Wie geheime Ratingagenturen die Werbung in den Medien kontrollieren
Freddie Sayers ist Chefredakteur und Geschäftsführer von „UnHerd“, einer britischen Medienplattform. „UnHerd“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die „Herdenmentalität“ infrage zu stellen und sonst ungehörte Ideen, Menschen und Orte in den Blickpunkt zu nehmen.
Seit Freddie Sayers im Mai 2019 als leitender Redakteur zu „UnHerd“ stieß, stiegen die Zuschauerzahlen um mehr als 500 Prozent auf über 3 Millionen pro Monat. Dies machte die Mediennplattform zu einer der herausragenden Erfolgsgeschichten der britischen neuen Medien. Bevor Sayers die Leitung von „UnHerd“ übernahm, war er Chefredakteur des globalen Datenunternehmens YouGov und Gründer mehrerer Medien- und Daten-Startups.
Jan Jekielk von „American Thought Leaders“ sprach mit ihm über ein Kontrollsystem in den Medien, dass zugleich sehr versteckt und sehr einflussreich arbeitet.
Jan Jekielek: Freddie Sayers, ich freue mich, Sie hier im Rahmen der von Ihnen veranstalteten Konferenz Dissident Dialogues bei „American Thought Leaders“ zu begrüßen.
Freddie Sayers: Ja, wir sind Sponsoren und das ist die erste Konferenz dieser Art. Wir sind hier in einem Industriegebiet in Brooklyn mit Blick auf Manhattan. Es läuft großartig bisher, heute ist der zweite Tag. Es sind verschiedene Menschen hier, die allesamt intelligent, interessant und heterodox sind, wie man so schön sagt.
Sie kommen aus allen Teilen des politischen Spektrums. Wir sprechen Themen an, über die es vielen Menschen schwer fällt zu sprechen. Ich hoffe, wir machen das in einer unterhaltsamen und konstruktiven Atmosphäre. Es sind mehr als 800 Menschen hier, was ein unglaublich positives Zeichen ist.
„UnHerd“ ist ein nonkonformes, heterodoxes Medium im Vereinigten Königreich.
Das nehme ich mal als Kompliment.
Ja, zu 100 Prozent. Sie sind auch Organisator dieser Veranstaltung hier. Kürzlich haben Sie den Global Desinformation Index (GDI) aufgedeckt und wie Ihr Unternehmen und die Möglichkeit, Werbung zu schalten, ins Visier genommen wurden. Das bedroht Ihr ganzes Geschäft und Ihre Möglichkeit, Ihre großartige Arbeit fortzusetzen. Bitte berichten Sie uns davon.
Gerne. Ich war mit all dem gar nicht vertraut. Wir hatten nicht mal Werbung auf unserer Seite. Unser Unternehmen finanziert sich durch Abos. Dann wollten wir mal Anzeigen ausprobieren, zwecks zusätzlicher Einnahmen, so wie es viele Medien tun.
Unsere Website und unsere Publikation sind intellektuell, manchmal auch kulturell und manchmal politisch. Wir haben große kulturelle Ikonen wie den Rockstar Nick Cave. Wir haben auch Professoren und Nobelpreisträger. Es ist interessant und wir sind provokativ.
Wir beschäftigen uns mit gefährlichen Fragen, aber stets extrem verantwortungsbewusst. Wir sind im Vereinigten Königreich weithin als ein Medium bekannt, das viele Leute lesen. So wandten wir uns nacheinander an drei Werbeagenturen. Wir hofften auf sehr gute Einnahmen durch diese Anzeigen.
Die Agenturen sagten: „Das ist ein super Produkt. Ihr habt ein riesiges Publikum hier im Vereinigten Königreich und auch in den USA.“ Dort wachsen wir gerade sehr. Sie waren begeistert. Und jedes Mal, wenn wir die Zahlen für die sogenannte programmatische Werbung bekamen – ein mysteriöses, sehr komplexes System im Internet, das spezifische Anzeigen an verschiedene Publikationen schickt – dann kam fast nichts herein.
