Auf der Suche nach dem besonderen Klang
Beruf oder Berufung? Wer sich als Geigenbauer durchbeißen will, braucht vor allem Hingabe, ein gutes Gehör und viel Geduld. In Anna Wagners Atelier kommt kaum moderne Technik zum Einsatz. Sämtliche Werkzeuge, die Materialien, die Arbeitsschritte – seit Stradivaris Zeiten hat sich im anspruchsvollen Handwerk fast nichts verändert. Im Gespräch mit Epoch Times verrät die Grazer Geigenbaumeisterin, was den perfekten Klang ausmacht und wo die Seele der Geige sitzt.
Frau Wagner, Sie üben den Beruf der Geigenbaumeisterin schon sehr lange aus – wussten Sie schon immer, dass Sie Geigenbauerin werden wollten?
Ja, ich wusste es schon immer. Meine Eltern haben sehr viel in Musik, in Instrumente und in Ausbildung investiert. Ich habe vier Geschwister – wir alle haben zwei bis drei Instrumente lernen dürfen. Wir haben auch sehr viel Zeit investiert, gemeinsam zu musizieren und zu üben. Als ich als Kind mit 10 oder 12 Jahren einmal eine Musikwerkstatt in Lienz in Osttirol besucht habe, hat mich das sehr beeindruckt. Der Instrumentenbauer war ein Tausendsassa, der alle möglichen Instrumente gebaut hat: Harfen, Blechinstrumente, Geigen. Ich fühlte mich in seiner Werkstatt heimelig (wie zu Hause). Da wusste ich: Ich will Instrumentenbauerin werden. Der Geigenbau hat sich dann in meiner ersten Ausbildung herauskristallisiert.
Wo haben Sie das Handwerk erlernt?
Meine erste Station war Hallstatt, in der einzigen Instrumentenbauschule in Österreich, an der Holzinstrumentenbau gelehrt wird. Dort haben wir angefangen mit Zither, Hackbrett, Gitarrenbau, Lauten. In der dritten Klasse kam die Drehleier dazu. Erst in der allerletzten Klasse kamen die Geige und Bratsche dran. Danach habe ich beschlossen, mich auf ein Instrument oder eine Instrumentenfamilie zu spezialisieren, denn man kann nicht in allem gut sein. So habe ich mich für die „Königin“ der Instrumente entschieden und bin nach Cremona, Italien, in die internationale Geigenbauschule gegangen, die Stadt, aus der Antonio Stradivari stammt.
Danach habe ich Wanderjahre als Gesellin gemacht. Eine Zeit lang war ich in Nottingham bei einem Geigenbauer, anschließend in Paris, in der „Rue de Rome“, dort habe ich bei einem Geigenbauer auf Kost und Logis gearbeitet und gelernt. Später war ich in Südamerika, was auch eine wertvolle Erfahrung für mich war, denn dort war ich auf mich alleine gestellt. Es hat dort keinen anderen Geigenbauer gegeben. Die Leute waren sehr dankbar, dass da jemand kam, der Instrumente begutachten und leimen konnte. Es war eine große Lehrzeit für mich.
Gab es einen speziellen Moment oder einen besonderen Lehrer, der sie stark beeinflusst hat?
Ja, das war mein Meister in Cremona – Giorgio Cé – mein Maestro. Er war schon eine ganz wichtige Persönlichkeit in meinem Leben. Man sagt immer, von allen Geigenbauern ist Antonio Stradivari ein großes Vorbild, aber unter den Lebenden war es mein Meister in Cremona. Er mochte mich auch sehr und hat mir viele Dinge und Geheimnisse verraten, die man nicht weitersagen darf.
Schade, ich wollte schon nachhaken …
Leider …
Was finden Sie an Ihrem Beruf besonders erfüllend?
Zum einen ist es der Moment, wenn Menschen zu mir kommen, die ein völlig kaputtes Instrument haben und sich nicht vorstellen können, dass daraus wieder ein lebendes Instrument wird. Vielleicht haben sie es geerbt oder es ist ein Dachbodenfund. Wenn ich die Geige dann in vielen Stunden Arbeit für sie restauriere und am Ende eine schöne, glänzende und wohlklingende Geige dabei rauskommt und die Kunden sie dann sehen … das ist schon ein klasse Gefühl. Den Menschen so eine große Freude zu machen, erfüllt mich. Das Unfassbare, das Unmögliche möglich machen. Das kann die Handwerkskunst.
