Mehr als nur ein kurioses Phänomen: Wie außerkörperliche Erfahrungen die Empathie fördern

Außerkörperliche Erfahrungen verändern die Person, die sie erlebt. Sie wird weniger Ich-bezogen und schätzt die Beziehungen zu anderen Menschen viel mehr. Einige Forscher wollen diese Erfahrungen nützen, um Empathie zu fördern.
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Viele Personen, die eine außerkörperliche Erfahrung gemacht haben, bezeichneten sie als das wichtigste Ereignis in ihrem Leben, heißt es in einer Studie.Foto: sezer66/iStock
Von 21. Juli 2024

Wie ist die Vorstellung, außerhalb des eigenen Körpers zu schweben und sich selbst von oben zu sehen? Dieses surreale Erlebnis, das als außerkörperliche Erfahrung (AKE) bekannt ist, könnte mehr als nur ein kurioses Phänomen sein.

Neuen Forschungsergebnissen zufolge könnte dieses außergewöhnliche Ereignis dafür sorgen, dass Menschen mehr Empathie entwickeln. Indem eine AKE unser Selbstempfinden verändert, kann sie auch unsere Weltsicht umgestalten und uns ermöglichen, uns wirklich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen.

Die transformative Wirkung von außerkörperlichen Erfahrungen

AKE treten spontan während des Schlafs, bei Nahtoderfahrungen oder durch induzierte Methoden wie Hypnose oder bewusstseinserweiternde Drogen auf. Laut einigen Forschungsergebnissen erleben etwa 15 Prozent der Menschen außerkörperliche Erfahrungen. Das stellt die Vorstellung infrage, dass der Geist im Körper eingesperrt sei.

Jüngste Studien deuten darauf hin, dass Menschen, die eine außerkörperliche Erfahrung durchmachen, sich langfristig verändern. So können sie sich besser in die Lage anderer versetzen, zudem haben sie mehr Geduld und Mitgefühl. Die Folgen ähneln der Wirkung von Meditation.

In einer neuen Übersichtsarbeit bezeichnen die Forscher die psychologischen und neurologischen Grundlagen von außerkörperlichen Erfahrungen als „Samen“. Sie können sich unter bestimmten Bedingungen zu transformativen Ereignissen entwickeln. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift „Neuroscience and Biobehavioral Reviews“.

„Wir schlagen psychologische und neurowissenschaftliche Mechanismen vor, um zu erklären, wie eine außerkörperliche Erfahrung zu mehr Empathie führen kann“, meinte die Hauptautorin der Studie, Marina Weiler, gegenüber Epoch Times. Sie ist Assistenzprofessorin für Psychiatrie an der University of Virginia und promovierte Neurologin.

Das Ego auflösen

Im Mittelpunkt einer AKE steht die Auflösung des Ichs – ein Zustand, in dem man sich von seiner Identität des eigenen Selbst löst. Historisch in spirituellen Praktiken verwurzelt, beschreiben Menschen nach einer AKE die Ego-Auflösung als Wahrnehmung von Grenzenlosigkeit oder das Erwachen aus einer „egoistischen Version“ ihrer selbst. Der Forschung nach korreliert die Intensität der außerkörperlichen Erfahrung mit dem Grad der Ich-Auflösung.

„Wenn eine Person nicht mit ihrem physischen Körper verbunden ist“, so Weiler, „kann sie sich mit anderen Dingen, anderen Menschen, anderen Umständen oder allem, was sie umgibt, verbunden fühlen.“ Dies geschehe, weil unsere Selbstidentität oder unser Ego zum Teil an unseren physischen Körper gebunden seien, von dem aus wir die Welt normalerweise betrachten, fügte sie hinzu.

Beispielsweise ist Empathie sehr wichtig, um andere Menschen zu verstehen. Sie setzt voraus, dass man sein Ego abstreift und Sachen aus einer anderen Perspektive betrachtet. Weiler betonte, dass es sehr wichtig sei, einen Sinn aus der außenkörperlichen Erfahrung zu ziehen; erst dann könne sie eine transformative Wirkung entfalten. Die Neurologin beschreibt dies als einen zweistufigen Prozess: Ego-Auflösung, gefolgt von einer Neubewertung der eigenen Person und der Realität.

Wie Weiler feststellte, haben Personen, die ihre AKE emotional verarbeiten und darüber sprechen, oft weniger Selbstzweifel und Ängste.