Es waren nur 1, 2 oder 3 Prozent des Betrags, den sie erwartet hatten. Die Werbeagenturen selbst konnten sich buchstäblich keinen Reim darauf machen. Sie verstanden es nicht.
Wir versuchten es bei einer anderen Agentur und machten dieselbe Erfahrung. Bei Werbeagentur Nummer drei fanden wir schließlich heraus, was los war. In dieser komplexen Maschinerie gibt es diese sogenannten Ratingagenturen, die den meisten Leuten unbekannt sind.
Es ist wie eine Ratingagentur für eine Bank oder ein Finanzprodukt, die die Vertrauenswürdigkeit einzelner Publikationen bewertet. Eine dieser Agenturen, namens Global Desinformation Index, hatte uns mit Null bewertet. Sie setzten uns auf ihre sogenannte „dynamische Ausschlussliste“.
Die Liste der Ungezogenen, ganz klar.
Ja, die schwarze Liste. Es ist die Liste der gefährlichsten Veröffentlichungen, was uns etwas verwirrte, denn alles, was wir schreiben, wird auf Fakten geprüft und sorgfältig untersucht, da ist nichts Gefährliches dran. Wir haben nachgeforscht und diese Kette durchlaufen.
Man geht zu einer Werbeagentur und diese dann zu den Vertriebsplattformen. In diesem Fall war es Oracle, das riesige Techunternehmen, das Larry Ellison gründete. Das wiederum nutzt diese Organisation namens Global Disinformation Index, um Bewertungen von Websites vorzunehmen.
Wenn sie dir eine Null geben oder dich auf die schwarze Liste setzen, bekommst du keine Werbung. Damit wird dein Geschäftsmodell über Nacht quasi abgeschaltet. Sie haben enorme Macht und großen Einfluss.
Wir wollten herausfinden, wer diese Leute sind und wie diese Organisationen so einflussreich geworden sind. Erstmal gelang es uns tatsächlich, eine Antwort von ihnen zu bekommen. Das ist schwierig, denn wie Sie vielleicht schon mal erlebt haben, sind diese großen Technologieunternehmen, diese geheimnisvollen Instanzen, oft nicht gerne transparent. Sie antworten einem nicht gerne.
Fast zufällig schrieb die Agentur eine Mail, die wir weitergeleitet bekamen. Darin wurde erklärt, warum wir auf diese Liste gesetzt worden waren. Die Antworte lautete, weil wir – Zitat – „Anti-LGBTQI+“ seien, wie sie es nennen, weil wir – Zitat – „genderkritische Feministinnen“ veröffentlichen. So werden Leute genannt, die glauben, dass es einen biologischen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt.
Vor allem bezogen sie sich auf eine unserer berühmtesten Kolumnistinnen, Kathleen Stock, eine Philosophieprofessorin, die auch hier war. Sie ist eine brillante Autorin und wird im Vereinigten Königreich viel gelesen. In den letzten Jahren hat sie sich gegen einige der Genderideologien ausgesprochen und auf mögliche Gefahren hingewiesen, die mit der Geschlechtsumwandlung bei Kindern verbunden sind.
All diese Fragen zählen im Vereinigten Königreich inzwischen zum Mainstream. Vor ein paar Wochen veröffentlichte die Regierung eine große Untersuchung namens Cass Review, die jegliche Geschlechtsumwandlung bei Minderjährigen unter 18 verbietet.
Es scheint mir faszinierend, dass Sie dieses Problem mit der Werbung erst jetzt entdecken.
Wir hatten bisher keine Werbung geschaltet.
Ich meine damit nicht speziell die Werbung. Das ist eine andere Form des Cancelns, aber etwas schleichender. Wenn Sie ein Medium sind, das sich ausschließlich auf Werbung stützt, und Sie mit Null bewertet werden, dann sind Sie erledigt.
