Bertha von Suttners abenteuerliches Leben: „Die Waffen nieder!“

Sie wurde zu einer Symbolfigur der Friedensbewegung, die junge Gräfin Kinsky. Aus ihrer Feder stammt das Werk „Die Waffen nieder!“. Vermutlich hat dieses Buch Alfred Nobel dazu gebracht, sein erstes Testament zu ändern und einen heute noch vergebenen Preis auszuloben.
Titelbild
„Die Waffen nieder!“ Eine Lebensgeschichte. Bucheinband der 29. Auflage aus dem Jahr 1899, E. Pierson´s Verlag, Dresden und Leipzig.Foto: public domain
Von 12. Juli 2023

Nichts deutete vor 180 Jahren darauf hin, dass das am 9. Juni 1843 in Prag geborene Mädchen Pazifistin werden könnte. Bertha Sophia Felicita Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau ist Tochter eines Feldmarschallleutnants im österreichischen Kronland Böhmen und auch die Familie der Mutter ist militärisch geprägt. Der Großvater des Mädchens ist Hauptmann der habsburgischen Kavallerie.

Den Vater, kurz vor ihrer Geburt im Alter von 74 Jahren gestorben, lernt Bertha nie kennen. Von seinem Erbe leben die junge verwitwete Mutter und ihre drei Kinder. Sie verbringen ihre Kindheit und Jugend sorgenfrei und in aristokratischen Kreisen, erhalten eine gute, musische Ausbildung und werden in mehreren Fremdsprachen unterwiesen.

Die junge Gräfin Kinsky, 1873. Foto: unbekannt; public domain

Doch das väterliche Vermögen schmilzt unaufhaltsam dahin und die Mutter setzt durch ihre Leidenschaft für das mondäne Roulettespiel den Besitz der Familie zusätzlich aufs Spiel – und verliert.

Bertha, inzwischen Mitte 20, sieht – wie damals durchaus üblich – ihre Hoffnung nun in einer standesgemäßen Heirat. Doch ein ums andere Mal zerschlagen sich ihre Aussichten. So bleibt der fast mittellosen jungen Gräfin nur das zu nutzen, was sie noch besitzt: ihre hervorragende Bildung.

Unerhörter Skandal

Im Jahr 1873 nimmt sie in Wien eine Stelle als Gouvernante und Hauslehrerin an und unterrichtet von nun an die vier Töchter der adeligen Industriellenfamilie von Suttner. Zwei Jahre später wird sie jedoch von einem auf den anderen Tag entlassen. Was war geschehen?

Die über 30-jährige Gräfin und der jüngste Sohn der Familie, Arthur, gerade 23 Jahre alt, hatten sich ineinander verliebt. Den gesellschaftlichen Stand der Hauslehrerin aus verarmtem Adel und den großen Altersunterschied empfinden die Eltern Arthurs jedoch als unerträglichen Skandal.

Um der Gräfin Kinsky nach ihrer Entlassung aber eine Perspektive zu eröffnen, weisen Arthurs Eltern ihre ehemalige Angestellte auf eine Stellenanzeige in der Wiener „Freien Presse“ hin. Die Annonce wird große Auswirkungen auf das spätere Leben Berthas haben.

Die Weichen stellen

Ihr Weg führt Bertha nun nach Paris und ihr neuer Arbeitgeber heißt Alfred Nobel. Bei ihm tritt sie eine Stelle als Privatsekretärin an und beschreibt schon die erste Begegnung mit dem Chemiker, erfolgreichen Entdecker, Erfinder und Unternehmer voll großer Sympathie: „Mit ihm über die Welt, die Menschheit, die Probleme der Zeit und die Ewigkeit zu sprechen, war eine intensive, intellektuelle Freude.“

Die so entstandene Freundschaft wird ein Leben lang andauern und Bedeutendes in Gang setzen.

