Wie verändert klassische Musik das Gehirn?
Ein bewegender Moment in einem Pflegeheim zeigt die außergewöhnliche Kraft der Musik: Eine ältere grauhaarige Dame, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Demenzstadiums kaum noch kommunizierte und Augenkontakt mied, zeigt eine unerwartete Reaktion, als die Violinistin Ayako Yonetani zu spielen beginnt.
Die sonst so regungslose Dame hebt überraschend den Kopf, ihre Augen leuchten auf und ihr Mund bewegt sich sanft, als würde sie der Musik folgen. Yonetani, anerkannte Konzertkünstlerin und Professorin für Violine und Viola an der University of Central Florida, hat ähnliche Reaktionen in ihrer Karriere schon häufiger beobachtet. Doch die Veränderung bei dieser Frau war für alle Anwesenden besonders erstaunlich.
Diese Episode ist nur ein Beispiel für den sogenannten Mozart-Effekt, der seit den 1990er-Jahren durch wissenschaftliche Studien untermauert wird. Eine in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie ergab, dass das Hören von Mozarts Sonate für zwei Klaviere in D-Dur mit einer signifikanten Steigerung des räumlichen IQ verbunden ist. Teilnehmer, die dieser Musik lauschten, erzielten um fast zehn Prozentpunkte bessere Ergebnisse im Vergleich zu Personen, die in Stille verharrten oder Entspannungsmusik hörten.
Seitdem haben Wissenschaftler in Studien gezeigt, dass sowohl das Hören klassischer Musik als auch das Erlernen eines Musikinstruments positive Effekte haben kann. Diese umfassen bessere Schulleistungen, verbesserte räumliche Denkfähigkeiten, ein geringeres Risiko für Hirnschwund und eine Verlangsamung der geistigen Degeneration.
Bestimmte Arten klassischer Musik können nicht nur die kognitiven Fähigkeiten verbessern, sondern werden auch zur Behandlung von Gehirnerkrankungen wie Epilepsie oder Parkinson eingesetzt.
„Der Mozart-Effekt ist ein klarer Beweis dafür, dass man mit Musik die Gehirnfunktion und -anomalien beeinflussen kann“, erklärt Dr. Michael Trimble, emeritierter Professor für Neurologie und Neuropsychiatrie am University College London. Manchmal ist Epilepsie mit Medikamenten schwer zu kontrollieren, und durch den gezielten Einsatz ausgewählter und bearbeiteter klassischer Musik zur „Schulung“ des Gehirns von Epilepsiepatienten können deren Gehirnwellen und EEG-Anomalien normalisiert werden.
Eine Studie aus dem Jahr 2022 weist darauf hin, dass bis heute die Stücke KV448 und KV545 von Mozart die einzigen Musikstücke sind, deren antiepileptische Wirkung durch wiederholte Experimente bestätigt wurde. Die Studie zitierte auch Daten aus einer Metaanalyse von 2020, nach denen „etwa 84 Prozent der Teilnehmer in den überprüften Studien signifikante Verringerungen der epileptischen Gehirnaktivität beim Hören von Mozarts KV448 zeigten“.
Was dem Gehirn gefällt
Aus neurologischer Sicht besteht der wesentliche Unterschied zwischen klassischer Musik und Popmusik in ihrer „Komplexität und Struktur“, erläutert Clara James, die einen Doktortitel in Neurowissenschaften besitzt und als Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Künste sowie als Privatdozentin an der Universität Genf tätig ist. Bevor sie das 32. Lebensjahr erreichte, war James professionelle Violinistin.
Klassische Musik aus der Zeit von etwa 1600 bis 1900 folgt strengen strukturellen und harmonischen Regeln. Selbst Laien können ein gewisses Problem in der Struktur bemerken, wenn einem Musiker während der Aufführung ein Fehler unterläuft, so James.
Im Gegensatz dazu folgen andere Musikformen diesen strukturellen Vorgaben oft nicht so streng.
Das menschliche Gehirn „schätzt musikalische Regeln“, so Dr. Trimble. „Es gibt bestimmte Klänge in der Musik, die zutiefst mit unserem Nervensystem und dessen Fähigkeit, durch Musik emotional berührt zu werden, verbunden sind.“ Er hob hervor, dass Musik natürliche Regeln und eine mathematische Logik beinhaltet, besonders die klassische Musik, bei der die Verbindung zur Mathematik stark ausgeprägt ist. Deshalb wird sie vom Gehirn durchgängig erkannt und verstanden.
„Klassische Musik und Popmusik unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht“, fährt er fort. Popmusik zeichnet sich durch ständige Wiederholungen derselben musikalischen Sequenzen aus, die oft vage und banale Informationen vermitteln, ohne die feinen Entwicklungen und Variationen, die sich im Verlauf der klassischen Musik zeigen.
