Flauschige Therapeuten

Die Alpaka-Therapie – Die Hamburger Alternative zur Delfin-Therapie
Titelbild
Bei Möhren kann der sonst sanfte Co-Therapeut Bandit recht gierig sein. Sein Patient Moritz hat trotzdem keine Angst. (Foto: Heike Soleinsky)
Von 3. September 2007

 

Auch ein Co-Therapeut wälzt sich mal. Da gibt es ordentlich zu tun für den kleinen Moritz (4), der als Patient gerade die verantwortliche Aufgabe hat, seinem Co-Therapeuten das kuschelig weiche Fell zu bürsten: den Rücken und den langen flauschigen Hals entlang. Meinen Sie, ein Therapeut hat für gewöhnlich keinen flauschigen Hals? Die Hamburger Co-Therapeuten Amigo, Bandit und Condor haben sogar flauschige Ohren und Kulleraugen. Sie sind Alpakas, die von Matthias Feindert und Birgit Viett vom Verein Alpakatherapie e. V. mit viel Liebe und Verstand zu „Therapakas“ (Therapie-Alpakas) ausgebildet wurden. Sie „co-therapieren“ überaus erfolgreich bei körperlichen und geistigen Behinderungen, bei Entwicklungsverzögerungen von Kindern, Autismus, ADS, bei Demenz, Schlaganfall, Sucht oder Depressionen.

„Wie vielen Kindern geholfen werden könnte!“

Birgit Viett und Matthias Feindert erfuhren 2001 in Florida, dass mache Eltern eine Delfin-Therapie als letzte Chance für ihr behandlungsbedürftige Kind sehen – oder eben nicht, weil sie es nicht leisten können. Das Gefühl von Ungerechtigkeit schwelte in ihnen. „Da gibt es noch etwas mit Kamelen oder so“, erwähnte jemand. Bald darauf hörten sie erneut, dass für ein krankes Kind Geld gesammelt wurde, damit es eine Delfin-Behandlung bekommt. Das Paar fing an, über diese „andere Möglichkeit“ zu recherchieren. Man könnte zehn Kindern für den Preis einer Delfin-Therapie helfen! „Die Idee war wie ein Schwelbrand“, erinnert sich Viett. Zwei Jahre später gründeten sie den Verein.

Unwiderstehliche taktile Reize

Der Pelz des Alpakas hat keinen Strich und kann darum in alle Richtungen gebürstet und gestreichelt werden – das sind beste Vorraussetzungen um motorische Fähigkeiten zu trainieren. Und da die Wolle wenig Fett hat, so seidig weich ist und Alpakas auch so gut wie gar nicht riechen, mag man sie gern anfassen. So ging es wohl auch einer Patientin in einer Anstalt, die sich zuvor trotz größter Bemühungen seitens der Therapeutin des Hauses weigerte sich zu bewegen. Man legte ihre Hand auf den tierischen Therapeuten – und wieder zurück. Plötzlich legte die Patientin von selbst ihre Hand auf das unwiderstehlich flaumweiche Fell des Alpakas. Der Ergotherapeutin der Anstalt liefen Tränen über das Gesicht

Vom Hosenbein-Klammerer zum Alpaka-Führer

Zurück zu Moritz: Mit viereinhalb Jahren ist seine Entwicklung auf dem Stand eines Zweieinhalb-Jährigen und er spricht kaum. Bevor Moritz zu den Therapakas kam, war er sehr ängstlich, klammerte sich ständig an die Hand oder das Hosenbein der Eltern. Seine Mutter, Nina Külper, sagt über die erste Begegnung mit den vierbeinigen Therapeuten: „Wir waren vom ersten Moment an begeistert, weil er gleich auf die Tiere zuging. Das war ganz überraschend für uns!“ Über einen Baumstamm zu steigen sei vor der Therapie nicht drin gewesen. Mit einem Therapaka an der Leine jedoch sei Moritz motorisch viel sicherer geworden. Nina Külper: „Er denkt nicht mehr so viel darüber nach, wenn er über einen Baumstamm geht, wohl dadurch, weil er sich gegen die Alpakas durchsetzen muss, wo es lang geht. Man hat von Mal zu Mal gesehen, wie er mehr konnte.“ Im Kindergarten hatte er zuvor – auch da er nicht spricht – keinen Kontakt zu den Kindern, stand nur Schutz suchend bei den Erziehern. „In der Zeit, in der Moritz seine Therapaka-Therapie hatte, fing er sogar an, die anderen Kinder zu dirigieren“, erzählt seine Mutter.

