanlage blockiert. Ein Kompressor, die Hauptpumpe, war kaputtgegangen. Am nächsten Morgen mussten die Ziegen aber wieder gemolken werden. Das sind so Momente, in denen man schon ein wenig nervös wird. Man kann nicht anfangen, die Ziegen mit der Hand zu melken, allein schon aus hygienischen Gründen. Außerdem tut das den Ziegen auch nicht gut. Also musste ich organisieren. Ich habe den Vertreter angerufen: Er ging nicht ans Telefon. Ich habe den Besitzer von der Firma angerufen: Er ging nicht ans Telefon. Ich habe so lange herumtelefoniert, bis ich jemanden aus der Firma gefunden habe, der dann nach Mitternacht mit einem Reservemotor gekommen ist. Bis zwei Uhr morgens haben wir den gemeinsam installiert. Vier Stunden später mussten die Ziegen schon gemolken werden. Wenn die Ziegen nicht gemolken werden, sind sie gar nicht glücklich. Das ist ganz, ganz schlecht.

Ein anderes Mal war ich mit meinem nigelnagelneuen Traktor, der keine zwei Monate alt war, auf der Wiese, als er auf einmal stehenblieb und keinen Muckser mehr von sich gab. Oben auf der Alm ist es nicht ganz so einfach. Man muss zu Fuß runter und die ganze Mechanik mitschleppen. Es gibt immer wieder solche herausfordernden Momente und meistens passieren sie, wenn es am ungünstigsten ist: an Feiertagen oder an Wochenenden. Ich musste schon Vieles lernen und mir viel Wissen aneignen, wie man Dinge selber repariert zum Beispiel.

Schaffen Sie es, in solchen Momenten ruhig zu bleiben?

Ich bin schon jemand, der gerne Gas gibt. Aber in brenzligen Situationen, wenn es hart auf hart kommt, kann ich schon einen kühlen Kopf bewahren. Hier kommt mir meine Erfahrung als Testpilot beim Gleitschirmfliegen zugute – in kritischen Situationen muss man total ruhig bleiben.

Der 500 Quadratmeter große Laufstall ist hell, sauber und perfekt auf die Huftiere ausgerichtet. Stallklima und Hygiene sind Perathoner wichtig, denn sie sind ausschlaggebend für den Geschmack der Milch. Foto: © Alexander Tempel

Worauf sind Sie stolz?

Auf meine Ziegen. Sie sind für mich mein Alles. Klar, man ist auch stolz, wenn man einen Erfolg mit seinen Produkten hat. Aber die Bindung zu meinen Ziegen, unser Zusammenleben, macht mich einfach glücklich. Meine Ziegen sind meine Mitarbeiter. Ich habe jeden Tag Freude mit ihnen. Sie machen mich stolz und sehr zufrieden. Sie geben mir alles, was ich zum Leben brauche, nicht nur Milch. Als ich vor einer Woche angefangen habe, mit ihnen auf die Weide zu gehen, meinte ein anderer Bauer zu mir: „Du wirst sehen, es wird Probleme mit den Ziegen geben. Sie werden abhauen.“ Als ich dann mit meinen Ziegen auf der Weide gestanden bin, habe ich gestaunt, die anderen haben auch gestaunt: Die Ziegen sind mit mir mitgegangen. Ich habe nicht einmal einen Weidehund. Meine Ziegen sind so anhänglich. Wenn ich irgendwo stehenbleibe, bleiben sie auch stehen und versammeln sich um mich. Wenn ich weitergehe, ziehen sie mit. Ich brauche sie nur anzusehen, dann wissen sie, was los ist. Diese Verbindung ist unbeschreiblich. Wenn ich die Ziegen auf der Weide lasse und sie danach wieder hole, kommen sie zu mir, und man merkt ihre Freude, wenn sie mich sehen.

Sie haben Ihr Sortiment sukzessiv erweitert und verkaufen die Produkte in ausgewählten Bioläden und Bäckereien. Was ist das Besondere an Ziegenmilchprodukten?

Im Unterschied zu Kuhmilch ist Ziegenmilch und Ziegenjoghurt verdaulicher, da die Fettanteile viel geringer sind. Viele steigen auch auf Ziegenmilch um, weil der Geschmack sehr gut, leicht süßlich und nussig ist. Für viele wirkt die Ziegenmilch zudem wie ein Medikament, sie bringt eine Menge Vorteile mit sich. Neurodermitis kann man mit Ziegenmilch sehr gut in den Griff bekommen, genauso wie Heuschnupfen. Da wirkt sie wie ein Wundermittel. Ich merke, wie der Endkonsument auch an solche Sachen denkt. Ziegenmilch gewinnt immer mehr an Nachfrage.



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