Alte Bekannte – Ein sommerliches Essay von Manfred von Pentz
Ich hab einen alten Bekannten, der ist etwa zwei Jahre älter als ich. Wir waren Nachbarn seit frühester Jugend. Als ich noch ein rostiges altes Fahrrad fuhr, sauste er schon auf einem glänzenden neuen Motorrad durch die Gegend. Als ich meinen ersten VW-Käfer bekam, zerbeult und mit völlig abgefahrenen Reifen, besass er längst einen rassigen englischen Sportwagen, der die Mädchen vor lauter Emotionen hintüber fallen liess. Als ich noch per Anhalter durch Europas letzte Ecken driftete und weit darüber hinaus, dabei in verflohten Jugendherbergen schlief oder auch nur unter Brücken, liess er sich schon in einem von Münchens elegantesten Vierteln nieder. Er verdiente seine erste Million lange vor mir. Er hat sie immer noch, ich aber nicht mehr.
Ich kann ihn nicht ausstehen.
Nicht, weil ich neidisch wäre. Das Leben mit all seinen unglaublichen Höhen und Tiefen hat mich insgesamt sehr wohlwollend behandelt. Ich mag ihn nicht, weil er das ist, was man gemeinhin als den perfekten Egoisten bezeichnet.
Ausgestattet mit guten Umgangsformen, weitgehendst wenn auch oberfläch informiert, insbesondere im Bereich der Bildenden Künste, strahlt er ein kosmopolitisches Flair aus, das sich nur dann verflüchtigt, wenn man ihn besser kennt.
Erst komme ich, sagte er mir einmal, ich und ich und ich, und dann erst kommen andere.
Dementsprechend hatte er niemals einen echten Freund, nie eine liebende Gattin, nie ein lächelndes Kindlein, nie einen treuen Hund, sondern nur Geschäftsbeziehungen sowie Gefährtinnen, die kamen und gingen wie die Jahreszeiten. Dies erwies sich natürlich als ein grandioser und nie endender Zeitvertreib, solange er in den besten Jahren war. Aber jetzt, da das Zwielicht des Lebens ihn langsam umfängt, tun es Einsamkeit und Freudlosigkeit auch.
Früher trafen wir uns vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr. Als ich in Italien eine eindrucksvolle Villa mit Blick auf den Gardasee besass, besuchte er mich auf seinem Weg zu den Thermen der Toskana. Während gelegentlichen Besuchen in München schlief ich in seinem grossartigen Penthouse und genoss dessen Opulenz. Meistens tranken wir mehr als gut für uns war, redeten nur Unsinn und trennten uns am übernächsten Tag, denn viel länger konnte ich ihn beim besten Willen nicht ertragen. Dann ging ich für ein paar Jahre nach Russland, heiratete eine Zauberin, verlor mein Geld dank Merkels Sanktionen mit einem Bauvorhaben und kehrte schliesslich arm aber glücklich nach vielen Jahren wieder in meine deutsche Heimat zurück. Eines Tages rief er an und wollte mich sehen.
Meine junge Gattin bereitete ein einfaches aber gesundes Abendessen zu, ich holte eine Flasche preiswerten Bio-Weins aus dem Keller, und dann kam er. Reichlich gealtert und wesentlich runder, schien er jedoch bei guter Laune zu sein und händigte mir umgehend seinen eigenen alkoholischen Beitrag aus. Ich nahm die Flasche dankend an, las das Etikett und muss ziemlich schockiert ausgesehen haben.
Nur wenige Male in meinem Leben war es mir vergönnt, in den Genuss eines Tropfens aus dem Hause dieses edelsten aller Schluckspechte zu gelangen. Es geschah etwa zum Anlass des Geburtstages meiner derzeitigen Flamme, ein traumhaft schönes Fotomodell, das mir allerdings bald darauf die sprichwörtlichen Hörner aufsetzte und so für eine Weile das arme Herz brach. Zu jenem Zeitpunkt jedoch befand sich unsere Liason noch auf dem Höhepunkt, und was den letzteren betraf, so mag gesagt sein, dass er sowohl nächtens als auch tagsüber erfreulich oft zum Zuge kam. Wir drifteten für drei Wochen durch Südfrankreich, hatten kein bestimmtes Ziel, und strandeten schliesslich in der Nähe von Limoges in einem Hotel de France, ein staatliches Unternehmen, das sich in diesem Fall recht abgelegen in einem wunderschönen kleinen Château etabliert hatte.
Die Preise waren redlich, das Ambiente elegant und das Essen vorzüglich, ganz zu schweigen von unserer lichtdurchfluteten Suite mit dem prachtvollen Louis XV Four-poster und seinem sternenbestickten Baldachin. Gleich am ersten Abend war mir auf der Weinkarte ein ganz besonderer Artikel ins Auge gefallen, nämlich eine Flasche Mouton Rothschild, sieben oder acht Jahre alt, zum Preise von umgerechnet etwa achthundert US Dollars.
Manchmal durchaus wohlhabend, ab und an aber auch nicht, hat sich meine Vorliebe für Extravaganzas in jedem Falle in Grenzen gehalten. Ein derartig teures Angebinde zu erwerben hätte mich schon damals einiges Nachdenken gekostet. Andererseits schien Frankreichs ländliche Glorie und die Umarmungen meiner Geliebten ein so sicherer Vorgeschmack auf das Himmlische Paradies, dass mich der Teufel ritt und ich beschloss, die edle Flasche zu ihrem Geburstag am nächsten Tag während des Abendmahls zu entkorken.