Zum anderen erfüllt mich das Thema der Klangveredelung. Es ist eines meiner liebsten Arbeiten, denn ich kann es immer nur noch besser machen und versuchen, mich darin zu perfektionieren. Profimusiker, die oft auch verzweifelt zu mir kommen – weil das Instrument zwar intakt ist, aber auf der G-Saite ein H vielleicht nicht gut klingt oder es irgendwelche anderen Geräusche macht – wenn ich dann auf das Problem komme oder mittels der „Seele der Geige“ etwas optimieren kann und der Kunde zufrieden nach Hause geht, ist das auch sehr erfüllend.
Was inspiriert Sie?
Das Ergebnis. Und immer wieder die neue Herausforderung. Es gibt schon Dinge, die ich noch nie gemacht habe, oder wo ich mich nicht gerne drüber traue. Dieser Kick ist zugleich auch Inspiration. Bereiche anzupacken, die man nicht oft macht und in denen man keine Routine hat. Wenn ich zum Beispiel einen Umbau, einen Rückbau machen muss, also ein modernes Instrument in ein barockes „zurückbauen“ soll, setzt das viele Arbeitsschritte voraus, die gut durchdacht werden müssen. Ich muss mich im Kopf gut darauf vorbereiten. Decke öffnen, Bassbalken ändern, … mich in die Barockzeit hineinversetzen, in die Bauweise des barocken Geigenbaus. Diese Herausforderung steht bei mir momentan an und ich warte noch auf den geeigneten Zeitpunkt, um es anzugehen.
Ansonsten inspiriert mich auch Regenwetter. Wenn es draußen nicht schön ist, ist es in der Werkstatt umso besser.
Aus welchem Grund möchten Kunden aus ihrer modernen Geige eine barocke machen?
Wegen dem Klang. Früher war das Instrument anders aufgebaut. Der Bassbalken war länger und schmäler, der Hals war viel breiter und der Winkel war anders, das Griffbrett war kürzer, der Steg war anders, man hat Darmsaiten gespielt, …
Wie gut muss man selbst Geige spielen, um eine gute Geige bauen zu können?
Man muss nicht unbedingt Geige spielen können. Antonio Stradivari konnte es zum Beispiel nicht. Es ist allerdings schon ein großer Vorteil, wenn man es kann. Ich würde gerne besser spielen können, habe 8 Jahre lang Geige gelernt und auch im Orchester gespielt, bin aber keine Profimusikerin. Ich spiele gerne für mich hier in der Werkstatt, zum Ausprobieren. Wichtiger ist es, einen guten Draht zum Kunden, zum Musiker zu haben. Ich selbst muss nicht Musikerin sein und beweisen, dass ich Vivaldi oder Paganini spielen kann. Ich muss eine gute Verbindung zum Musiker haben, denn ich muss wissen, was am Instrument zu tun ist. Er ist der Musiker, ich bin die Handwerkerin.
Was zeichnet einen guten Geigenbauer aus? Was muss man an Geschick mitbringen?
Ein wenig handwerkliches Talent wäre gut, den Rest kann man erlernen. Auch die Freude am Material, Freude daran, mit den Händen etwas zu tun. Auf alle Fälle braucht man Geduld. Viele Arbeitsschritte benötigen sehr viel Zeit. Und Genauigkeit ist auch wichtig. Wenn man cholerisch ist, ist das sowieso nicht gut. Dann muss man oft von ganz vorne beginnen. Die Liebe zur Musik ist auch ein Punkt, die schwingt immer mit, wenn man ein Instrument baut. Man muss gute Ohren haben: Wenn man eine Geige baut, muss man jedes Holzstück abstimmen, was durch Klopfen erfolgt. Man hört es dann, man sollte es hören können, weil nicht alles messbar ist.
Geigenbau ist ein sehr sinnlicher Beruf. Sie sprachen vorher von der „Seele der Geige“. Wie lässt sich die Seele der Geige beschreiben oder erkennen?
