Brüder Grimm: Ein Blick hinter die Kulissen
Die „Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“ gehören als „Erbe der Menschheit“ seit 2005 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe: „Die Einzigartigkeit und globale Strahlkraft dieser Sammlung geht darauf zurück, dass die Brüder Grimm über deutsche und europäische Bezüge hinausgingen und ein fast universelles Muster völkerübergreifender Märchenüberlieferung geschaffen haben.“
Die im Stuttgarter S. Hirzel Verlag erschienene Korrespondenz der Brüder Grimm mit ihren geistigen Weggefährten, dem Hamburger Historiker und Archivar Johann Martin Lappenberg, dem Mecklenburger Altertumsforscher Friedrich Lisch und dem Rechtshistoriker und Mediävist Georg Waitz, umfasst 212 Briefe aus einem Zeitraum von knapp vier Jahrzehnten. Er ist der achte Band einer kritischen – vorerst bis zu dreißig Bänden geplanten – Gesamtausgabe sämtlicher Briefe von und an die Brüder Grimm.
Briefe als Kraftquelle
Die Briefe dienen als unmittelbares Medium eines ganz persönlichen Austausches. In der Aufregung momentaner weltpolitischer Unruhen klingen sie wie ein Zuspruch von etwas überzeitlich Beständigem. Wie zum Beispiel der Trost, den Jacob Grimm seinem geistigen Weggefährten Johann Martin Lappenberg angesichts des Hamburger Großbrands bot:
„Lieber freund, ich habe durch meine briefe nicht stören und nichts von dem wiederholen wollen, was Ihnen gewis von allen seiten her gesagt worden ist. Gleich bei den ersten nachrichten von dem unglück lag für mich ein kleiner trost in dem gedanken, dass der himmel Ihr haus, dessen lage ich erkundigte und nun aus den häufig betrachteten plänen genauer gesehn habe, verschonen wollte. Waitz hat mir Ihren brief vorgelesen, woraus sich leider ergibt, dass das archiv dennoch grossen und unersetzlichen schaden gelitten hat, und wie vielfache arbeit muss Ihnen die wiedereingerichtung des geretteten theils machen. Ein seltsames verhängnis hat Ihre im druck begriffne urkundensammlung betroffen, noch einige wochen später und die ausgabe war in alle welt verspreitet, während jetzt ein paar geborgene, unvollständige exemplare zu den grössten seltenheiten gehören werden. Grosse verluste haben den vortheil, dass sie den sinn für das gebliebene schärfen und erhöhen, der intensive werth wird gesteigert.“ (Jacob Grimm an Johann Martin Lappenberg 29. Mai 1842)
Im Mai 1842 wurde das von Lappenberg geführte Archiv von einem drei Tage währenden Feuer in der Hamburger Innenstadt schwer geschädigt. Es enthielt wichtige Dokumente und kurz vor dem Druck stehende Urkunden der deutschen und nordischen Geschichte, Sprache und Dichtung. Diese gaben auch der umfangreichen Arbeit der Brüder Grimm wichtige Impulse für ihre eingangs erwähnte Märchenforschung.
Weltbürger
Jacob Grimm saß mit seinem Wissenschaftskollegen, Georg Waitz, als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. Beide tauschten unter anderem geschichtliche Dokumente aus, die ihre politische Arbeit begründeten: „Lieber Waitz, Ihre zueignung gibt mir einen beweis wahrer freundschaft, der mir theuer ist und mich innig erfreut. kein andres volk unsers vaterlands wird lange zeit hindurch deutsche herzen so bewegen wie Schleswigholstein, keins so mächtig unsre künftige erhebung fördern. es kann uns nicht verloren gehn und der glaube daran wacht stärker als je. Für keine andere deutsche geschichte ist so sehr die rechte stunde, und Ihr buch, wenn Sie es länger aufgeschoben hätten[,] würde nur die halbe wirkung thun. So weit ich darin gelesen habe, scheint mir alles bündig, einfach und ansprechend erzählt. die weggebliebnen noten können einmal als eignes buch erscheinen, dessen lebendigen commentar Sie voraus schicken.“ (Jacob Grimm an Georg Waitz, Berlin, 27. April 1851)
Die Briefkorrespondenz mit Lappenberg, Lisch und Waitz belegt, zeigt die Brüder Grimm als „Weltbürger“ und ihre umfassenden Forschungen als „Universalwissenschaften“.
