Opioid-Report: Ärzte greifen zu schnell nach starken Schmerzmitteln
Im Oktober veröffentliche der Verband der Ersatzkassen in Kooperation mit der hkk-Krankenkasse den Opioid-Report 2022. Darin wird der Frage nachgegangen, wie oft starke Schmerzmittel mit Suchtpotenzial, auch Opioide genannt, in Deutschland verordnet werden. Nur in schwerwiegenden Fällen wie beispielsweise bei Krebserkrankungen sollen sie am Patienten zum Einsatz kommen. Der Report brachte jedoch ans Licht, dass Ärzte diese Medikamente überwiegend Patienten mit Rückenbeschwerden und Arthrose verordnen. Über die damit einhergehende Suchtgefahr sind sich viele Mediziner nicht im Klaren.
Spitzenreiter unter den verordneten Opioiden ist Fentanyl, wie aus dem Report hervorgeht. Fentanyl ist ein narkotisierendes Analgetikum mit mindestens 80-mal höherer Wirkstärke als Morphin (Morphium), der natürlicherweise im Schlafmohn vorkommt. Den ärztlichen Richtlinien zufolge sollen starke Opioide erst dann verabreicht werden, wenn alle anderen therapeutischen Optionen erfolglos waren.
„Aber ob diese Optionen ausgeschöpft werden, ist fraglich. Der Griff zu Schmerzmitteln erscheint vielen als einfachster und günstigster Weg“, so Lutz Muth, Apotheker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Er präsentierte die Studie, die unter der Leitung des inzwischen verstorbenen Arzneimittelexperten Professor Dr. Gerd Glaeske erstellt worden war.
Erst im Februar 2022 warnte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, dass die wiederholte Anwendung von Fentanyl Suchtpotenzial hat. Benannt wurden Nasensprays (z. B. Instanyl®), Sublingual- (z. B. Abstral®), Lutsch- (z. B. Actiq®) oder Buccaltabletten (z. B. Effentora®). Eine missbräuchliche oder absichtliche Falschanwendung könne zur Überdosierung führen und sogar mit dem Tod enden. So starb in der Vergangenheit ein 28-Jähriger, der das Fentanyl-Nasenspray seiner Freundin mit einem Schnupfenspray verwechselt hatte.
Sucht vorprogrammiert
Die Auswertung der Daten der hkk-Krankenkasse mit mehr als 880.000 Versicherten zeigt, dass die Anzahl der 2020 von Ärzten verordneten definierten Tagesdosen im Vergleich zum Vorjahr um 6,6 Prozent angestiegen sind, obwohl die Anzahl der betroffenen Patienten nahezu unverändert war. „Langfristig kann das alle teuer zu stehen kommen und unkontrolliert zu einer Medikamenten-Abhängigkeit der Patienten führen“, betonte Muth.
Er kritisierte, dass starke Opioide, die vor allem bei starken Schmerzen infolge von Krebserkrankungen oder in Hospizen verabreicht werden sollen, bei 81 Prozent der Frauen und 78 Prozent der Männer verordnet wurden, ohne dass eine Krebserkrankung codiert wurde. Am häufigsten fanden sich darunter Patienten mit Rückenschmerzen und Arthrose, die größtenteils (87 Prozent) von Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten ihr Rezept bekommen hatten.
„Auch wenn in Deutschland keine Zustände wie in den USA herrschen, wo der Opioid-Missbrauch seit Ende der 1990er-Jahre eine Krise mit mehreren Hunderttausend Todesopfern ausgelöst hat, ist die Suchtgefahr von Opioiden auch hierzulande ein Thema“, erläutert Dr. Cornelius Erbe, Bereichsleiter Versorgung bei der hkk-Krankenkasse. Vor allem für 30- bis 40-jährige Patienten sei die Verordnung von Opioiden ein Problem. „Aus anderen Studien wissen wir, dass dies zu mehr stationären Suchtbehandlungen geführt hat.“
Unwissenheit der Ärzte
Laut Opioid-Report sind sich viele Ärzte der Suchtgefahr der verordneten Medikamente nicht bewusst. 81,9 Prozent der befragten Ärzte gaben an, regelmäßig Opioide zu verordnen, aber nur 12,4 Prozent konnten die richtigen Indikationen auf der Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz benennen. Die Wissenschaftler stellten während der Erhebung der Studie fest, dass viele Ärzte die Opioide verordnen, obwohl die Leitlinien eindeutig davon abraten.
Neben der schmerzstillenden Wirkung rufen Fentanyle generell Benommenheit und Euphorie hervor, Letztere ist jedoch nicht so ausgeprägt wie nach der Einnahme von Heroin oder Morphin, heißt es von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht.
Die häufigsten Nebenwirkungen von Fentanyl seien Übelkeit, Schwindel, Brechreiz/Erbrechen, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Verstopfung, Anämie und peripheres Ödem. Bei wiederholter Anwendung bestehe zudem die Gefahr einer Abhängigkeit. Setzt man das Medikament ab, könne es zu Entzugserscheinungen wie Schwitzen, Angststörungen, Durchfall, Knochenschmerzen, Bauchkrämpfen, Zittern oder Gänsehaut kommen.
Die richtige Entsorgung beugt Missbrauch vor
Drogenabhängige nutzen den Wirkstoff Fentanyl als Ersatz für Heroin und sonstige Opioide. Sie beschaffen sich diese verschreibungspflichtigen Schmerzmittel illegal im Darknet oder durchsuchen laut Experten sogar Mülleimer von Pflegeheimen, um benutzte Fentanyl-Pflaster zu kauen oder auszukochen, um den Wirkstoff zu gewinnen. „Schwarze Schafe unter den Pflegediensten sollen noch wirksame Pflaster bewusst nach kurzer Zeit Patienten abreißen wegen des Fentanyls und veräußern oder sogar neue Pflaster verschwinden lassen“, heißt es in einem Bericht der Pharmazeutischen Zeitung. Ein anderer Weg sei „Ärztehopping“: Drogenabhängige ziehen von Arzt zu Arzt, um das gewünschte Rezept zu bekommen.
Für eine fachgerechte Entsorgung gelten besondere Richtlinien. Fentanyl-Pflaster enthalten, wenn sie 72 Stunden nach Anwendung zu wechseln sind, noch etwa 70 Prozent ihres Wirkstoffs. Bei ihrer Entsorgung werden die Innenflächen zunächst gegeneinander geklebt, damit die wirkstoffhaltigen Flächen nicht mehr berührt werden können. Vor der Entsorgung im Restabfall soll das Schmerzpflaster in neutrales Papier, beispielsweise Zeitungspapier, eingewickelt werden. Alternativ können Pflaster auch in Spritzenabwurfbehältern gesammelt werden. Während kleine Einrichtungen wie Pflegedienste ihren Abfall bei einer geeigneten Sammelstelle abgeben, lassen größere Einrichtungen wie Krankenhäuser ihre Behälter von zertifizierten Entsorgungsunternehmen für medizinische Abfälle abholen.
Die Autoren des Opioid-Reports sehen die Ärzte in der Pflicht, dass sie ihre Patienten verstärkt über die Suchtgefahr von Opioiden aufklären. Ihnen müssten zudem Behandlungsalternativen wie multimodale Schmerztherapie aufgezeigt werden – ein Ansatz, bei dem es auch um sportliche Betätigung im Alltag, Bewegungsängste und körperliche Schwächen geht.
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