Kleine Wunder ohne Wunderheiler

Jede Behandlung wird sorgfältig vorbereitet. „Mal eben zur Therapie kommen, das geht nicht“, erklärt
Viett. Es gebe vorweg immer eine Begegnung mit Tieren und Therapeut. Im Idealfall könne der Therapeut sich vorher die Krankenakte anschauen. Aufgrund der Begegnung erstellt der Therapeut ein Konzept. Erst danach entscheiden sich die Eltern oder der Vormund. Viett sagt: „Einmal Alpaka streicheln und das Kind steht aus dem Rollstuhl auf, das gibt es nicht. Ein Alpaka heilt auch nicht. Es öffnet Türen für die Arbeit des Therapeuten.“

Obwohl es also auf dem Vereinsgelände in der Nähe des Öjendorfer Sees keine Wunderheiler gibt, finden dort fast täglich kleine Wunder statt. Über Baumstämme hinweg- oder unter waagerechte Stangen hindurch laufen, über eine Wippe gehen oder über eine kleine Fläche aus Autoreifen – für Menschen mit motorischen Störungen ist das problematisch. Mit einem „Therapaka“ an der Leine geht das dann mit staunenswerter Selbstverständlichkeit.

Jeremy hatte mit 10 Jahren noch kein Wort gesprochen, bei ihm wurde ein Defekt im Gehirn diagnostiziert, weshalb er niemals würde sprechen können. Dass er seinen Eltern auch nicht seine Wünsche erklären konnte, frustrierte ihn. Nach intensiver Arbeit mit dem Alpaka Bandit fing er erst an logische Dinge miteinander zu verknüpfen, um sich mitzuteilen. Er holte zum Beispiel sein Taucherbuch, eine Playmobilfigur und summte ein Weihnachtslied – so konnten seine Eltern ihn verstehen: Aha, er möchte zu Weihnachten die Taucherfigur von Playmobil. Im weiteren Verlauf der Therapie hat er es dann zu vier Wörtern geschafft. Er kann es also doch!

Kreative Künstler

Fraglos steckt hinter diesen Erfolgen auch das Können der findigen Therapeuten, die für den Verein arbeiten. Das Team kommt aus den Bereichen Psychologie, Ergotherapie und Logopädie. So ein Therapeut hat Vorstellungsvermögen und muss improvisieren können. Matthias Feindert sagt: „Ich habe manchmal das Gefühl, ich habe es nicht mit Therapeuten sondern mit Künstlern zu tun. Jede Therapie, die sie bauen ist wie ein kleines Kunstwerk, weil es individuell auf den Patienten eingestellt ist. Wenn man vielleicht auch hunderte Male das Gleiche gemacht hat, dann kommt garantiert irgendein Einzelner, der macht einem komplett einen Strich durch die Rechnung – und dann muss man sich etwas einfallen lassen.“

Salat für den Freund

Moritz hat sogar einen Alpaka-Salat zubereitet: Mit einem großen Messer – wie es Eltern gewöhnlich entwickelter Kinder schon nicht gern in Kinderhänden sehen – zerteilen der kleine Patient die vorher extra für den kuscheligen Freund gesammelten Kräuter. Der Therapeut sitzt dahinter, führt erst die Kinderhand und läßt sie dann los – das Kind schneidet allein. Das Finale ist dabei natürlich, den fertigen Salat den Alpakas zu geben.

Für Moritz Eltern sind die Fortschritte ihres Sohnes großartig. Obwohl ein Kind mit mehr Selbstbewusstsein auch anstrengender sein kann: Als er noch ängstlich an ihrem Hosenbein hing, wussten sie immer, wo ihr Sohn ist – inzwischen kommt es aber vor, dass Moritz beim Einkaufen plötzlich weg ist – wie mutige kleine Abenteurer halt so sind.

Spenden für Wirksamkeitsstudie

Auch circa 1.600 Euro für eine Grundtherapie sind für jungen Familien nicht immer leicht aufzubringen. Der Verein sammelt derzeit Spenden für eine Wirksamkeitsstudie, damit die Therapie von Krankenkassen anerkannt wird. 5.500,- Euro fehlen noch. Feindert sagt: „Firmen, die für uns spenden, erhalten nicht nur eine absetzbare Spendenbescheinigung, sondern sie können auch Bilder und Berichte darüber erhalten, was genau mit ihrem Geld gemacht wird.“ Informationen gibt es unter www.alpakatherapie.de.

Das Bezirksamt Eimsbüttel hat gerade eine Alpaka-Therapie im Rahmen der Erziehungsbeihilfe übernommen.



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