Von der „Seele der Geige“ redet man aus zweierlei Gründen: Zum einen macht die Seele die Holzauswahl und Ausarbeitung aus. Ich muss schauen, welche Decke zu welchem Boden passt, welchen Einfluss die Schnecke hat, das Griffbrett kann ich abstimmen, das ist aus Ebenholz, die Lackierung ist ganz wichtig …Für den Klang muss alles zusammenpassen und zum Schluss natürlich auch die Saiten. Welche Saiten ich verwende, auch das ist ein ganz großes Spektrum. In die Seele der Geige fließt also auch meine Erfahrung, meine Seele und mein Charakter mit ein, die entscheiden, was gut miteinander harmoniert.
Aber die richtige „Seele der Geige“ ist ein kleiner Stab, ein ganz kleiner Stimmstock, etwa 5–6 cm lang, auch „Seele“ oder „Anima“ genannt. Dieser Stab wird in die Geige zwischen Decke und Boden eingeklemmt. Durch das F-Loch fährt man mit dem Stab rein und bringt die Seele in Position. Sie ist für die Klangübertragung zuständig. Die Seele steht auf einem bestimmten Platz – verrückt man sie auch nur um einen zehntel Millimeter, ändert sich der ganze Klang der Geige. Ich experimentiere sehr gerne damit, weil es so eine sensible Angelegenheit ist. Nicht jeder kann das. Manche Menschen, Hobbymusiker oder Tischler, die selber damit hantieren, verursachen oftmals eine Katastrophe. Von der Seele lässt jeder die Finger, weil es enormes Fingerspitzengefühl verlangt.
Beim Instrumentenbau geht es vor allem um das Streben nach dem perfekten Klang. Wie würden Sie den perfekten Klang einer Geige beschreiben und was benötigt es, um dies zu erreichen?
Das Streben nach dem süßen, italienischen Geigenton. Für den perfekten Klang gibt es ganz viele beschreibende Wörter: Der Ton soll bernsteinfarben sein, breit und tragend. Einen schönen Geigen- oder Celloklang habe ich im Kopf. Man hört, wenn eine Geige zu schrill und zu scharf ist. Es ist auch eine individuelle, subjektive Sache. Jeder Musiker sucht sich seine eigene Geige, jeder hat auch ein anderes Gehör. Den perfekten Klang, den gibt es so gesehen nicht. Deswegen ist die Zusammenarbeit zwischen dem Handwerker und dem Musiker sehr wichtig. Der Musiker sagt mir, wie er den Ton hört oder hören will und wenn es für ihn nicht passt.
Im Übrigen hängt der Wert einer Geige nicht von ihrem Klang ab. Es ist nebensächlich, wie das Instrument klingt – der Klang ist kein Kriterium für die Wertfindung, sondern rein das Handwerk. Eben, weil das Klangempfinden sehr subjektiv ist.
Welche Techniken der Geigenbautradition wie zu Zeiten der großen Geigenbaumeister der klassischen Periode kommen beim Bau einer Geige in Ihrer Werkstatt auch heute noch zum Einsatz? Und welche Techniken wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt oder modernisiert?
Die alten und neuen Techniken vermischen sich. Wir verwenden, genauso wie die Meister im 15. Jahrhundert auch, den Warmleim, den wir köcheln. Das ist gleichgeblieben. Wir verwenden keinen synthetischen Weißleim, das würde nicht funktionieren. Der Warmleim geht mit der Luftfeuchtigkeit mit, der Weißleim nicht, da würden alle Instrumente reißen und brechen. Der Hobel, die Ziehklinge, … das ist alles so wie früher. Das Messen ist vielleicht ein wenig genauer geworden, früher haben sie wahrscheinlich mehr nach Gefühl gearbeitet, in die Hand genommen, gespielt, gedreht, die Decke beim Ausarbeiten abgeklopft – schon auch so wie jetzt – und Töne gehört: Haupttöne, Partialtöne. Das Biegen der Zargen: Da gibt es jetzt ein Biegeeisen, das steckt man in die Steckdose und es erwärmt sich. Damit kann ich die Zargen biegen und in die richtige Form bringen. Damals hat man große Eisenteile ins Feuer gelegt, rausgezogen, und dann drübergebogen. Das ist mit dem elektrischen Strom jetzt einfach feiner. Wölbungen stechen und Unebenheiten finden passiert bei mir gerne mit wenig Licht. Früher haben sie dazu eine Kerze verwendet, mit der sie über den Körper geschaut haben, ob die Wölbung schön homogen in die Hohlkehle übergeht. Das mache ich heute mit einer Stehlampe, die ich positioniere und punktuelle Lichtquellen setze. Elektrischer Strom ist schon super.