Gehirnschrumpfung entgegenwirken
Mit fortschreitendem Alter kommt es zu einer allmählichen Schrumpfung des menschlichen Gehirns, die mit einem Verlust von Neuronen einhergeht. Eine Studie hat jedoch gezeigt, dass bei Orchestermusikern bestimmte Gehirnregionen nicht schrumpfen, sondern im Gegenteil sogar an Volumen gewinnen können.
Diese Ergebnisse wurden durch Untersuchungen mittels Magnetresonanztomografie unter der Leitung von Dr. Kiminobu Sugaya bestätigt. Dr. Sugaya ist Doktor der Pharmakologie und Medizinprofessor an der University of Central Florida sowie Leiter der Neurowissenschaften an der Burnett School of Biomedical Sciences.
Das Gehirn setzt sich aus grauer und weißer Substanz zusammen. Die graue Substanz besteht aus Neuronen und zeigt nachweislich eine Volumenzunahme bei musikalischen Aktivitäten. James erklärt, dass diese Zunahme nicht auf eine Vermehrung der Neuronen zurückzuführen ist, sondern auf die Stärkung der Verbindungen zwischen ihnen. Die weiße Substanz hingegen umfasst die kurzen oder langen Axone der Neuronen, die ähnlich einem Straßennetz zwischen Städten als Kommunikationsnetzwerk des Gehirns fungieren. Musikhören fördert den Ausbau dieses Netzwerks.
Darüber hinaus wird der Hippocampus – eine tief im Gehirn gelegene Struktur – aktiviert, wenn Menschen konzentriert Musik lauschen, so James. Der Hippocampus ist entscheidend für kognitive Funktionen, Gedächtnis und Emotionen.
Musik bewegt
Internationale Umfragen haben ergeben, dass über 80 Prozent der Menschen beim Hören von Musik so berührt sind, dass sie weinen, während nur 18 Prozent beim Betrachten von Skulpturen und 25 Prozent beim Betrachten von Gemälden Tränen vergießen. „Musik bewegt uns“, stellt Dr. Trimble fest.
Klassische Musik kann effektiver als andere Musikarten Stress und Angst reduzieren, da sie typischerweise Momente der Entspannung und Ruhe beinhaltet. „Jedes Stück enthält langsame Passagen, die Ihnen helfen, sich zu entspannen“, sagt James. In bestimmten therapeutischen Umgebungen wie Krankenhäusern, besonders auf Intensivstationen, werden oft die Werke von Mozart, Bach und einigen italienischen klassischen Komponisten bevorzugt. Mit Abstand weisen diese Kompositionen eine stressmindernde und schmerzlindernde Wirkung auf.
Jonathan Liu, Arzt für traditionelle chinesische Medizin (TCM) und Akupunkteur aus Kanada, erzählte der Epoch Times, dass klassische Musik im Laufe der Geschichte eine bedeutende Rolle bei der Heilung gespielt hat. Sie kann auch ein Gefühl der Heiligkeit hervorrufen und zu Dankbarkeit und Ehrfurcht anregen.
Hinter diesen ausgelösten Emotionen steht eine Reihe von Substanzen, die im Gehirn produziert werden.
Musik fördert die Ausschüttung von Endorphinen, Enkephalinen, Dopamin und Serotonin im Gehirn. Jeder dieser Stoffe hat unterschiedliche biologische Wirkungen. Es kann Vergnügen und Entspannung auslösen oder auch körperliches Unbehagen lindern und den Schlaf fördern.
Im Gegensatz zu den angst- und depressionsreduzierenden Wirkungen der klassischen Musik führen moderne Rockmusikgenres zu übermäßiger Aufregung und Melancholie. Bestimmte moderne Genres der New-Age-Musik können ebenfalls negative Auswirkungen auf die Emotionen haben.
In einer älteren Studie hörten 144 Teilnehmer verschiedener Altersgruppen 15 Minuten lang verschiedene Musikrichtungen und füllten vor und nach dem Hören denselben Fragebogen aus. Die Ergebnisse zeigten, dass klassische Musik die Gefühle von Anspannung signifikant reduzierte.
Im Gegensatz dazu reduzierte New-Age-Musik zwar ebenso die Gefühle von Anspannung und Feindseligkeit, verringerte jedoch auch die geistige Klarheit und Vitalität der Menschen. Rockmusik steigerte nicht nur signifikant die Gefühle von Feindseligkeit, Müdigkeit, Traurigkeit und Anspannung, sondern verringerte ebenfalls die geistige Klarheit und Vitalität der Menschen sowie das Gefühl von Fürsorglichkeit und Entspannung.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Classical Music Alters the Brain–Here’s How“. (deutsche Bearbeitung kr)
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