Das stimmt. Das ist der ausdrückliche Zweck dieser Organisation: Den Überbringern von „Desinformationen“ den Geldhahn abzudrehen. Wir hatten Auseinandersetzungen mit YouTube und Facebook genau wie viele andere Medien.
Wir stritten uns mit ihnen über bestimmte Videos während COVID, die sie als Falschinformationen betrachteten, aber die Beschwerde wurde anschließend von ihnen zurückgezogen. Für mich war neu, wie versteckt und gleichzeitig einflussreich diese Organisation war.
Wir stießen auch auf die Tatsache, dass die Regierung sie finanziert. Das Geld für diese Organisation kommt von der britischen Regierung, dem Außenministerium, dem US-Außenministerium über einige Einrichtungen, die das US-Außenministerium finanziert hat, der Europäischen Union, dem Auswärtigen Amt in Deutschland und bestimmten privaten Geldgebern wie der Soros-Stiftung.
Hier fließen Steuergelder an selbst geschaffene Organisationen, die in keiner Weise rechenschaftspflichtig sind. Obgleich sie nicht die Macht haben, Inhalte vollständig zu blockieren, gleicht dies einer Zensur, da das Geschäftsmodell einer Redaktion zerstört werden kann.
Ich bestreite nicht, dass Desinformation ein Problem ist. Das Internet ist weit offen und es werden alle möglichen verrückten Dinge gesagt. Zweifellos sind viele davon unwahr, Menschen können falsche Sachen glauben. Das erkennt jeder, der auch nur einen Tag im Internet verbracht hat.
Der Weg, dies zu bekämpfen, kann nicht sein, staatliche Gelder in mysteriöse Organisationen zu stecken, die extrem parteiische, subjektive Definitionen von Desinformation verwenden und sie still und leise anwenden, ohne jegliche Rechenschaftspflicht. Es ist sehr schwer, sowas als System zu verteidigen.
Eine Reihe britischer Politiker und Elon Musk fingen dank Ihres wunderbar produzierten Videos an, sich für all diese Fragen zu interessieren. Sie haben es geschafft, etwas zu vereinfachen, das für die Menschen sehr schwer zu verstehen ist.
Das ist übrigens so gewollt. Die Komplexität ist Teil des Plans.
Stimmt. Das ist ein sehr guter Punkt.
Genau diese Komplexität ermöglicht es diesen Bürokratien, so viel zu ändern, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Sie machen es extrem langweilig und technisch, sodass man jemanden zum Einschlafen bringt, wenn man es zu erklären versucht.
Sie bleiben verborgen, weil niemand einen langen Artikel über Werbetechnologie im Internet lesen will, wenn man nicht in der Branche arbeitet. Warum sollte man auch? Komplexität gehört im Grunde zur Überlebensstrategie dieser Organisationen.
Freddie, wo wir jetzt zum Ende kommen: Ist der Geist aus der Flasche? Es gibt inzwischen ganze Abteilungen an Universitäten, die sich mit Desinformation beschäftigen. Es kommt ans Licht, dass all das auf alle möglichen Arten kräftig finanziert wird. Ist der Geist aus der Flasche, da es seit 2016 so läuft? Oder werden wir diese Systeme jetzt nicht mehr los?
Ich glaube, wir müssen optimistischer sein. Wir können uns den Erfolg von „UnHerd“ ansehen: Die Zuschauerzahl hat sich in den letzten Jahren mehr als verzehnfacht. Konferenzen wie der Dissident Dialogue hier sind ausverkauft. Das ist eine erfolgreiche Veranstaltung, ausgerechnet im Herzen von New York, wo man nicht unbedingt erwarten würde, dass viele Leute diese Art von Ideen infrage stellen.
Das beweist, dass sich langfristig, im Laufe der Zeit, gute Ideen durchsetzen werden. Die Menschen werden sich nicht ewig sagen lassen, dass sie eine inakzeptable Meinung hätten. Der Geist ist aus der Flasche, in die andere Richtung, und die nächsten Jahre sollten einen Ausgleich zeigen.
Vielen Dank für das Gespräch, Freddie Sayers!
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