Fotoportrait von Alfred Nobel, aufgenommen um 1890. Foto: Gösta Florman (1831–1900) / The Royal Library, public domain

Doch jetzt, im Juni 1876, ändert ein Telegramm zuerst einmal wieder alles. Bertha erhält die Depesche am Ende ihrer ersten Woche in Paris. Arthur von Suttner schreibt: „Ich kann ohne Dich nicht leben“, und Bertha kehrt augenblicklich nach Wien zurück.

Dort heiratet das Liebespaar am 12. Juni 1876 ohne Wissen der Familie von Suttner und verlässt Österreich kurz darauf – enterbt und von Familie und Gesellschaft verstoßen. Eine Freundin Berthas aus früheren Zeiten, die Fürstin von Mingelien, bietet dem Ehepaar Zuflucht an: Es könne für einige Zeit in Georgien unterkommen. Arthur und Bertha von Suttner bleiben fast neun Jahre.

Durch Musik- und Sprachunterricht, das Zeichnen von Plänen und Tapetenmustern, Übersetzungen und immer öfter durch schriftstellerische und journalistische Auftragsarbeiten halten sie sich finanziell über Wasser. Arthur berichtet für deutsche Wochenblätter über den Russisch-Türkischen Krieg, der vor allem im Nachbarland Bulgarien tobt. Bertha verfasst Kurzgeschichten und Essays für österreichische Zeitungen. Mit ihren Arbeiten erlangen Arthur und Bertha Suttner immer größere Bekanntheit.

Arthur von Suttner (1850–1902) im Alter von etwa 35 Jahren. In: Die Gesellschaft, Hrsg.: Michael Georg Conrad, Arthur Seidl, Leipzig. Foto: unbekannt; public domain

Großes, edles Lebensziel

1885 kommt es schließlich zur Versöhnung mit der Familie von Suttner in Wien und das kinderlose Ehepaar kehrt nach Österreich zurück. Alte Kontakte leben wieder auf und Alfred Nobel, mit dem Bertha all die Jahre in Georgien hindurch korrespondiert hatte, lädt das Ehepaar von Suttner während seines Aufenthalts in Paris im Jahr 1886 zu politischen Abendgesellschaften ein.

Hier erfährt Bertha von Suttner erstmals von der Existenz internationaler Friedensvereinigungen und ist, wie sie schreibt, „wie elektrisiert“. Sie hat endgültig das große, edle Ziel gefunden, für das sie ihr ganzes weiteres Leben arbeiten und kämpfen will: den Frieden.

Intensive Gespräche mit Alfred Nobel bestärken sie. Nobel, reich geworden durch Erfindungen im Bereich der Chemie – nicht zuletzt durch die Sprengkraft des von ihm entdeckten Dynamits – hofft, durch dieses, wie er annimmt, nicht mehr zu steigernde, abschreckende Zerstörungspotenzial den Weltfrieden herbeiführen zu können.

„An dem Tag, da zwei Armeekorps sich gegenseitig in einer Sekunde werden vernichten können, werden wohl alle zivilisierten Nationen zurückschaudern und ihre Truppen verabschieden“, glaubt er.

Auch Bertha von Suttner hofft, die Nationen mögen endlich Vernunft annehmen. Sie ist aber darüber hinaus davon überzeugt, dass das Bewusstsein über die Bestialität des Krieges zuerst in den Gefühlen, Herzen und im Verstand der Menschen geweckt werden muss.

Welterfolg für den Frieden

1888 vereint sie ihre Sehnsucht nach einem Ende aller Kriege mit ihren schriftstellerischen Fähigkeiten und verfasst einen Roman. Mitreißend erzählt sie darin in der Ich-Perspektive die Geschichte einer Frau, deren Familie durch den Krieg und seine Folgen schlimmstes Leid erfahren muss. Der Roman wird zum kometenhaften Welterfolg und erreicht so mehr Menschen als viele Friedensappelle vor oder nach seinem Erscheinen.

