Kritisch denken? Nur noch mit Google

Kinder greifen bei einfachen Fragen direkt zum Smartphone – ein Phänomen, das immer häufiger zu beobachten ist. Doch was passiert mit unserem Denken, wenn wir zunehmend der Technik die Arbeit überlassen? Die Auswirkungen könnten weitreichender sein, als es auf den ersten Blick scheint.
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Wenn das Handy alles weiß: Verlernen wir das Selberdenken?Foto: SIphotography/ iStock
Von 30. August 2024

Als Mohamed Elmasry, emeritierter Professor für Computertechnik an der Universität Waterloo, seine Enkelkinder dabei beobachtete, wie sie konzentriert auf ihren Smartphones tippten, stellte er ihnen eine scheinbar einfache Frage: „Wie viel ist ein Drittel von neun?“ Anstatt kurz nachzudenken, griffen die 10- und 11-Jährigen sofort zu ihren Taschenrechner-Apps.

Einige Zeit später, nach einem Familienurlaub in Kuba, fragte er sie nach der Hauptstadt der Insel. Auch dieses Mal suchten sie nicht in ihrem Gedächtnis, sondern zückten ihre Smartphones, um die Antwort zu googeln – obwohl sie die Insel gerade erst besucht hatten.

Dieses Verhalten verdeutlicht ein Phänomen, das immer mehr an Bedeutung gewinnt: Mit der Nutzung von Smartphones durch 60 Prozent der Weltbevölkerung – und 97 Prozent der unter 30-Jährigen – hat sich Technologie unmerklich zu einer Erweiterung unseres Denkens entwickelt.

Doch der Preis, den wir dafür zahlen, könnte hoch sein. „Kognitives Outsourcing“ – das Auslagern von Denkprozessen an externe Systeme wie Smartphones oder das Internet – birgt die Gefahr eines schleichenden kognitiven Abbaus.

Studien belegen diese Entwicklung: Die regelmäßige Nutzung von GPS-Systemen beispielsweise steht in Zusammenhang mit einem signifikanten Rückgang des räumlichen Gedächtnisses und der Fähigkeit, sich ohne technische Hilfsmittel zu orientieren.

Doch die Problematik reicht tiefer. Die Verbreitung von KI-Anwendungen wie ChatGPT nimmt stetig zu und ist für viele Menschen bereits fester Bestandteil des Alltags. Laut einer Umfrage nutzen 18 Prozent der Deutschen ChatGPT sogar mehrmals wöchentlich. Diese Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen: Studien belegen, dass dies die Fähigkeit zum kritischen Denken schwächt, Abhängigkeiten fördert, die Entscheidungsfindung erschwert und zu einer zunehmenden Trägheit führt.

Experten warnen daher eindringlich vor der Vernachlässigung jener menschlichen Fähigkeiten, die von der Technologie nicht ersetzt werden können.

Elmasry macht dies am Beispiel seiner eigenen Enkelkinder deutlich: Sie seien keineswegs „dumm“, doch sie verlernten, ihre natürliche Intelligenz zu nutzen. Diese Generation, so Elmasry, habe sich so sehr an den ständigen Zugriff auf digitale Helfer gewöhnt, dass sie bei der Lösung selbst einfachster Aufgaben reflexartig auf Suchmaschinen wie Google zurückgreife, anstatt den eigenen Verstand zu bemühen.

Diese Entwicklung erinnert an das Sprichwort „Übung macht den Meister“ – denn wie unsere physischen Muskeln verkümmern auch unsere geistigen Fähigkeiten, wenn wir sie nicht trainieren.

Technologie schwächt unser Gedächtnis

Unsere Abhängigkeit von digitalen Hilfsmitteln verändert nicht nur unser Verhalten, sondern auch unsere geistigen Fähigkeiten. Immer mehr Studien zeigen, dass der ständige Zugriff auf Informationen im Internet unser Gedächtnis beeinträchtigt. Ein prägnantes Beispiel dafür ist der sogenannte „Google-Effekt“: Menschen erinnern sich weniger an die Informationen selbst, dafür umso besser an den Ort, wo sie diese finden können.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2021 untersuchte die Auswirkungen des regelmäßigen Googelns und kam zu einem alarmierenden Ergebnis: Teilnehmer, die Suchmaschinen intensiv nutzten, schnitten bei Lern- und Gedächtnistests schlechter ab als jene, die sich auf ihr eigenes Wissen verließen.

Gleichzeitig überschätzten sie oft ihr eigenes Verständnis des Materials – ein Phänomen, das als „Wissensillusion“ bekannt ist. Der ständige Zugriff auf Informationen vermittelt ein trügerisches Gefühl von Expertise und mindert den Anreiz, sich tiefgehend mit Inhalten auseinanderzusetzen.

Die Auswirkungen der Technologie beschränken sich nicht nur auf ihre aktive Nutzung. Bereits die bloße Präsenz eines Smartphones kann unsere geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

Eine Studie, veröffentlicht im „Journal of the Association for Consumer Research“, zeigt, dass allein das Vorhandensein eines Smartphones – selbst wenn es ausgeschaltet ist – die „verfügbare kognitive Kapazität“ reduziert. Die Forscher sprechen von einem „Brain Drain“-Effekt, der auftritt, weil das Gerät unbewusst unsere Aufmerksamkeit beansprucht und uns daran hindert, uns vollständig auf die jeweilige Aufgabe zu konzentrieren.

Neben der Beeinträchtigung unserer kognitiven Fähigkeiten beobachten Forscher auch eine Abnahme der sozialen Intelligenz – jener Fähigkeiten, die uns als Mensch auszeichnen. Der übermäßige Einsatz digitaler Technologien, so scheint es, macht uns nicht nur weniger fähig zu denken, sondern auch weniger fähig, miteinander umzugehen.

Die Botschaft ist klar: Wir müssen unsere natürlichen Fähigkeiten bewahren und fördern, bevor sie unwiederbringlich verkümmern. Denn der Preis für diese Bequemlichkeit könnte letztlich unsere Menschlichkeit sein.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „When Smartphones Get Smarter, Do We Get Dumber?“. (deutsche Bearbeitung kr)



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