Popcorn-Brain: Dauerfeuer im Gehirn durch Smartphone & Co.
Eigentlich ist Maria mitten in einer Büropräsentation, als ihr plötzlich einfällt, dass sie am Morgen ihre Katze nicht gefüttert hat. Schnell greift sie zum Smartphone, um ihrer Mitbewohnerin eine kurze SMS zu schicken. Doch in diesem Moment ploppt eine Benachrichtigung auf. Ihre Lieblingskosmetikfirma macht einen Sonderverkauf.
Ehe sich Maria versieht, stöbert sie den Warenbestand durch, klickt hier und dort, bis sie etliche Artikel im Warenkorb verstaut hat und den Kaufprozess abschließt. Die Katze ist vergessen – ebenso das Büromeeting. Das ist ein klassischer Fall von „Popcorn-Brain“.
Der Begriff „Popcorn-Brain“ geht zurück auf David Levy, einen Forscher der Universität Washington. Nach seiner Theorie kann der ständige Konsum digitaler Informationen dazu führen, dass sich das Gehirn so sehr daran gewöhnt, dass das langsamere Leben im Offline-Modus keine Rolle mehr spielt. Stattdessen springen Gedanken umher wie erhitzte Maiskörner in einer Popcornmaschine.
Facebook, X, TikTok, Instagram, WhatsApp – die tägliche Informationsflut kennt keine Grenzen. Lustige Videos, amüsante Selfies, neuester Klatsch und Tratsch. Nonstop ploppen neue Nachrichten und Eindrücke in den sozialen Medien auf. Das wirkt sich alles aufs Gehirn aus, sodass sich mit der Zeit ein Suchtverhalten entwickelt. Wer hat mir eine Mail geschickt? Was erwartet mich hinter dem nächsten Mausklick? All das sind Fragen, die dringend beantwortet werden müssen; das Gehirn duldet keinen Aufschub.
Betroffenen fällt es durch die ständige Ablenkung oft schwer, sich über längere Zeit auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren. Zwar meint man, mehrere Dinge gleichzeitig erledigen zu können, doch in Wahrheit sinkt die Produktivität und die Fehlerquote steigt. Ebenso stellen komplizierte emotionale Situationen für sie eine Herausforderung dar – alles in allem leiden die Lebensqualität und die Beziehungen.
47 Sekunden Aufmerksamkeit
Die Psychologin Gloria Mark von der University of California hat im Rahmen einer Studie über zwei Jahrzehnte herausgefunden, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen von durchschnittlich 2,5 Minuten im Jahr 2004 auf 75 Sekunden im Jahr 2012 halbiert hat. In den vergangenen fünf bis sechs Jahren sank die Aufmerksamkeitsspanne weiter auf durchschnittlich 47 Sekunden.
Je schneller die Aufmerksamkeit wechselt, desto mehr Stress empfindet ein Mensch. „Wir wissen aus jahrzehntelanger Forschung im Labor, dass Menschen beim Multitasking Stress erleben und der Blutdruck steigt“, erklärt die Psychologin. Vor allem während der Arbeit kann dies immense Auswirkungen haben. Wenn man ständig bei der Arbeit unterbrochen wird und andere Dinge tut, benötigt man später wieder Zeit, um den Anschluss herzustellen. Mark spricht hier von Wechselkosten, die im Laufe des Tages immer dann entstehen, wenn man seine Aufmerksamkeit wechselt – „sehr wertvolle mentale Ressourcen“, die zusätzlich Arbeit bedeuten.
Natürlich sei es wichtig, während der Arbeit auch Pausen einzulegen und Energie zu tanken. „Das Problem ist, dass die Menschen es in unserer heutigen Welt in vielen Arbeitsumgebungen versäumen, sinnvolle Pausen einzulegen“, so Mark. Dadurch leide auch die Arbeitsleistung. Zwar könnte man stellenweise mit Software-Blockern Abhilfe schaffen, aber letztlich sei es viel wichtiger, dass die Menschen ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln, um ihre Aufmerksamkeit zu kontrollieren – das gilt auch für Kinder.
Gefangen im digitalen Bann
Zu diesen wichtigen Fähigkeiten gehört ebenso eine gesunde Selbstwahrnehmung. In Zeiten vor Smartphones orientierten sich Menschen vorwiegend an zwei Dingen: Wie sie sich selbst einschätzen und wie andere sie einschätzen. Im Laufe der Zeit kam ein weiterer Aspekt hinzu: Wie die Algorithmen der sozialen Medien sie einschätzen.
Eine unabhängige Studie zeigt, dass Jugendliche Algorithmen und Likes mitunter mehr Beachtung schenken als Menschen aus Fleisch und Blut – einschließlich sich selbst. Laut Nora McDonald, IT-Professorin und beteiligte Studienautorin, geht dies so weit, dass Jugendliche unerwünschte Beiträge lieber ausblenden, als sich zu fragen, wieso die von ihnen so hochgeschätzten Algorithmen diese Themen für sie ausgesucht haben.
Mit anderen Worten, sie leben in einer digitalen Pippi-Langstrumpf-Welt und haben den Bezug zur Realität verloren. Bezeichnend ist dabei, dass eine derartige Auseinandersetzung ein Innehalten und die Konzentration auf eine Sache erfordern. Die digitale Welt nimmt dabei die unrühmliche Rolle ein, nicht nur ein Problem zu erschaffen, sondern dessen Lösung so unangenehm wie möglich zu machen.
Weniger Bildschirmzeit auch für Kinder
Kinder, die erst zwei bis vier Jahre alt sind, verbringen laut Gloria Mark bereits durchschnittlich zweieinhalb Stunden am Bildschirm. Im Alter von fünf bis acht sind es schon drei Stunden. Die meiste Zeit über werde ferngesehen oder YouTube-Videos angeschaut, aber auch Spiele am Bildschirm gespielt.
Aus vielen Laborstudien sei bekannt, dass sehr junge Kinder viel anfälliger für Ablenkung sind als ältere. „Ich mache mir Sorgen, dass kleine Kinder, wenn sie so viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, daran gewöhnt werden“, so Mark – das bezieht sich auch auf Online-Lernen, das von immer mehr Schulen angeboten wird.
Kinder müssten die Fähigkeit erwerben, um nach Informationen zu suchen, mathematische Probleme zu lösen, zu lesen und zu schreiben, ohne abgelenkt zu werden. „Ich empfinde es problematisch, dass wir Kinder in eine digitale Welt versetzen, bevor einige sehr kritische mentale Funktionen vollständig entwickelt sind.“
Das Beste, was man für Kinder tun könne, seien Aktivitäten fernab des Bildschirms. Egal, ob sie draußen spielen oder Bücher lesen, das bietet hervorragende Möglichkeiten, Kinder dazu zu bringen, sich zu konzentrieren.
Erwachsene hingegen sollten dafür sorgen, „ihren Tank an mentalen Ressourcen auf hohem Niveau zu halten“. Eines der besten Dinge sei, wirklich gut zu schlafen. Denn je größer das Schlafdefizit, desto kürzer die Aufmerksamkeitsspanne.
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