Ferner wird ihr Denken weniger egozentrisch und fokussiert sich mehr auf andere. Dies erweitere die Weltsicht des Einzelnen und fördere ein tieferes Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen.

Wie AKE unser Gehirn umprogrammieren können

Die Neurowissenschaft bietet Einblicke in die Gehirnmechanismen, die der Empathie und ihrer Veränderung durch AKE zugrunde liegen. Laut dem Neurowissenschaftler und Neurologen Dr. Olaf Blanke können außerkörperliche Erfahrungen durch eine vorübergehende Veränderung der Hirnaktivität durch elektrische Stimulation von Hirnregionen ausgelöst werden, die mit der körperlichen Selbstwahrnehmung, dem Selbstbild und der Empathie verbunden sind. Blanke ist Professor für Neurowissenschaften an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne und Professor in der Abteilung für klinische Neurowissenschaften am Universitätsspital Genf in der Schweiz.

In seinen Studien zeigte er, wie wechselnde Bewusstseinszustände die Empathie beeinflussen können. Die Unterbrechungen der Gehirnaktivitäten während außerkörperlicher Erfahrungen können die Selbstwahrnehmung verändern und so gemeinsame Erfahrungen und empathische Reaktionen verstärken.

Weiler und ihre Kollegen weisen in ihrer Übersichtsarbeit darauf hin, dass ihr Fazit in erster Linie auf persönlichen Berichten beruht. Denn es gebe keine Studien, die den Zusammenhang zwischen außerkörperlichen Erfahrungen, der Ich-Auflösung und Einheitsgefühlen direkt belegen. Auch andere Erfahrungen, wie beispielsweise Ehrfurcht, könnten Empathie fördern, ohne die für AKE typische körperlose Empfindung.

Mit AKE sein Potenzial entfalten

Außerkörperliche Erfahrungen zogen in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich. Das ist vor allem ihrem Potenzial zu verdanken, persönliches Wachstum und spirituelle Transformation zu fördern.

Laut dem Beitrag in „Neuroscience and Biobehavioral Reviews“ fand eine Studie aus den 1980er-Jahren heraus, dass AKE bei 55 Prozent der 386 Teilnehmer tiefgreifende Auswirkungen hatten, wobei 71 Prozent von langfristigen Vorteilen berichteten. Außerdem äußerten 84 Prozent den Wunsch, eine AKE noch einmal zu erleben, und 40 Prozent bezeichneten sie als das wichtigste Ereignis in ihrem Leben.

Was die therapeutischen Anwendungen von AKE anbelangt, so werden sie noch erforscht. Allerdings identifizieren Forscher in einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift „Psychology of Consciousness“ bereits acht Kernthemen, denen sich Menschen nach einer AKE häufig widmen und die jeweils auf Möglichkeiten zur Verbesserung des Wohlbefindens hinweisen.

Die Forscher betonten, dass außerkörperliche Erfahrungen als Katalysator für

  • Motivation,
  • Abbau der Angst vor dem Tod,
  • Förderung des inneren Friedens,
  • Veränderung der Lebensperspektiven,
  • Steigerung des Selbstbewusstseins,
  • Neudefinierung von Beziehungen,
  • Stärkung des spirituellen Glaubens

dienen können.

Die derzeitige Forschung bringt außerkörperliche Erfahrungen selbst nicht mit ernsthaften Gesundheitsrisiken in Verbindung. Sie können jedoch manchmal zu Verwirrungen bezüglich der Erfahrung führen und Bedenken bezüglich neurologischer oder psychischer Probleme wecken. Auch stehen bestimmte Krankheiten mit AKE in Verbindung, darunter Epilepsie, Hirnverletzungen und dissoziative Störungen wie die Depersonalisations-/Derealisationsstörung (die Umwelt und das eigene Selbst werden als fremd wahrgenommen).

Weiler zufolge wollen die Forscher außerkörperliche Erfahrungen nicht lediglich als außergewöhnliche Erlebnisse behandeln. Die Forschung wird mit dem Ziel vorangetrieben, außerkörperliche Erfahrungen als Mittel zur Förderung von Empathie und Mitgefühl zu nutzen.

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „How Out-of-Body Experiences May Enhance Empathy by Altering Our Sense of Self“. (redaktionelle Bearbeitung as)



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