Würdevolles Sterben: Wenn die Technik am Lebensende zum Problem wird

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Ein tragbarer Defibrillator der Fa Philips für Notfälle im Haus oder in der Praxis, der bei Kammerflimmern eingesetzt wird. Implantierbare Modelle sind entsprechend winzig.Foto: Philips Electronics/Getty Images
Epoch Times9. April 2015

Mannheim, Donnerstag, 9. April 2015 – „Implantierbare Defibrillatoren (ICDs) leisten in der Kardiologie sehr wertvolle Dienste, sie verhindern bei Hochrisiko-Patienten den plötzlichen Herztod. Das ist ein enormer Fortschritt und ermöglicht vielen herzkranken Menschen ein weitgehend normales Leben. Allerdings gibt es bei zunehmendem Alter des Patienten und fortschreitender Krankheit einen Punkt, an dem diese automatische Wiederbelebung mehr schadet als sie nützt“, so Prof. Dr. Georg Ertl (Würzburg) auf der 81. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, bei der vom 8. bis 11. April in Mannheim 8.500 aktive Teilnehmer aus 25 Ländern zusammentreffen.

Wer jemals gemeinsam mit einem oder für einen erkrankten Angehörigen vor der Entscheidung stand, ob  ein Herzschrittmacher oder implantierbarer Defibrillator (ICD) eingepflanzt werden sollte, der das gefürchtete Herzflimmern und den plötzlichen Herztod verhindern kann, der kennt auch das betretene Schweigen der Ärzte. Selbst befreundete Ärzte schweigen, wenn sie darauf angesprochen werden, was denn in Todesnähe zu tun sei, „das Ding“ könnte sich ja wohl nicht alleine abschalten. Bei der Tagung in Mannheim werden diese Fragen endlich öffentlich gestellt.

Am Lebensende ist der Defibrillator kontraproduktiv

Die immer besseren Möglichkeiten der Medizintechnik können sich am Lebensende gegen den Menschen wenden. Zum Beispiel dann, wenn implantierbare Devices verhindern, dass das Herz eines Sterbenden aufhören kann zu schlagen. Dieses Problem beschäftigt die Arbeitsgruppe „Ethik in der Kardiologie“ der DGK.
Denn das Kammerflimmern, also sehr schnelle, chaotische Bewegungen der linken Herzkammer, ist Teil des natürlichen Sterbens – unabhängig davon, an welcher Krankheit der Mensch stirbt. Das Herz wird durch den ICD mit elektrischen Schocks immer wieder in den normalen Rhythmus gebracht – unabhängig vom Gesamtzustand des Patienten. Das ist am Lebensende völlig kontraproduktiv.

Prof. Ertl: „Ein friedliches Sterben ist so lange nicht möglich, bis der ICD deaktiviert wird oder die Batterie leer ist. Doch das Deaktivieren eines ICD ist nicht so einfach. Denn ein Abschalten eines potentiell lebenserhaltenden Geräts ist zumindest passive Sterbehilfe. In manchen Fällen, nämlich wenn der ICD zugleich auch als Herzschrittmacher agiert, handelt es sich um aktive Sterbehilfe – und ist somit verboten. Das alles wirft massive ethische Probleme auf.“

ICD-Träger sollten eine Patientenverfügung treffen

Menschen, die einen ICD bekommen, sollte man – so sehen es die internationalen Leitlinien zu diesem Thema vor – unbedingt empfehlen, eine Patientenverfügung zu treffen, die den Ärzten am Sterbebett erlaubt, das Gerät abzuschalten. Das geschieht allerdings viel zu selten. „Das hat mehrere Gründe, wie eine Auswertung internationaler Umfragen zu diesem Thema zeigt“, berichtet Dr. Maike Bestehorn (Ebenhausen), die für die DGK verschiedene Untersuchungen zum Thema ausgewertet hat. „Einerseits wird das Problem von den behandelnden Kardiologen, die nur den lebensrettenden Aspekt des ICD sehen, nicht angesprochen.

Miteinander über den Tod reden fällt schwer

Andererseits zeigt die Erfahrung aber auch, dass viele Patienten darüber nicht sprechen wollen. Die meisten bekommen den ICD ja, weil sie gerade noch einen Herzstillstand überlebt haben. Das ist traumatisierend und viele Betroffene verweigern das Thema Tod. Das ist eine sehr schwierige Situation und es sind dabei noch die richtigen Kommunikationsstrategien zu finden.“ Ärzte fühlen sich aus juristischen und medizinischen Gründen unwohl, ICDs zu deaktivieren und sind auch auf die entsprechenden Gespräche nicht gut vorbereitet.

„Es ist aber allen Beteiligten zu empfehlen, sich möglichst früh um eine Patientenverfügung zu kümmern, was mit dem ICD am Lebensende passieren soll. Das betrifft nicht zuletzt die Betreuung im Hospiz“, so Prof. Ertl. „Dort sollte man ICD-Patienten identifizieren und mit ihnen das Gespräch suchen. Am besten wäre es, wenn das schon viel früher, idealerweise vor der Implantation, geschieht. Kontrollen des ICD und Servicetermine könnten als Gelegenheiten genützt werden, dieses Gespräch nachzuholen.“

Mit der Frage der ICD-Deaktivierung am Lebensende beschäftigt sich die interdisziplinäre DGK-Projektgruppe „Ethik in der Kardiologie” unter der Leitung von Prof. Dr. Johannes Waltenberger (Münster). Ziel der Gruppe ist die Thematisierung relevanter ethischer Herausforderungen. Es sollen Standpunkte generiert, Empfehlungen erarbeitet und diese breit kommuniziert werden. Prof. Waltenberger: „Dabei legen wir besonders großen Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit beispielsweise mit Philosophen, Juristen und Moraltheologen. Auch Palliativmediziner, Psychiater und Vertreter von Patientenorganisationen sind aktive Mitglieder dieser Projektgruppe.“ (rls/idw)

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V.



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