Im Grunde hat sich also nicht allzu viel an der Technik verändert?
Nein. Das Lackieren ist auch gleich geblieben. Früher haben Alchimisten die Lacke hergestellt, das war ein eigener Beruf. Heutzutage machen es die Geigenbauer selber oder kaufen es im Handel ein.
Was ist das Besondere an einer Stradivari? Denken Sie, dass jeder professionelle Geigenspieler danach strebt, eine Stradivari zu spielen?
Ich denke schon, dass es für einen Profi-Geigenspieler ein schönes Gefühl ist, eine Stradivari in Händen zu halten. Aber immer mit einer Stradivari live zu spielen, das denke ich nicht. Man braucht viel Fingerspitzengefühl. Es gibt sehr viele andere Geigen, die auch gut oder sogar besser zu spielen sind. Es muss keine Stradivari sein. Da geht es eher um den Wert, um den Namen. Das Besondere an der Stradivari ist, dass Antonio Stradivari zu jener Zeit herausgefunden hat, wie die Geige am besten klingt. Viele Menschen waren in der Werkstatt und er hatte einfach die Zeit zu experimentieren oder experimentieren zu lassen. Diese Zeit, die haben wir so nicht. Es war einfach ein Phänomen dieser Zeit. Das Geheimnis gibt es nicht, wirklich nicht. Viele Faktoren haben wohl eine Rolle gespielt. Durch die Veränderungen in der Welt ändern sich auch die Ingredienzen für den Lack und für alle Bestandteile, die Harze der Bäume, … Wahrscheinlich war die Luft damals auch anders, ganz sicher sogar. Es gibt auch heute Geigenbauer, die genau so eine gute Stradivari bauen können.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, traditionelles Handwerk am Leben zu erhalten?
Anders geht es nicht. Es gibt keine Maschinen, die Geigen reparieren. Es gibt zwar Fabriken, die Instrumente herstellen, aber die können niemals das schöpfen oder kreieren, was ein Geigenbauer von Hand aus dem Instrument herausholen kann.
Wenn ich alte Geigen herrichte, was ich besonders gerne tue, geht es mir vor allem darum, dass ich das alte Kulturgut erhalte und weitergebe. Eine Geige ist im Gegensatz zur Gitarre so gebaut, dass man sie wieder öffnen kann. Es gibt kaum alte Gitarren, die einsatzfähig sind, aber Violinen schon.
Wenn ich so eine alte Geige in Händen halte, spüre ich etwas. Auch Respekt vor dem Meister, der sie gebaut hat, sei es auch nur vor 100 oder 150 Jahren. Auch das ist schon alt. Es muss nicht unbedingt immer eine Geige aus dem 16. Jahrhundert sein. Ich finde es großartig und faszinierend, dass man diese alten Geigen heute noch spielen kann und sie noch funktionieren.
Geigenbau ist ein Handwerk, das der Kunst, der Musik dient. Man sagt, Musik sei die höchste aller Künste. Wie sehen Sie das?
Musik funktioniert nonverbal und dennoch versteht sie jeder. Jeder mag Musik, jeder hat einen Rhythmus in sich. Der eine mag Klassik, der andere vielleicht Volksmusik oder Pop. Musik, die Bewegung, der Rhythmus ist in jedem von uns verankert. Man kann mit jedem und überall singen und musizieren. Es ist ein weltumspannendes Phänomen. Musik vermag eine Verbindung zwischen den Menschen zu schaffen, ohne dass man miteinander redet. Es braucht keiner Worte und dennoch berührt die Musik einen. Wenn etwas das Herz des Menschen berühren kann und direkt hineingeht, ist das schon eine hohe Kunst.
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