Das geschah dann auch, und es war eine unvergessliche Erfahrung. Ganz abgesehen von besagten masslosen Umarmungen, die einfach nicht enden wollten und auf ein dem Tropfen innewohnendes, wahrhaft potentes Aphrodisiakum schliessen liess, war es unsere mit fulminanten Geistesblitzen sprühende Euphorie, die das ganze Fest zu einer intellektuellen Apotheose erhob und erst dann endete, als wir spät am nächsten Morgen in einem mit anmutigen Träumen durchwobenen Schlaf versanken.
All dies kam mir in den Sinn, als ich völlig konsterniert auf das Geschenk starrte. Innerlich schon unwillig, es für eine solch profane Gelegenheit zu missbrauchen, las mein Bekannter scheinbar meine Gedanken und schlug mit uncharakteristischer Bescheidenheit vor, das grosse Geschenk doch für ein ganz besonderes Ereignis zu bewahren, Weihnachten vielleicht, und es nicht auf einen staubigen Reisenden wie ihn zu verschwenden. Dem nun stimmte ich allerfreudigst zu, trug den Schatz in den Keller und, um der überwältigenden Situation zumindest einigermassen gerecht zu werden, zog stattdessen unsere eigene allerbeste Flasche hervor, ein sublimer und sehr kostspieliger St. Emillion Superieur aus dem Jahre 2013.
Wir assen, tranken, redeten von alten Zeiten, er fuhr am nächsten Morgen davon und ein Monat verging. Dann stand ein anderer Besucher ins Haus, diesmal eine wichtige Persönlichkeit aus dem akademischen Orbit meiner Frau, nämlich ein ziemlich bedeutender Professor der Philosophie.
Beim Abendessen angelangt, öffnete ich die dazugehörige Flasche mit grosser Umsicht, hielt sie dabei auch so ins Licht, dass unserem vornehmen Gast das Etikett mit den Les Granges des Domaines de EDMOND DE ROTHSCHILD nicht entgehen konnte, und füllte die Gläser. Anstossend auf unsere gute Gesundheit tranken wir sodann, und ich hatte ein Gefühl, als ob mein Stuhl unter mir einknicken würde. Denn das grandiose Geschenk meines alten Bekannten schmeckte so flach und fade wie gepanschter Tafelwein aus dem Billigladen gleich um die Ecke. Ich muss wiederum ziemlich schockiert ausgesehen haben, und unser guter Professor rettete die Situation, indem darauf hinwies, dass 2011ein regnerisches Jahr gewesen sein könnte und deshalb katastrophal für eine ansonsten hervorragende Traube. Er selbst hatte einen wunderbaren Sancerre mitgebracht, und den tranken wir später mit viel Gelächter und allerlei Anekdoten, und so kam es, dass der Abend mit einer höchst freudvollen Note endete.
Schliesslich, und auch um das Wohlwollen des Lesers nicht über die Massen zu strapaziern, muss das letzte Kapitel dieser albernen Geschichte erzählt werden.
Normalerweise kaufen wir unsere Lebensmittel in einer grossen Bio-Genossenschaft in der nächsten Stadt, aber an diesem Tag war es mir zuviel der Mühe und ich ging stattdessen in den kleinen Supermarkt im Ort. Er hat einen rudimentären Stand mit Bio-Lebensmitteln, viel teurer als in unserer Genossenschaft, und nach dem Versammeln einiger Naturalien stand ich in der Schlange und wartete, bis es an mir war zu zahlen. In diesen Momenten geschah es, dass ich etwas bemerkte, was mich metaphorisch ausgedrückt sozusagen vom Hocker riss.
Geschrieben stand da auf einem grossen Stück Karton in dicken und ungelenken roten Buchstaben:
Tolles Angebot – franz. Rotwein!!
nur 8,99 die Flasche!!
Und darunter eine Kiste halb voll mit:
Ich muss einen ziemlich bösartigen Fluch durch zusammengebissene Zähne ausgestossen haben, denn die Kassiererin warf mir einen erschrockenen Blick zu und bewegte eine Hand in Richtung des Intercom-Schalters. Also grinste ich betreten, zahlte meine Siebensachen und ging. Auf dem Heimweg dachte ich, immer noch zähneknirschend, über ganz besonders ausgeklügelte Möglichkeiten der Rache nach. Doch als die Tage vergingen, beruhigte ich mich schliesslich und beschloss, meinen alten Bekannten ganz einfach für immer zu vergessen.
Was nun den Baron Edmond betraf, fragte ich mich vage, ob der es denn wirklich nötig hatte, sich auf diese Art zu desavouieren. Aber wie man so sagt, Kleinvieh bringt auch Mist, und vielleicht ist dies ja das wahre Geheimnis seines phänomenalen Reichtums.
Andererseits liess mich ein Gedanke nicht mehr los, dahingehend nämlich, ob er vielleicht irgendwo einen Krieg zuviel finanziert hatte, infolge dessen mit dem Taschengeld ins Schleudern geriet und sich dementsprechend gezwungen sah, seinen edlen Namen für irgendeinen déclassé Traubensaft herzugeben und derart kläglich an das hoi polloi zu verscherbeln.
Oder, schlimmer noch, ob er womöglich pleite gegangen war und niemand es bis jetzt bemerkt hatte.
Welch wundersame Idee…
Artikel von Manfred von Pentz auf Epoch Times:
https://www.epochtimes.de/tag/manfred-von-pentz
Die Webseiten von Manfred von Pentz:
http://der-deutsche-michel.net/
http://www.manfredvonpentz.net/
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