Führungsstärke oder Beziehungskiller? Die zwei Seiten des Narzissmus

Während Narzissmus in der Jugend zu Beliebtheit und Erfolg führen kann, verlieren Narzissten im Laufe der Zeit an sozialer Akzeptanz und haben häufiger Beziehungsprobleme.
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Narzissmus hat ein Verfallsdatum – Wissenschaft bestätigt.Foto: Khosrork/ iStock
Von 16. Juli 2024

Narzissmus kann sowohl positive als auch negative Konsequenzen haben, wie Experten betonen. Auf der positiven Seite genießen narzisstische Menschen, insbesondere in der Jugend, oft anfängliche Beliebtheit bei Gleichaltrigen, haben Erfolg in romantischen Beziehungen, zumindest anfänglich, und erreichen Führungspositionen. „Es gibt Phasen im Leben, in denen ein irrationales Selbstvertrauen von Vorteil sein kann“, erklärt der Psychologe William Chopik.

Diese Vorteile sind jedoch meist nur von kurzer Dauer. „Es gibt Hinweise darauf, dass wir Narzissten zunächst mögen, aber ihr Stern verblasst, wenn ihre problematischen zwischenmenschlichen Tendenzen sichtbar werden“, schrieb Brent Roberts, Persönlichkeitspsychologe und Professor für Psychologie an der University of Illinois Urbana-Champaign, an Epoch Times.

Langfristig können anhaltende narzisstische Züge zu einem Rückgang der sozialen Akzeptanz, Konflikten in Paarbeziehungen und Problemen am Arbeitsplatz führen. Während ein gewisser Grad an Narzissmus in der jungen Erwachsenenzeit akzeptabel sein mag, „ist er im Alter einfach weniger erfolgreich“, meint der Psychologe Joshua Campbell.

Doch es gibt Hoffnung: „Glücklicherweise wachsen die meisten von uns mit der Zeit daraus heraus“, betont Chopik. Denn eine neue Studie bietet eine Erklärung: Narzissmus hat ein Verfallsdatum.

Narzissmusarten

Nach der Analyse der Daten von über 37.000 Teilnehmern im Alter von acht bis 77 Jahren fanden Forscher heraus, dass narzisstische Züge mit dem Alter abnehmen.

Diese wissenschaftliche Untersuchung, eine der größten ihrer Art, bietet eine umfassende Analyse der Entwicklung von Narzissmus im Verlauf des Lebens und ist entscheidend für das Verständnis seiner Auswirkungen auf das individuelle Verhalten und Beziehungen. Veröffentlicht im „Psychological Bulletin“, dem meistzitierten Journal der American Psychological Association, untersucht die Studie 51 Längsschnittstudien zum Thema Narzissmus.

Die Forscher konzentrierten sich auf drei spezifische Typen von Narzissmus:

  • Agentischer Narzissmus: Durchsetzungsvermögen, Kühnheit und Selbstvertrauen
  • Antagonistischer Narzissmus: Arroganz, Falschheit und Anspruchsdenken, die die unsoziale und unangenehme Facette des Narzissmus darstellen
  • Neurotischer Narzissmus: emotionale Dysregulation, Überempfindlichkeit und Schamneigung

Die Ergebnisse zeigen, dass Narzissmus mit zunehmendem Alter abnimmt, wobei das Ausmaß dieses Rückgangs je nach Typ des Narzissmus unterschiedlich ist. Agentischer Narzissmus zeigte einen leichten Rückgang, während antagonistische und neurotische Narzissmusformen zwar moderat, aber im Vergleich stärker zurückgingen..

Die Forschung enthüllte jedoch auch, dass das relative Niveau des Narzissmus im Vergleich zu Gleichaltrigen stabil bleibt, was bedeutet, dass diejenigen, die in der Kindheit narzisstischer sind, diesen Status oft bis ins Erwachsenenalter beibehalten.

Warum Narzissmus im Alter nachlässt

Psychologen haben in der oben erwähnten umfassenden Metaanalyse mehrere Theorien aufgestellt, um zu erklären, warum Narzissmus mit zunehmendem Alter abnimmt.

Eine weitverbreitete Theorie besagt, dass Menschen, sobald sie Rollen in Beziehungen, im Berufsleben und in der Gesellschaft übernehmen, ihre Persönlichkeit anpassen, um erfolgreich zu sein. Dieser Prozess fördert im Laufe der Zeit Eigenschaften wie Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität. Narzisstische Merkmale verblassen dadurch allmählich, während die Reife zunimmt.

Eine weitere Theorie hebt hervor, dass Menschen im Alter ihren Fokus von der Suche nach neuen Erfahrungen hin zur Aufrechterhaltung emotionaler Stabilität und enger Beziehungen verlagern. Dieser Wandel mindert das Bedürfnis nach sozialem Status und führt zu einem Rückgang des Narzissmus.

Ein dritter Erklärungsansatz sieht die Veränderung des Narzissmus im Zusammenhang mit unterschiedlichen Lebensphasen. In der Jugend und im frühen Erwachsenenalter sind narzisstische Merkmale oft stärker ausgeprägt, da diese Phasen von selbstfokussierter Aufmerksamkeit und der Suche nach der eigenen Identität geprägt sind.

Die vierte Theorie betont die Rolle von Misserfolgen und Zurückweisungen im Alter. Menschen erleben im Laufe ihres Lebens zahlreiche frustrierende Situationen wie nicht erreichte Ziele, Beziehungsprobleme und berufliche Rückschläge. Diese Erfahrungen stellen ihre überhöhte Selbstwahrnehmung und ihr Gefühl der Überlegenheit infrage, was zu einer realistischeren und weniger narzisstischen Sicht auf sich selbst führt.

Emily Grijalva, außerordentliche Professorin an der University at Buffalo in New York, deren Forschung sich auf Narzissmus konzentriert, erklärte gegenüber Epoch Times: „Narzissmus wurde als ein charakteristischer Mangel an Reife beschrieben. Ein Teil des Reifungsprozesses besteht darin, zu erkennen, dass wir verletzlich sind und Misserfolgen gegenüber offen sein können. Diese Erkenntnis trägt im Laufe der Zeit dazu bei, Narzissmus abzubauen.“

Die Forscher betonen, dass diese Theorien verschiedene Mechanismen beleuchten, sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen.

Vielmehr könnten mehrere Faktoren zu dem beobachteten Rückgang des Narzissmus beitragen.

Studie deckt Grenzen auf

Obwohl die Hauptschlussfolgerung der Studie besagt, dass Narzissmus mit zunehmendem Alter abnimmt, bleibt die genaue Ursache dieses Phänomens ein Rätsel. Die Studie schlägt verschiedene mögliche Erklärungen vor, doch wurden diese bisher nicht empirisch getestet, um den genauen Mechanismus hinter dem Rückgang zu ermitteln.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die geografische Beschränkung der Daten. Die meisten analysierten Daten stammen aus westlichen Kulturkreisen, darunter Nordamerika, Europa und Neuseeland, wobei nur eine Stichprobe aus China stammt. Diese Einschränkung verdeutlicht die Notwendigkeit zukünftiger Forschungen, Narzissmus in einer breiteren Palette von Ländern und Kulturen zu untersuchen, um die globale Konsistenz dieser Ergebnisse zu bewerten.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Large-Scale Study Finds Narcissism Has an Expiration Date, Psychologists Explain Why“. (deutsche Bearbeitung kr)



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