Bereits sein Titel ist von großer Wirkmächtigkeit und prägt sich schon damals tief in das kollektive Gedächtnis ein: „Die Waffen nieder!“

„Wie lange haben Sie gebraucht, um dieses Wunder zu schreiben? […] wann werde ich die Ehre und das Glück haben, Ihre Hand zu drücken? Die Amazonenhand, die so wertvoll dem Krieg den Krieg erklärt!“, schreibt ihr der begeisterte Alfred Nobel.

Durch den überragenden Erfolg des Buches wird Bertha von Suttner nun zu einer führenden Symbolfigur der Friedensbewegung. Alfred Nobel unterstützt ihr Tun, wo er nur kann. Die Gründung mehrerer Friedensgesellschaften und internationale Friedenskongresse folgen.

„[…] es ist notwendig“, schreibt Bertha von Suttner 1891 in einem Aufruf zur Gründung der Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde, „daß überall dort, wo Friedensanhänger existieren, dieselben auch öffentlich als solche sich bekennen und nach Maßstab ihrer Kräfte an dem Werke mitwirken.“ Die Resonanz ist überwältigend.

Unermüdlich schreibt sie, bereist halb Europa, besucht Kongresse, hält viel beachtete, packende Reden. Ihre enge Verbindung zu Alfred Nobel reißt bei aller Umtriebigkeit nie ab. In Briefen und Gesprächen loten die Seelenverwandten die Möglichkeiten aus, der Friedensbewegung noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Kraft verleihen zu können.

Bertha von Suttner kurz nach ihrem 60. Geburtstag und
zwei Jahre vor der Verleihung des Friedensnobelpreises. Foto: K. u. k. Hof-Atelier Carl Pietzner, Wien; public domain

Zukunftsweisende Idee

Auch aufgrund dieses lebhaften Austausches beginnt der kinderlose, alleinstehende Nobel darüber nachzudenken, wie er sein immenses Vermögen auch nach seinem Ableben zum dauerhaften Nutzen für die Menschheit und eine friedliche Zukunft einsetzen könnte.

1895, ein Jahr vor seinem Tod, ändert er seinen letzten Willen. Sein Erbe soll nun in eine Stiftung umgewandelt werden, die jährlich Preisgelder für herausragende Wissenschaftler, Literaten und Friedensstifter ausschüttet. Im Jahr 1901 wird der Friedensnobelpreis erstmals verliehen.

1905 erhält ihn Bertha von Suttner. Mehr als 100 Nominierungen waren für sie eingegangen. Ihr Kampf für den Frieden geht unvermindert und unermüdlich weiter.

Tapfere Kämpferin

Fast 70-jährig bereist sie 1912 und 1913 acht Monate lang die USA und hält täglich bis zu drei Vorträge. In Europa lassen aufflammende Balkankriege bereits den herannahenden großen Konflikt erahnen. Fast verzweifelt appelliert sie an ihr amerikanisches Publikum: „Wir brauchen Fonds […] wir müssen im Stande sein, die Wahrheit durch die Presse zu verkünden, die ja […] zum größten Teil für den Militarismus, ja sogar für den Krieg eintritt.“

In San Francisco ruft sie ihren Zuhörern zu: „Jeder Krieg ist Hölle, jeder Kriegsminister ist Höllenminister und das Kriegsministerium ist das Ministerium der Hölle.“ Und: „Merkwürdig, wie blind die Menschen sind!“, schreibt sie und scheint nicht nur für ihre Zeit zu sprechen. „Die Folterkammern des finsteren Mittelalters flößen ihnen Abscheu ein; auf ihre Arsenale aber sind sie stolz.“

Sie stirbt in Wien im Alter von 71 Jahren am 21. Juni 1914. Ihre letzten Worte auf dem Sterbebett sind: „Die Waffen nieder! Sagt es vielen, vielen.“ In Sarajevo lösen wenige Tage später tödliche Schüsse den Ersten Weltkrieg aus.



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