“Weltbürger” dergestalt, dass sie Mitglieder in vielen Institutionen waren: unter anderen in der Finnischen Literaturgesellschaft, als Ehrenmitglied in “The American Ethnological Society” als auch in Paris in der “Academie Celtique”. “Universalwissenschaften” behandelt die ganze Wirklichkeit in ihrer Komplexität und teilt sich nicht in Einzelwissenschaften auf, das heißt auch, dass die Erkenntnisse aus der Altertums- und Religionsgeschichte für die Brüder Grimm und ihren Kollegen Rückschlüsse zur Sprache und schließlich zur Politik ihrer Zeit zuließen. Jacob Grimm untermauerte so seine Haltung gegenüber Dänemarks Anspruch auf die Herzogtümer Schleswig und Holstein im weiteren Briefverlauf mit Waitz. “denn ihr zusammenhang mit slavischer, littauischer sprache und dadurch endlich auch mit dem sanskrit reiszt nicht ab, er müste gewaltsam durchschnitten werden. eine menge deutscher wörter können wir auszerhalb dieser atmosphäre entw. gar nicht oder nur halb und schief verstehen. der gedanke deutsch blosz aus deutsch zu erklären hat etwas verführerisches und bis auf gewisse stelle sein recht. ich habe eine reihe von ableitungen solcher art aufgebracht, die den sanskritisten zuwider sein werden, aber ich wehre mich ebensowenig wider das, was ich von dorther nehmen musz. […]es ist ein grundzug moderner critik, den eignen Deutschen abzuzwacken, was ihnen zu gehören scheint, und es lieber Kelten, Slaven und womöglich jedem andern fremden volk zu überweisen, ohne dasz dafür gründe überwiegen.” (Jacob Grimm an Waitz. Berlin, 28. Juli 1854)
Feine Sprache
Zu guter Letzt sind die Briefe dieser neu erschienenen Edition auch wegen ihrer sprachlichen Brillanz für ein breiteres Lesepublikum unbedingt empfehlenswert. Angesichts der heute mitunter im Alltag grob gehaltenen Kommunikation, in welcher die epische Breite eines „Liebe Grüße“ gern durch ein „LG“ abgekürzt wird, haben sie eine geradezu entschleunigende und inspirierende Wirkung.
Der geistige Zustand einer Gesellschaft und des Einzelnen im Umgang mit sich selbst und dem anderen, liest sich mitunter an der jeweiligen Behandlung von Sprache ab. Die Briefe geben daher auch Anregung, die eigene Sprache und Innenwelt neu zu reflektieren: „Entschuldigen Sie gütigst, daß ich diese Zeilen so flüchtig hingeschrieben. Ich rechne da auf die Nachsicht und freundschaftliche Güte. Die Sie mir in so reichem Maaße […] erzeigt haben und die ich Sie bitte, auch fernerhin zu erhalten.“ (Georg Waitz an Dorothea Grimm, Hannover, 9. November 1841)
Gerade die ausführlichen Formulierungen in den Briefen vermögen das oft durch die Dauerpräsenz schnelllebiger Schlagzeilen aufgebrachte Gemüt zu besänftigen. Vielleicht sind sie zu guter Letzt ein Anlass, das eigene Briefeschreiben als verlangsamender und gleichzeitig verinnerlichender Moment im Alltagsgetriebe wieder zu beleben.
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